Europapolitisch stand das Frühjahr ganz unter dem Zeichen der Agenda 2000. Der eigentliche Anlaß des Reformwerks ging meist im Lärm um die Agrardebatte unter. Im Kern geht es vor allem um die Vorbereitung der EU-Osterweiterung – nach Schröder „die größte und drängendste Aufgabe der EU“. Immerhin hatten bis 1996 insgesamt 14 Staaten Aufnahmeanträge an den Rat gestellt. Voraussetzung für eine Erweiterung der Union sind jedoch grundlegende institutionelle und finanzielle Reformen – sowohl in den Unionsländern, als auch bei den Beitrittskandidaten. Dafür steht die Agenda 2000. Seit April vergangenen Jahres laufen die Beitrittsverhandlungen mit der Sechsergruppe Polen, Ungarn, Tschechische Republik, Slowenien, Estland und Zypern. Der Verfahrensstand ist in den einzelnen Politikressorts höchst unterschiedlich. Einige, wie die gemeinsame Industriepolitik oder die Außen- und Sicherheitspolitik wurden bereits vorverhandelt. Im Umweltbereich findet dagegen zur Zeit erst ein Abgleichen der Rechtsbestände der Union mit denen der Beitrittskandidaten statt. Nach Schätzungen des Zentrums für Europäische Integrationsforschung der Bonner Universität umfaßt der Rechtsbestand der Union inzwischen über 200 000 Textseiten.
In der September-Ausgabe plädiert Lea Ypi für eine Migrationsdebatte im Sinne der Aufklärungsphilosophie. Cinzia Sciuto fordert, der zunehmenden Aushöhlung des Völkerrechts mit einer entschiedenen Verteidigung desselben zu begegnen – und nicht mit Resignation und falschem Realismus. Für Georg Diez markieren die Kriegsverbrechen in Gaza und die fehlenden Reaktionen darauf einen Epochenbruch; sie stünden für nicht weniger als den Verrat des Westens an der Humanität. Herfried Münkler analysiert, wie Kriege historisch endeten und Friedenszeiten begannen und was das mit Blick auf den Ukrainekrieg bedeutet. Simone Schlindwein deckt auf, wie Russland junge Afrikanerinnen mit falschen Versprechen für die Kriegswirtschaft rekrutiert. Warum die grüne Digitalisierung ein Mythos ist und was der KI-Boom den Globalen Süden kostet, erläutern Ingo Dachwitz und Sven Hilbig. Und Eva-Maria Klinkisch sowie Markus Rieger-Ladich zeigen auf, wie Long Covid-Betroffene von der Gesellschaft und dem Gesundheitssystem systematisch ignoriert werden – und was dagegen zu tun ist.