Wo bleibt der deutsche Houellebecq ?
Dienstag, 31. August 1999, Glienicker Schloß: SAT 1 feiert den fünfzehnten Geburtstag des Privatfernsehns plus Umzug nach Berlin im erlauchten Kreis von eintausendfünfhundert geladenen Gästen. Der Champagner fließt in Strömen, Geld spielt keine Rolle. Eberhard Diepgen bringt in gekonnt devoter Pose die Danksagung der Stadt Berlin dar: Dienstleistungsmetropole an der Schnittstelle zwischen Ost und West, Schaffung von Arbeitsplätzen, etc. etc. Dann spricht SAT1Chef Fred Kogel seine erhabenen Worte: Wir setzen die Maßstäbe. Mit unseren Daily-Soaps und Daily-Talks und Daily-Sex haben wir Ihre Welt bunter gemacht, haben wir die verkrustete Gesellschaft aufgebrochen. Und es fehlte nicht viel, sondern Fred Kogel nur ein wenig rhetorisches Talent, und er hätte gesagt: Wir Privaten haben den Muff von tausend Jahren öffentlich-rechtlicher Altbundesrepublik hinweggefegt. So sieht sie also aus, die deutsche Medienkritik der Jahrtausendwende. Das Privatfernsehen besetzt die Rolle des Kulturrevolutionärs. Sein größter Erfolg: Die Umsetzung von „Das Private ist politisch“ in „Die Privaten machen Politik“. Und die einstmals so kritischen Kritiker stehen gebannt wie die Zauberlehrlinge vor den Folgen der von ihnen propagierten sexuellen Befreiung und fordern fasziniert: Unsere tägliche Seife gib uns heute.