"Heute lernen wir die Sprache, in der Gott Leben schuf", sagte Bill Clinton während der Pressekonferenz im Weißen Haus am 26. Juni, bei der die Entschlüsselung des menschlichen Erbgutes durch Craig Venter (Celera Genomics) und Francis Collins (Human Genome Project) vorgestellt wurde. So großartig der Satz klingt, so unrichtig ist seine Aussage. Die Buchstaben, besser die Hieroglyphen des "Buch des Lebens", das achthundert mal größer als die Bibel ist, sind zwar erfasst. Um aber die Sprache und Syntax vollständig zu verstehen, bedarf es noch eines Steins von Rosette - und der lässt sich nicht irgendwo am Wegrand der Genomforschung finden und von einem modernen Jean François Champollion enträtseln. Weltweit werden Teams von Forschern diese Aufgabe lösen müssen, die noch viel Zeit und Geld erfordert. Das Zeitalter der "Postgenomics" ist eben erst angebrochen, die Büchse der Pandora noch verschlossen. Dennoch, die - wissenschaftlich gesehen fraglos epochale - Tat wird nahezu unisono gerühmt: ein einzigartiges Geschenk für die Menschheit, eine Erfindung bedeutender als die des Rades oder des Feuers, gewaltiger als das Apolloprojekt, ein Meilenstein in der Menschheitsgeschichte.
In der September-Ausgabe plädiert Lea Ypi für eine Migrationsdebatte im Sinne der Aufklärungsphilosophie. Cinzia Sciuto fordert, der zunehmenden Aushöhlung des Völkerrechts mit einer entschiedenen Verteidigung desselben zu begegnen – und nicht mit Resignation und falschem Realismus. Für Georg Diez markieren die Kriegsverbrechen in Gaza und die fehlenden Reaktionen darauf einen Epochenbruch; sie stünden für nicht weniger als den Verrat des Westens an der Humanität. Herfried Münkler analysiert, wie Kriege historisch endeten und Friedenszeiten begannen und was das mit Blick auf den Ukrainekrieg bedeutet. Simone Schlindwein deckt auf, wie Russland junge Afrikanerinnen mit falschen Versprechen für die Kriegswirtschaft rekrutiert. Warum die grüne Digitalisierung ein Mythos ist und was der KI-Boom den Globalen Süden kostet, erläutern Ingo Dachwitz und Sven Hilbig. Und Eva-Maria Klinkisch sowie Markus Rieger-Ladich zeigen auf, wie Long Covid-Betroffene von der Gesellschaft und dem Gesundheitssystem systematisch ignoriert werden – und was dagegen zu tun ist.