Ausgabe Dezember 2000

Aufbruch in Belgrad

In den beiden führenden politischen Wochenzeitschriften Serbiens, "Vreme" und "Nin", wurde Mitte November eine ungewöhnliche Annonce geschaltet: "Wir beobachten euch genau. Passt auf, was ihr tut. Dies ist eine Warnung: Um einen Bagger zu fahren, braucht man keinen Führerschein. Das Volk ist Widerstand". In der Mitte der schwarz-weißen Annonce war die berühmte geballte Faust der Jugendbewegung "Otpor" (Widerstand) zu sehen. Unter diesem Symbol kämpften Zehntausende Jugendliche in den letzten Jahren in lose organisierten Gruppen gegen das Regime Milosevic. Viele Tausende wurden verhaftet, von der Polizei misshandelt, vor Gerichten und in der Öffentlichkeit als "Faschisten" und "Albright-Jugend" verunglimpft. Am 5. Oktober waren "Otpor"-Aktivisten in den ersten Reihen der Massendemonstration in Belgrad, die Milosovic von der Macht fegte. Ein Bagger gelangte beim Sturm auf das Parlament zu mythischem Ruhm, denn mit Hilfe dieses Geräts wurde eine Fensterzeile im Untergeschoss des Parlaments aufgerissen. Durch diese Öffnung drangen die Demonstranten in das Gebäude und schlugen die - allerdings höchst kampfunwilligen - Polizisten aus dem Parlament in die Flucht.

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Aktuelle Ausgabe November 2025

In der November-Ausgabe ergründen Carolin Amlinger und Oliver Nachtwey die Anziehungskraft des demokratischen Faschismus. Frank Biess legt die historischen Vorläufer von Trumps autoritärer Wende offen – ebenso wie die Lebenslügen der Bundesrepublik. Daniel Ziblatt zieht Lehren aus der Weimarer Republik für den Umgang mit den Autokraten von heute. Annette Dittert zeigt, wie Elon Musk und Nigel Farage die britische Demokratie aus den Angeln zu heben versuchen. Olga Bubich analysiert, wie Putin mit einer manipulierten Version der russischen Geschichte seinen Krieg in der Ukraine legitimiert. Ute Scheub plädiert für die Umverteilung von Wohlstand – gegen die Diktatur der Superreichen. Sonja Peteranderl erörtert, inwiefern sich Femizide und Gewalt gegen Frauen mit KI bekämpfen lassen. Und Benjamin von Brackel und Toralf Staud fragen, ob sich der Klimakollaps durch das Erreichen positiver Kipppunkte verhindern lässt.

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