Ausgabe Dezember 2000

Aufbruch in Belgrad

In den beiden führenden politischen Wochenzeitschriften Serbiens, "Vreme" und "Nin", wurde Mitte November eine ungewöhnliche Annonce geschaltet: "Wir beobachten euch genau. Passt auf, was ihr tut. Dies ist eine Warnung: Um einen Bagger zu fahren, braucht man keinen Führerschein. Das Volk ist Widerstand". In der Mitte der schwarz-weißen Annonce war die berühmte geballte Faust der Jugendbewegung "Otpor" (Widerstand) zu sehen. Unter diesem Symbol kämpften Zehntausende Jugendliche in den letzten Jahren in lose organisierten Gruppen gegen das Regime Milosevic. Viele Tausende wurden verhaftet, von der Polizei misshandelt, vor Gerichten und in der Öffentlichkeit als "Faschisten" und "Albright-Jugend" verunglimpft. Am 5. Oktober waren "Otpor"-Aktivisten in den ersten Reihen der Massendemonstration in Belgrad, die Milosovic von der Macht fegte. Ein Bagger gelangte beim Sturm auf das Parlament zu mythischem Ruhm, denn mit Hilfe dieses Geräts wurde eine Fensterzeile im Untergeschoss des Parlaments aufgerissen. Durch diese Öffnung drangen die Demonstranten in das Gebäude und schlugen die - allerdings höchst kampfunwilligen - Polizisten aus dem Parlament in die Flucht.

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Aktuelle Ausgabe September 2025

In der September-Ausgabe plädiert Lea Ypi für eine Migrationsdebatte im Sinne der Aufklärungsphilosophie. Cinzia Sciuto fordert, der zunehmenden Aushöhlung des Völkerrechts mit einer entschiedenen Verteidigung desselben zu begegnen – und nicht mit Resignation und falschem Realismus. Für Georg Diez markieren die Kriegsverbrechen in Gaza und die fehlenden Reaktionen darauf einen Epochenbruch; sie stünden für nicht weniger als den Verrat des Westens an der Humanität. Herfried Münkler analysiert, wie Kriege historisch endeten und Friedenszeiten begannen und was das mit Blick auf den Ukrainekrieg bedeutet. Simone Schlindwein deckt auf, wie Russland junge Afrikanerinnen mit falschen Versprechen für die Kriegswirtschaft rekrutiert. Warum die grüne Digitalisierung ein Mythos ist und was der KI-Boom den Globalen Süden kostet, erläutern Ingo Dachwitz und Sven Hilbig. Und Eva-Maria Klinkisch sowie Markus Rieger-Ladich zeigen auf, wie Long Covid-Betroffene von der Gesellschaft und dem Gesundheitssystem systematisch ignoriert werden – und was dagegen zu tun ist. 

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