Zehn Jahre nach der Unabhängigkeit steht es nicht gut um die Ukraine. Präsident Leonid Kutschma sieht sich heftiger Kritik ausgesetzt. "Kutschma weg!" fordern seit Wochen Demonstranten. Auslöser des auf der Straße zum Ausdruck gebrachten Unbehagens waren im Herbst letzten Jahres aufgetauchte Tonbandaufzeichnungen, die belegen sollen, dass die Ermordung des Journalisten Gregori Gongadse auf eine entsprechende Anordnung des Präsidenten zurückgeht. Doch die aktuellen Skandale sind nur die Spitze des Eisbergs. "Wir haben eine Systemkrise", lautet das vorläufige Fazit des Kiewer Interfax-Journalisten Oleksander Kyrylkin. Baumeister der ukrainischen Melange aus Korruption und Machtmissbrauch ist der Präsident des Landes. Kutschma verwaltet den ukrainischen Staat wie ein Betriebsdirektor und verfolgt dabei zwei strategische Ziele: die Expansion seiner Machtbefugnisse durch Veränderung des Regierungssystems und den Aufbau eines Umfeldes finanzstarker Oligarchen.
Das strukturelle Defizit des ukrainischen Politsystem liegt in der unausgewogenen Kombination präsidialer und parlamentarischer Elemente. Die Folge sind permanente Konflikte zwischen Präsident und Ministerkabinett sowie zwischen Präsident und Parlament. Um seine eigene Position in diesen Konflikt zu stärken, erweiterte Kutschma sukzessive seine verfassungsmäßige Macht.