Ausgabe Mai 2001

Das System Kutschma

Zehn Jahre nach der Unabhängigkeit steht es nicht gut um die Ukraine. Präsident Leonid Kutschma sieht sich heftiger Kritik ausgesetzt. "Kutschma weg!" fordern seit Wochen Demonstranten. Auslöser des auf der Straße zum Ausdruck gebrachten Unbehagens waren im Herbst letzten Jahres aufgetauchte Tonbandaufzeichnungen, die belegen sollen, dass die Ermordung des Journalisten Gregori Gongadse auf eine entsprechende Anordnung des Präsidenten zurückgeht. Doch die aktuellen Skandale sind nur die Spitze des Eisbergs. "Wir haben eine Systemkrise", lautet das vorläufige Fazit des Kiewer Interfax-Journalisten Oleksander Kyrylkin. Baumeister der ukrainischen Melange aus Korruption und Machtmissbrauch ist der Präsident des Landes. Kutschma verwaltet den ukrainischen Staat wie ein Betriebsdirektor und verfolgt dabei zwei strategische Ziele: die Expansion seiner Machtbefugnisse durch Veränderung des Regierungssystems und den Aufbau eines Umfeldes finanzstarker Oligarchen.

Das strukturelle Defizit des ukrainischen Politsystem liegt in der unausgewogenen Kombination präsidialer und parlamentarischer Elemente. Die Folge sind permanente Konflikte zwischen Präsident und Ministerkabinett sowie zwischen Präsident und Parlament. Um seine eigene Position in diesen Konflikt zu stärken, erweiterte Kutschma sukzessive seine verfassungsmäßige Macht.

Sie haben etwa 14% des Textes gelesen. Um die verbleibenden 86% zu lesen, haben Sie die folgenden Möglichkeiten:

Artikel kaufen (1€)
Digitalausgabe kaufen (10€)
Anmelden

Aktuelle Ausgabe September 2025

In der September-Ausgabe plädiert Lea Ypi für eine Migrationsdebatte im Sinne der Aufklärungsphilosophie. Cinzia Sciuto fordert, der zunehmenden Aushöhlung des Völkerrechts mit einer entschiedenen Verteidigung desselben zu begegnen – und nicht mit Resignation und falschem Realismus. Für Georg Diez markieren die Kriegsverbrechen in Gaza und die fehlenden Reaktionen darauf einen Epochenbruch; sie stünden für nicht weniger als den Verrat des Westens an der Humanität. Herfried Münkler analysiert, wie Kriege historisch endeten und Friedenszeiten begannen und was das mit Blick auf den Ukrainekrieg bedeutet. Simone Schlindwein deckt auf, wie Russland junge Afrikanerinnen mit falschen Versprechen für die Kriegswirtschaft rekrutiert. Warum die grüne Digitalisierung ein Mythos ist und was der KI-Boom den Globalen Süden kostet, erläutern Ingo Dachwitz und Sven Hilbig. Und Eva-Maria Klinkisch sowie Markus Rieger-Ladich zeigen auf, wie Long Covid-Betroffene von der Gesellschaft und dem Gesundheitssystem systematisch ignoriert werden – und was dagegen zu tun ist. 

Zur Ausgabe Probeabo

Weitere Artikel zum Thema

Politik vor Recht: Die Aushöhlung der liberalen Demokratie

von Miguel de la Riva

Als der FPÖ-Chefideologe und heutige Parteivorsitzende Herbert Kickl im Januar 2019 in einem ORF-Interview darauf angesprochen wurde, dass seine Asylpläne an die Grenzen von EU-Recht, Menschenrechtskonvention und Rechtsstaat stoßen, antwortete der damalige österreichische Innenminister, „dass das Recht der Politik zu folgen hat und nicht die Politik dem Recht“.

Ernst, aber nicht hoffnungslos

von Thorben Albrecht, Christian Krell

Spätestens seit Ralf Dahrendorfs berühmt gewordener These vom „Ende des sozialdemokratischen Jahrhunderts“ gehören SPD-Niedergangsprognosen zu den Klassikern der parteibezogenen Publizistik. Die Partei hat diese Prognose bisher um 42 Jahre überlebt. Aber das konstituiert keine Ewigkeitsgarantie.