Ausgabe Juli 2003

Chronik des Monats Mai 2003

1.5. – Irakkrieg. An Bord des Flugzeugträgers "Abraham Lincoln" verkündet US-Präsident Bush das Ende der Kampfhandlungen im Irak, der "Krieg gegen den Terror" sei jedoch noch nicht vorbei. Im Irak sei man Zeuge einer neuen Ära geworden. Die "New York Times" berichtet über Pläne zum Aufbau einer multinationalen Stabilisierungstruppe im Irak, um die amerikanischen und britischen Einheiten entsprechend reduzieren zu können. Neuer Chef der zivilen Übergangsverwaltung im Irak wird am 6.5. der frühere US-Diplomat L. Paul Bremer, der als Terrorismusexperte gilt. Der Präsident des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK), Jakob Kellenberger, teilt am 7.5. in Genf mit, er habe bei einem Besuch in Bagdad den Zugang zu allen irakischen Gefangenen gefordert. Dies gelte auch für die zur Fahndung ausgeschriebenen 55 Vertreter des gestürzten Regimes (vgl. "Blätter" 6/2003, S. 644 f.), die als Kriegs- oder als Zivilgefangene durch die entsprechenden Genfer Konventionen geschützt seien. Auf einer Pressekonferenz im Weißen Haus setzen sich Bush und Spaniens Regierungschef Aznar am 7.5. für die Aufhebung der Sanktionen gegenüber dem Irak ein. Strafmaßnahmen hätten mit dem Sturz des Regimes von Saddam Hussein ihren Sinn verloren. Militärbefehlshaber Franks verfügt am 11.5. die Auflösung der Baath-Partei, deren Mitgliederzahl auf 1,5 Millionen geschätzt wird. Besitz und Unterlagen der Partei seien den Besatzungsbehörden zu übergeben. In Warschau verhandeln am 22. und 23.5. Vertreter mehrerer Staaten über Teilnahme und Organisation einer von Polen geleiteten Militärzone im Irak. Premierminister Blair stattet am 29.5. den in Basra stationierten britischen Truppen einen Besuch ab.

- DGB/SPD. Auf Kundgebungen zum Tag der Arbeit üben Sprecher der Gewerkschaften unterschiedlich scharfe Kritik an der von Bundeskanzler Schröder im Bundestag am 14. März d.J. vorgelegten und vom SPD-Vorstand am 28. April d.J. mit 28 gegen vier Stimmen bei vier Enthaltungen gebilligten Agenda 2010. Der DGB-Vorstand sagt nach einer Sitzung am 6.5. die Teilnahme an einem für den gleichen Tag geplanten Treffen des SPD-Gewerkschaftsrates mit Schröder ab. Die Kontroverse über die vorgesehenen sozialen Einschnitte hält an.

2.-3.5. – EU. Die Außenminister der Mitgliedstaaten und der Beitrittskandidaten (15+10) beraten unter griechischem Vorsitz zunächst auf Rhodos und anschließend auf der Insel Kastellorizo über die Perspektiven einer gemeinsamen Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik nach den Erfahrungen des Irakkrieges. Dem informellen Treffen liegt u.a. ein Vorschlag Belgiens, Deutschlands, Frankreichs und Luxemburgs vor (Text in "Blätter" 6/2003, S. 755 ff.). Der Hohe Repräsentant für Außenpolitik und seine Mitarbeiter erhalten den Auftrag, bis zum EU-Gipfel in Thessaloniki am 20. und 21. Juni d.J. den Entwurf einer "Sicherheitsstrategie" auszuarbeiten; Bundesaußenminister Fischer spricht von einer "Sicherheitsdoktrin".

3.5. – Naher Osten. Der amerikanische Außenminister Powell konferiert in Damaskus mit Präsident Assad und Außenminister Shara. Powell erläutert die "neue strategische Lage" in der Region und verlangt von Syrien die totale Nichteinmischung im Irak, in Palästina und im Libanon. - Am 8.5. erklärt der israelische Regierungschef Scharon im Fernsehen: "Ich bin bereit, mit jeder arabischen Nation, Syrien eingeschlossen, zu verhandeln." - Am 10. und 11.5. fordert Powell in Gesprächen mit der israelischen Führung und der neuen Palästinenserregierung von den Palästinensern die Entwaffnung extremistischer Organisationen und von Israel Maßnahmen zur Verbesserung "des täglichen Lebens" in den besetzten Gebieten. - Am 14.5. berichtet die israelische Tageszeitung "Haaretz", Scharon habe sich geweigert, den Hohen EU-Repräsentanten Solana zu empfangen, weil dieser sich zuvor mit Palästinenserpräsident Arafat treffen wolle. - Am 15.5. erklärt Shara gegenüber Solana in Damaskus, Syrien sei zu einer Wiederaufnahme der Friedensverhandlungen mit Israel bereit, zweifele jedoch am Friedenswillen Scharons. Solana reist anschließend zu einem Gespräch mit Arafat und dem palästinensischen Regierungschef Abbas. - Am 17.5. findet im Amtssitz des israelischen Premierministers in Jerusalem eine erste Begegnung zwischen Scharon und Abbas statt, die von beiden Seiten unterschiedlich beurteilt wird. Es heißt, Scharon habe keinerlei Entgegenkommen gezeigt. - Am 20.5. teilt das Weiße Haus in Washington mit, Abbas habe sich in einem Telefongespräch mit Präsident Bush zur Durchführung des Friedensplans des "Nahost-Quartetts" verpflichtet (vgl. "Blätter" 6/2003, S. 646). Das israelische Kabinett stimmt dem Plan nach kontroverser Debatte am 25.5. mit zwölf gegen sieben Stimmen bei vier Enthaltungen zu. - Am 26.5. macht der französische Außenminister de Villepin einen Besuch bei Arafat in Ramallah und trifft anschließend Abbas.

7.5. – USA. Präsident Bushs Sicherheitsberaterin Rice wirft den Regierungen in Berlin und Paris in Interviews vor, die NATO vor dem Irakkrieg als Geisel genommen zu haben: "Es war beunruhigend, dass Deutschland und Frankreich versuchten, die NATO daran zu hindern, die Sicherheit der Türkei zu verstärken." Frankreich und Deutschland blieben aber weiterhin Verbündete der USA. - Am 30.5. tritt Bush eine ausgedehnte Reise nach Europa und in den Nahen Osten an. Erste Station ist Polen, wo Bush der Führung für die politische und militärische Unterstützung im Irakkrieg dankt. 

9.5. – UNO. Die USA, Großbritannien und Spanien bringen im Sicherheitsrat in New York einen umfangreichen Resolutionsentwurf zur Irak-Frage ein. - Am 12.5. fordert Generalsekretär Annan den Sicherheitsrat auf, eine militärische Intervention zur Beendigung des blutigen Bürgerkrieges in der Demokratischen Republik Kongo (Kongo-Kinshasa) zu beschließen. Frankreich habe die Bereitschaft zur Entsendung von Truppen signalisiert, falls ein klares Mandat vorliege und andere Länder sich beteiligten. Beobachter bezeichnen die Vorgänge im Kongo als Völkermord. - Am 22.5. verabschiedet der Sicherheitsrat den mehrfach geänderten Resolutionsentwurf der drei Staaten vom 9.5. mit 14 Stimmen; Syrien bleibt der Abstimmung fern, gibt aber nachträglich seine Zustimmung. Die Resolution 1483 (2003) betont das Recht des irakischen Volkes, "seine eigene politische Zukunft frei zu bestimmen und seine eigenen natürlichen Ressourcen zu kontrollieren" und verweist auf die "spezifischen Befugnisse, Verantwortlichkeiten und Verpflichtungen" der USA und Großbritanniens "als Besatzungsmächte". Den Vereinten Nationen komme beim Wiederaufbau des Irak "eine maßgebliche Rolle" zu. Ein vom Generalsekretär bestimmter "Sonderbeauftragter für Irak" soll dem Rat regelmäßig berichten. Die gegenüber dem Irak verhängten Wirtschaftssanktionen werden aufgehoben ("nicht mehr anwendbar") mit Ausnahme von "Rüstungsgütern und sonstigem Wehrmaterial". Vorgesehen ist eine Überprüfung "dieser Resolution innerhalb von zwölf Monaten nach ihrer Verabschiedung" (Ziffer 25). Sonderbeauftragter des Generalsekretärs für den Irak wird am 27.5. der Brasilianer Vieira de Mello, der sein Amt als Hochkommissar für Menschenrechte beibehält. - Am 30.5. erteilt der Sicherheitsrat einstimmig das Mandat für die Entsendung einer internationalen Eingreiftruppe in den Kongo, die zunächst aus 1 400 Mann unter französischem Kommando bestehen soll.

- Abrüstung. In Den Haag, dem Sitz der Organisation zum Verbot chemischer Waffen (Organization for the Prohibition of Chemical Weapons/OPCW) wird mit der Annahme einer politischen Erklärung die erste Revisionskonferenz zum "Übereinkommen über das Verbot der Entwicklung, Herstellung, Lagerung und des Einsatzes chemischer Waffen und über die Vernichtung solcher Waffen" beendet. Dem Übereinkommen (vgl. "Blätter" 3/1993, S. 261) gehören 151 Staaten an. Nicht beigetreten sind bisher u.a. Nordkorea, der Irak, Libyen, Ägypten und Syrien sowie Israel.

- BRD/USA. Bundeskanzler Schröder setzt sich vor der Amerikanischen Handelskammer in Berlin für eine Verbesserung der Beziehungen Deutschlands zu den Vereinigten Staaten ein. Ohne die Vereinigten Staaten als Garanten des Friedens hätte Deutschland nicht zur Vollendung seiner staatlichen Einheit in Freiheit finden können. Unter dem Beifall der Festversammlung würdigt Schröder die Verdienste von George Bush, dem Vater des amtierenden US-Präsidenten. - Am 16.5. kommt Außenminister Powell nach Berlin. Nach Gesprächen mit Schröder und Bundesaußenminister Fischer heißt es, der Dialog sei offen und ehrlich gewesen, wie unter Freunden üblich.

- Afghanistan/USA. Der stellvertretende amerikanische Außenminister Armitage versichert Präsident Karsai in Kabul, die USA würden Afghanistan trotz ihres Engagements im Irak weiterhin unterstützen. Armitage drängt auf verstärkte Kontrollen entlang der Grenze zu Pakistan, um das Einsickern von Taliban-Kämpfern aus dem Nachbarland zu verhindern.

13.5. – NATO. Generalsekretär Robertson hält sich anlässlich einer Sitzung des NATO-Russland-Rates in Moskau auf. Verteidigungsminister Iwanow teilt mit, Russland werde sich Anfang August d.J. aus den Friedensmissionen im Kosovo und in Bosnien-Herzegowina zurückziehen.

- Saudiarabien. In der Hauptstadt Riad kommt es zu drei zeitgleichen Bombenanschlägen in vorwiegend von Ausländern bewohnten Vierteln. Die Behörden geben die Zahl der Toten mit mindestens 29, darunter 7 US-Bürger, und 194 Verletzten an. US-Präsident Bush erklärt, die Anschläge zeigten, dass der "Krieg gegen den Terrorismus" weitergehen müsse.

14.5. - USA/Korea. Präsident Bush und Südkoreas Regierungschef Roh Moo Hyun befürworten nach einem Treffen im Weißen Haus vor der Presse ein atomwaffenfreies Korea. Man werde den Besitz von Atomwaffen durch Nordkorea nicht hinnehmen, sich aber weiterhin um eine friedliche Lösung des Konflikts bemühen.

- Russland/USA. Präsident Putin empfängt in Moskau den amerikanischen Außenminister Powell. Trotz der Differenzen über den Irakkrieg, so Putin, sei es gelungen, die Basis der Partnerschaft zu erhalten. Nun gelte es, sich gemeinsam darum zu bemühen, den Irakern zu einem besseren Leben zu verhelfen.

18.5. – Belgien. Bei den Wahlen zur Abgeordnetenkammer kann die "Regenbogen-Koalition" ihre parlamentarische Mehrheit behaupten. Die Liberalen von Ministerpräsident Verhofstadt sowie die Sozialisten legen zu, die Grünen (Agalev und Ecolo) müssen starke Verluste hinnehmen. Der nationalistische Vlaams Blok kann seine Position im flämischen Landesteil erneut ausbauen. In Brüssel wird mit einem Bündnis der Liberalen und Sozialisten unter Ausschluss der Grünen gerechnet.

21.5. – Bundeswehr. Bundesverteidigungsminister Struck erläutert nach einer Kabinettssitzung vor der Presse in Berlin künftige Pläne für die Entwicklung der Streitkräfte. Dabei trete die herkömmliche Landesverteidigung in den Hintergrund. Die Bundeswehr müsse vor allem auf die internationale Konfliktverhütung und Krisenbewältigung einschließlich des Kampfes gegen den Terrorismus vorbereitet sein. Struck befürwortet im Gegensatz zu den Grünen die Beibehaltung der Wehrpflicht.

- Österreich. Die "Neue Zürcher Zeitung" veröffentlicht ein viel beachtetes Interview, in dem sich Bundespräsident Klestil besorgt zeigt. Die politisch-soziale Harmonie der letzten 50 Jahre sei durch Stil und Vorgehen der ÖVP/FPÖ-Regierung unter Bundeskanzler Schüssel namentlich in der aktuellen Kontroverse um die Pensionsreform akut gefährdet. Klestil erinnert an seine verfassungsmäßigen Kompetenzen: Er könne zwar einzelne Minister nicht entlassen, wohl aber den Kanzler selbst.

25.5. – Bremen. Die Bestätigung der Sozialdemokraten als stärkste Kraft, Verluste für die Christdemokraten und Zugewinn für die Grünen sind das Ergebnis der Wahl zur Bürgerschaft von Bremen und Bremerhaven (Land Bremen). Die Schill-Partei, die erstmals antritt, erreicht 4,3% der Stimmen. Landesweit unter fünf Prozent bleiben auch die Freien Demokraten und die Deutsche Volksunion (DVU), die jedoch die Sperrklausel in Bremerhaven überwinden und mit je einem Abgeordneten in die Bürgerschaft einziehen können. Die Wahlbeteiligung liegt bei 61,4% (1999: 60,2%). Nach dem vorläufigen amtlichen Endergebnis entfallen (Angaben in %) auf die fünf im Landesparlament vertretenen Parteien: SPD 42,3 (1999: 42,6), CDU 29,9 (37,1), Grüne 12,8 (8,9), FDP 4,2 (2,5), DVU 2,3 (3,0). Zusammensetzung der neuen Bürgerschaft (83, bisher 100 Abgeordnete): SPD 40 (1999: 47), CDU 29 (42), Grüne 12 (10), FDP 1 (-), DVU 1 (1). Bürgermeister Henning Scherf (SPD) und sein Stellvertreter Hartmut Perschau (CDU) hatten sich schon im Wahlkampf für die Fortsetzung der Großen Koalition ausgesprochen. (Zur Bürgerschaftswahl vom 6. Juni 1999 vgl. "Blätter" 2/2000, S. 254.)

27.5. – Niederlande. Der amtierende Ministerpräsident Balkenende (CDA) bildet ein neues Kabinett, das aus acht Vertretern der Christdemokraten (CDA), sechs der Liberalen (VWD) und zwei der Demokraten (D66) besteht. Koalitionsverhandlungen mit den Sozialdemokraten (PvdA) nach den Parlamentswahlen (vgl. "Blätter" 3/2003, S. 262) waren gescheitert.

- Russland/China. Der chinesische Präsident Hu Jintao besucht seinen russischen Amtskollegen Putin auf dessen Landsitz in der Nähe von Moskau. Beide Politiker bekräftigen die strategische Partnerschaft zwischen ihren Ländern und setzen sich für eine multipolare Weltordnung ein.

30.5. – GUS. Mit einem Gipfel der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten beginnen die Feierlichkeiten zum 300. Jahrestag von St. Petersburg. Russlands Präsident Putin empfängt an den folgenden Tagen Staats- und Regierungschefs aus Ost und West. 

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