1.4. – EU. Auf Initiative von Premierminister Juncker treffen sich in Luxemburg die Regierungschefs von sieben Mitgliedstaaten der Europäischen Union zu einem "Gipfel der Kleinen". Die Teilnehmer (Belgien, Finnland, Irland, die Niederlande, Österreich, Portugal und Gastgeber Luxemburg) wenden sich gegen von Deutschland und Frankreich unterstützte Bestrebungen, den halbjährlich wechselnden Vorsitz abzuschaffen und durch einen von den Regierungen bestimmten Ratspräsidenten zu ersetzen. Befürwortet wird die Wahl des Kommissionspräsidenten durch das Europäische Parlament. – Am 16.4. werden am Fuße der Akropolis in Athen die Beitrittsverträge mit Estland, Lettland, Litauen, Malta, Polen, Slowakei, Slowenien, Tschechien, Ungarn und Zypern unterzeichnet, die im Mai 2004 in Kraft treten sollen; die Union wird dann 25 Vollmitglieder haben. Am Rande der Zusammenkunft im Kreis der EU-25, an der UN-Generalsekretär Annan als Gast teilnimmt, verständigen sich die im Sicherheitsrat vertretenen vier EU-Mitglieder Frankreich, Großbritannien, Deutschland und Spanien auf ein Positionspapier zur Irak-Frage als Grundlage für weitere Beratungen. – Am 29.4. folgen Bundeskanzler Schröder, Frankreichs Präsident Chirac und Luxemburgs Premierminister Juncker der Einladung des belgischen Regierungschefs Verhofstadt zu einem "Vierergipfel" nach Brüssel. Vereinbart wird eine engere Zusammenarbeit in Verteidigungsfragen und der Aufbau gemeinsamer Strukturen als Teil eines Prozesses zur Stärkung der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP) (Text in „Dokumente zum Zeitgeschehen“). Die Vorschläge finden bei den übrigen Mitgliedstaaten ein geteiltes Echo.
- Irakkrieg. Informationsminister Sahhaf verliest am 1.4. im Staatsfernsehen eine Präsident Saddam Hussein zugeschriebene Botschaft: "Die Aggression, welche die Aggressoren gegen die Hochburg des Glaubens ausüben, ist eine Aggression gegen die Religion, den Wohlstand, die Ehre und die Seele, eine Aggression gegen das Land des Islam." Die amerikanisch-britischen Streitkräfte unter dem Kommando von US-General Tommy Franks dringen von allen Seiten weiter in das Landesinnere vor (vgl. "Blätter" 5/2003, S. 517). Die Luftwaffe unterstützt die Bodenoffensive und setzt dabei auch die umstrittenen Streubomben ein. Über die militärische Lage werden in den kommenden Tagen unterschiedliche und sich widersprechende Angaben gemacht. Es heißt jedoch übereinstimmend, der Widerstand der regulären irakischen Armee und der Sondertruppen lasse nach. In Washington erklärt ein Sprecher des Verteidigungsministeriums, man betrachte auch Zivilisten als Kämpfer, "bis das Gegenteil bewiesen ist." Der amerikanische Außenminister Powell erhält am 2.4. in Ankara die Zusage, die Türkei werde ihre Grenzen zum Irak für die Lieferung von humanitären Hilfsgütern öffnen und den Nachschub für die allierten Truppen über ihr Territorium gestatten. Powell nennt die Türkei "ein sehr wichtiges Mitglied" der Koalition der Willigen. Erste amerikanische Panzerverbände erreichen am 17. Kriegstag (5.4.) die Vororte Bagdads und den internationalen Flughafen. Der türkische Außenminister Gül empfängt am gleichen Tag in Ankara den iranischen Außenminister Kharrazi. Beide Politiker lehnen einen eigenen Staat für die Kurden im Nordirak strikt ab. Bei der Neugestaltung des Irak müssten die Ängste und Sorgen der Nachbarländer Berücksichtigung finden. Amerikanische Soldaten demontieren am 9.4. zum Zeichen des Sieges auf einem der zentralen Plätze der Hauptstadt eine Statue Saddam Husseins. Beobachter verweisen auf ein gefährliches Machtvakuum. Mit dem Zusammenbruch der öffentlichen Ordnung und dem Ausfall der Energie- und Wasserversorgung kommt es zu Plünderungen staatlicher Einrichtungen, von Geschäften und Privatwohnungen früherer Funktionsträger durch Teile der Bevölkerung. Regierungsgebäude gehen in Flammen auf. Die Militärbehörden schreiben 55 führende Funktionsträger des gestürzten Regimes zur Fahndung aus, an erster Stelle Präsident Saddam Hussein. Einige der auf der Liste verzeichnete Personen werden in Haft genommen, andere stellen sich, darunter der ehemalige stellvertretende Regierungschef Tarik Aziz. US-Präsident Bush wendet sich am 10.4. über die Medien an die irakische Bevölkerung und spricht von begrenzten Zielen der Militäroperation. Zunächst werde man beim Aufbau einer "repräsentativen Regierung" helfen und anschließend die Truppen abziehen. Der pensionierte US-Heeresgeneral Jay Garner trifft von Kuwait kommend am 21.4. in Bagdad ein, um die Leitung eines Amtes für Wiederaufbau und humanitäre Unterstützung zu übernehmen, dessen Kompetenzen später an eine Übergangsverwaltung (Iraqi Interim Authority/IIA) übergehen sollen. Garner und sein britischer Stellvertreter Cross fordern die Iraker zur Mitarbeit auf. Bush äußert am 24.4. die Vermutung, Saddam Hussein habe seine Massenvernichtungswaffen bereits vor dem Krieg zerstört: "Aber wir wissen, dass er sie hatte, und egal ob er sie zerstört, weggeschafft oder versteckt hat, wir werden die Wahrheit darüber herausfinden." In Bagdad und anderen Städten, so in Tikrit, dem Geburtsort Saddam Husseins, fordern Demonstranten den baldigen Abzug der fremden Truppen. Der Irak müsse von Irakern regiert werden. Scheich Moajjad Ibrahim el Aadhamiin, ein führender sunnitischer Geistlicher, ruft am 29.4. nach dem Freitagsgebet in einer Moschee der Hauptstadt zum Widerstand gegen die USA auf: "Wir werden einen Tyrannen nicht durch einen anderen ersetzen."
3.4. – EU/NATO. In Brüssel finden informelle Treffen der Europäischen Union und der Nordatlantischen Allianz auf Außenministerebene statt, bei denen es um den Irak-Krieg und seine Folgen geht. An der Sitzung des Nordatlantikrates nimmt auch der amerikanische Außenminister Powell teil.
- Bundesregierung. Bundeskanzler Schröder befasst sich in einer Regierungserklärung vor dem Bundestag mit den Konsequenzen des Irak-Krieges für die Europäische Union. Schröder plädiert für die Fortentwicklung der gemeinsamen Außenpolitik zu einer Sicherheits- und Verteidigungsunion. Künftig sollten sich die EU-Staaten an Blauhelm-Missionen nicht mehr mit nationalen Truppen, sondern im Rahmen eines europäischen Kontingents beteiligen. Die Union brauche einen Außenminister anstelle der bisherigen Doppelbesetzung mit einem Kommissar und einem Hohen Beauftragten.
- Russland/USA. Präsident Putin spricht sich vor Journalisten auf seinem Landsitz bei Moskau für die weitere Zusammenarbeit mit den USA aus, ungeachtet aller Differenzen. Emotionen seien ein schlechter Ratgeber. Russland werde sich nicht in die Irakkrise verwickeln lassen. Nach einem Gespräch mit seinem amerikanischen Kollegen Powell in Brüssel erklärt Außenminister Iwanow, Russland sei offen für die Kooperation mit allen Staaten, vor allem mit den Mitgliedern des UN-Sicherheitsrates. – Am 7.4. empfängt Putin die US-Sicherheitsberaterin Rice, die während ihres Aufenthaltes in Moskau auch mit Außenminister Iwanow und Verteidigungsminister Iwanow zusammentrifft. Im Mittelpunkt aller Gespräche stehen die bilateralen Beziehungen und die Nachkriegsordnung im Irak.
4.4. – Finnland. Die Zentrumspartei (KESK) einigt sich mit den Sozialdemokraten (SDP) und der Schwedischen Volkspartei (SFP) auf die Bildung einer Koalition, die sich im Parlament auf 116 der 200 Sitze stützen kann. Bei den Reichstagswahlen vom 16. März d.J. hatte das Zentrum die Sozialdemokraten als stärkste Partei abgelöst. Mit der Zentrumsvorsitzenden Anneli Jäätteenmäki steht in Helsinki erstmals eine Frau an der Spitze der Regierung. Der bisherige Regierungschef Paavo Lipponen (SDP) übernimmt das Amt des Parlamentspräsidenten.
7.4. – UNO. Generalsekretär Annan unterrichtet den Sicherheitsrat über die Ernennung des Pakistaners Rafeeuddin Ahmed zum Sonderberater für den Irak. Die Vereinten Nationen müssten eine wichtige Rolle beim Wiederaufbau und beim Übergang zur demokratischen Selbstverwaltung im Irak übernehmen. Die neue Regierung in Bagdad benötige internationale Legitimität. – Am 21.4. wählt eine Konferenz der Vertragsstaaten des Internationalen Strafgerichtshofes in New York den Argentinier Luis Moreno Ocampo einstimmig zum Leiter der Anklagebehörde (vgl. "Blätter" 5/2003, S. 516). Der Jurist gilt als Spezialist für die Menschenrechte. – Am 22.4. debattiert der Sicherheitsrat über die von den USA gewünschte Aufhebung der Sanktionen gegen den Irak. Frankreich schlägt vor, die Sanktionen zunächst auszusetzen und erst nach Bildung einer legitimen irakischen Regierung aufzuheben und gleichzeitig das Programm "Öl für Lebensmittel" zu beenden. – Am 29.4. fordert IAEO-Generaldirektor ElBaradei vor Journalisten in Wien die Wiederaufnahme der Rüstungskontrollen im Irak (zum Abbruch vgl. "Blätter" 5/2003, S. 516). Wer immer sich sonst dieser Aufgabe annehme, habe ein Glaubwürdigkeitsproblem, besonders in der arabisch-muslimischen Welt. Das Mandat des Sicherheitsrates für die Internationale Atomenergie-Organisation sei weiterhin in Kraft.
7.-8.4. – Großbritannien/USA. Premierminister Blair und der amerikanische Präsident Bush erörtern in der Nähe der nordirischen Hauptstadt Belfast den Stand der gemeinsamen Militäraktion im Irak und den Fortgang des Friedensprozesses im Nahen Osten. Beide Politiker setzen ihren Meinungsaustausch von Camp David (26.-27. März d.J.) fort. – Am 11.4. heißt es in einem von der Zeitung "Die Welt" veröffentlichten Interview mit dem amerikanischen Außenminister Powell, den Vereinten Nationen werde im Irak eine vitale, aber keine zentrale Rolle zukommen. Anfang des Monats hatte Sicherheitsberaterin Rice in Washington eine entsprechende Forderung Frankreichs und Deutschlands zurückgewiesen. Es sei nur natürlich, dass die von den USA geleitete Koalition diese führende Rolle beanspruche, nachdem ihre Truppen für die Befreiung des Irak "Leben und Blut" gegeben hätten. – Am 28.4. befürwortet Blair gegenüber der "Financial Times" eine Vormachtstellung (Machtpol) der USA: "Einige wollen eine so genannte multipolare Welt, in der man verschiedene Machtzentren hat, aber ich glaube, dass sich diese schnell zu rivalisierenden Machtzentren entwickeln würden."
9.4. – Naher Osten. Trotz kritischer Äußerungen aus Israel besucht Bundesaußenminister Fischer als erster hochrangiger Politiker aus Westeuropa das im September v.J. durch die israelische Armee stark beschädigte PLO-Hauptquartier in Ramallah, wo er mit Palästinenserpräsident Arafat und dem designierten Regierungschef Abbas zusammentrifft (vgl. "Blätter" 11/2002, S. 1284 und 5/2003, S. 518). In Pressekommentaren heißt es, Fischer wolle mit seinen Gesprächen in der Region den Anspruch der Bundesrepublik auf Mitsprache im Nahen Osten unterstreichen. – Am 30.4., wenige Stunden nach Vereidigung des palästinensischen Kabinetts, erhalten Abbas und der israelische Premier Scharon den vom "Madrider Quartett" (UN, EU, Russland, USA) ausgearbeiteten "Fahrplan" (Road Map), um den israelisch-palästinensischen Konflikt in drei Etappen bis zum Jahr 2004/05 beizulegen. (Text in „Dokumente zum Zeitgeschehen“)
11.-12.4. – Russland/Deutschland. Präsident Putin und Bundeskanzler Schröder treffen sich am Rande des deutsch-russischen "Petersburger Dialog" zu einem Meinungsaustausch, an dem auch Frankreichs Staatspräsident Chirac teilnimmt. Auf einer gemeinsamen Pressekonferenz wird das Ende des despotischen Regimes von Saddam Hussein begrüßt, aber nachdrücklich die Rückkehr zum Multilateralismus unter dem Dach der Vereinten Nationen gefordert. Der Bundeskanzler erklärt, die Beziehungen zwischen Russland und Deutschland seien so gut wie nie seit 100 Jahren, richteten sich aber nicht gegen die transatlantische Allianz.
15.4. – Deutschland/Großbritannien. Bundeskanzler Schröder unterrichtet Premierminister Blair in einem kurzen Gespräch auf dem Flughafen von Hannover über sein Treffen mit den Präsidenten Putin und Chirac in St. Petersburg (11.-12.4.). Schröder weist vor der Presse auf die Meinungsverschiedenheiten mit Blair über die Notwendigkeit des Krieges gegen den Irak hin. Jetzt müsse man jedoch nach vorn blicken, dazu seien intakte transatlantische Beziehungen nötig.
22.4. – Serbien–Montenegro. Der nach der Ermordung von Regierungschef Djindjić in Serbien verhängte Ausnahmezustand wird aufgehoben (vgl. "Blätter" 5/2003, S. 516 f.). In Belgrad heißt es, man habe die Mörder und ihre Hintermänner ermitteln können.
23.-25.4. – Korea/USA. Diplomaten Nordkoreas und der USA verhandeln in Anwesenheit chinesischer Beobachter in Peking über das umstrittene von der Regierung in Pjöngjang verfolgte Atomprogramm. Ergebnisse werden nicht bekannt. Die Presse berichtet, der nordkoreanische Delegationsleiter habe gegenüber seinem amerikanischen Gesprächspartner zugegeben, sein Land verfüge nach der Aufarbeitung von 8 000 abgebrannten Kernbrennstäben bereits über Atomwaffen.
28.4. – GUS. Der kirgisische Staatschef Askar Akajew kündigt nach einer Konferenz der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten in der tadschikischen Hauptstadt Duschanbe die Aufstellung einer gemeinsamen Eingreiftruppe unter Einschluss der Luftwaffe an. Als Aufgabe der Truppe bezeichnet Präsident Putin den Kampf gegen Terrorismus und Drogenschmuggel in Zentralasien. Russland werde sein Kontingent von derzeit etwa 10 000 Mann an der tadschikischen Grenze zu Afghanistan aufstocken.