Der im September erscheinende Weltentwicklungsbericht 2006 der Weltbank wird sich einem brennenden Thema widmen: der Ungleichheit. Gleich am Anfang des bereits vorliegenden Entwurfs wird allerdings klargestellt, dass man damit nicht etwa mehr Einkommensgleichheit oder Verteilungsgerechtigkeit meint.1 Der im Titel verwendete Begriff equity wird im Sinne von Chancengleichheit (opportunities), des "ebenen Spielfelds" verstanden, wobei vorausgesetzt wird, dass gleiche Chancen keineswegs zu einer ausgeglicheneren Einkommensverteilung führen müssen. So zielt mehr Chancengleichheit diesem Ansatz zufolge nicht auf Umverteilung, im Gegenteil: Ist das "Spielfeld" eben, müssen die Verteilungsergebnisse politisch hingenommen werden. Einkommensungleichheit ist wegen der angeblich positiven Wirkung auf Investitionen sogar ausdrücklich erwünscht. Lediglich extreme Formen der Armut sollen politisch bekämpft werden.
Damit wendet sich der Bericht gegen Eingriffe in Marktprozesse, denn diesen wird unterstellt, sie führten per se zu "gerechten" Ergebnissen. Der Gedanke einer sozial gestalteten Marktwirtschaft wird abgelehnt. Der Text ist damit nebenbei ein gutes Beispiel dafür, wie im Zuge des marktradikalen Mainstream versucht wird, fortschrittliche Begriffe wie den der Gleichheit reaktionär umzudeuten und mit neuen Inhalten zu besetzen.