Als vor zweieinhalb Jahrtausenden die Antigone des Sophokles uraufgeführt wurde, stand die Hauptgestalt nur in einfacher Ausfertigung auf der Bühne. Das moderne Regietheater hat es inzwischen mit sich gebracht, dass die Jungfrau von Orleans, Faust, Gretchen doppelt, fünffach oder zehnfach auf die Bühne geworfen werden. Aber gleich 100 Antigonen auf einen Schlag, dies kann nur in der Gegenwart, auf der großen Bühne der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" (FAZ) geschehen. Über 100 Diplomaten schalteten dort eine Anzeige zum ehrenden Gedenken an einen verstorbenen Kollegen, dem das Auswärtige Amt dies versagt hatte.
Sie taten dies in Erinnerung an die Antigone des Sophokles. So schrieb es Frank Elbe, der deutsche Botschafter in der Schweiz, in einem Brief an Bundesaußenminister Joseph Fischer. "Der Protest Elbes und – nach Berichten – einer Vielzahl aktiver Diplomaten ist ohne Beispiel", freute sich die "Zeitung für Deutschland" und druckte den Brief.1
Der Botschafter hielt seinem Minister vor, was einst mit Kreon geschah: "Er scheitert an seiner menschlichen Überheblichkeit und Verblendung in der Machtauseinandersetzung mit Antigone." Und die FAZ kommentierte tags darauf: "Der Stil, in dem der gestern in dieser Zeitung gedruckte Protestbrief des Botschafters Elbe gehalten ist, nötigt Bewunderung ab: Der von ihm zitierten Antigone gleich wahrt der Autor die Fassung, um Fassungslosigkeit zu bekunden.