Der 1. November 2015 wird als eine fatale Zäsur in die Geschichte der Türkei eingehen. Dieser Wahlsonntag entschied auf einen Schlag einen gesellschaftlichen Kampf, der im Juni 2013 begonnen hatte und bis Ende Oktober 2015 andauerte. Dabei ging es um die zentrale politische Ausrichtung des Landes – entweder in Richtung einer eher säkularen Demokratie, die sich am Westen orientiert, oder in Richtung einer stark islamisch grundierten, autoritär-patriarchalischen Herrschaft, die sich im besten Falle noch formal um eine demokratische Fassade bemüht und sich außenpolitisch nach Osten orientiert. Dieser Grundkonflikt bestimmt die türkische Gesellschaft seit Jahrzehnten, erreichte in den letzten zweieinhalb Jahren aber einen neuen Höhepunkt.
Im Juni 2013 begann ein Aufstand, der sich gegen die autokratisch-islamische Entwicklung richtete, die Präsident Recep Tayyip Erdogan und seine AKP (Partei für Gerechtigkeit und Fortschritt) immer stärker repräsentierten. Dieser demokratische Aufbruch endete – zumindest vorläufig, wenn auch auf unabsehbare Zeit – mit dem Wahlsieg der AKP am 1. November. Mit diesem Sieg ist der Versuch, Erdogans Griff nach der absoluten Macht zu verhindern, gescheitert. Mit 50 Prozent der Wähler im Rücken kann Erdogan nun alle Widerstände beseitigen, die dem Umbau der Türkei in einen islamischen autoritären Staat noch entgegenstehen.