Kanadas neue Regierung hat schon vor ihrem Amtsantritt enorme Erwartungen geweckt. Die Liberalen um Spitzenkandidat Justin Trudeau wollen die Partei des Wandels und der Neuerung sein. Entsprechend groß sind die politischen Begehrlichkeiten, die an sie herangetragen werden – und die sie weder alle erfüllen können noch wollen. Ihren Status als Hoffnungsträger verdanken die Liberalen dabei wesentlich ihrem jungen und telegenen Spitzenkandidaten. Er tritt damit in die Fußstapfen seines Vaters Pierre Trudeau, der als Premierminister in den 1980er Jahren nicht zuletzt den Multikulturalismus in Kanada verankert hatte. Nun führte Trudeau Junior die Partei bei den Wahlen am 19. Oktober überraschend zu gut 39,5 Prozent der Stimmen und einer soliden Mehrheit im Parlament.
Profitieren konnten die Liberalen dabei von der Unbeliebtheit des bisherigen Ministerpräsidenten Stephen Harper. Nach fast zehn Jahren an der Regierung hatte sich seine Konservative Partei in mehrere Skandale verstrickt und den Großteil ihres Führungspersonals verschlissen. Schwerer wog noch, dass viele Kanadier die Regentschaft der Konservativen als unvereinbar mit den Werten empfanden, denen sie sich mehrheitlich verpflichtet fühlen. Die Kanadier pflegen das Selbstbild einer sozial und politisch fortschrittlichen, friedliebenden Gesellschaft. Und das stand in zunehmendem Widerspruch zur sozialen und politischen Realität des Landes.