Ausgabe Dezember 2021

Chronik des Monats Oktober 2021

1.10. – UNO. Im Sicherheitsrat scheitert die Verurteilung Nordkoreas wegen seiner umstrittenen Raketenversuche am Veto Chinas und Russlands. Ein entsprechender Resolutionsentwurf war von Frankreich und Großbritannien eingebracht worden. – Am 14.10. bestimmt die Generalversammlung 17 neue Mitglieder des UN-Menschenrechtsrats (Human Rights Council/HRC), darunter die USA, die damit in das Gremium zurückkehren. Während der Präsidentschaft Trump hatte Washington den Rat demonstrativ verlassen.

        China. Aus Anlass des 72. Jahrestages der Gründung der Volksrepublik China am 1. Oktober 1949 bekräftigt die Regierung in Peking ihren Anspruch auf „Eingliederung“ der Insel Taiwan in das „chinesische Mutterland“. Die regierungsnahe „Global Times“ schreibt, es sei „nur eine Frage der Zeit, bis Taiwans separatistische Behörden fallen werden“. – Am 25.10. schließt Amnestie International nach rund vier Jahrzehnten das Büro in der zu China gehörenden ehemaligen britischen Kronkolonie Hongkong. Es sei „praktisch unmöglich, frei und ohne Angst vor ernsthaften Vergeltungsmaßnahmen zu arbeiten“.

4.10. Italien/Spanien. Ein italienisches Gericht lehnt die Auslieferung des ehemaligen katalanischen Regionalpräsidenten Carles Puigdemont an Spanien ab und stellt das Verfahren vorläufig ein. Zunächst müsse der Europäische Gerichtshof (EuGH) eine endgültige Entscheidung über die Aufhebung von Puigdemonts Immunität als Europaparlamentarier und die Gültigkeit des spanischen Auslieferungsersuchens treffen. Puigdemont, der persönlich vor Gericht erscheint und dem in Spanien Separatismus vorgeworfen wird, lebt seit vier Jahren im belgischen Exil.

5.10. USA. Die Regierung veröffentlicht Angaben zur atomaren Rüstung seit 1945. Mit Stand vom 30. September 2020 hätten die Streitkräfte über 3750 Atomsprengköpfe verfügt, dies sei ein Rückgang nach dem Höchststand im Jahr 1967. – Am 22.10. gibt Präsident Biden eine militärische Beistandserklärung für Taiwan ab. In Washington heißt es dazu, die Erklärung sei ein Signal an die Regierung in Peking, die Taiwan als „abtrünnige Provinz“ bezeichnet.

5.-6.10. EU. In Slowenien findet ein Gipfel der Europäischen Union statt, der sich am zweiten Tag mit der Frage des Westbalkan befasst. Unter dem Titel „Open Balkan“ hatten Albanien, Nord-Mazedonien und Serbien ein Abkommen über die Schaffung einer Freihandelszone und den Wegfall der Personenkontrollen zwischen den drei Staaten vorgeschlagen. Damit solle eine „Mini-Schengen-Zone“ auf dem Balkan entstehen. 

6.10. Österreich. Die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) ordnet Hausdurchsuchungen im Bundeskanzleramt, in der Zentrale der Österreichischen Volkspartei (ÖVP) und im Finanzministerium an. Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) und neun Personen aus dem engeren Umfeld werden Bestechung, Bestechlichkeit und Untreue vorgeworfen, so soll Geld zweckentfremdet vom Finanzministerium an ein Medienunternehmen geflossen sein. Kurz weist alle Anschuldigungen zurück, verzichtet am 9.10. auf das Amt des Bundeskanzlers, bleibt aber Vorsitzender der regierenden Volkspartei und übernimmt den Fraktionsvorsitz im Parlament (Nationalrat). Bundespräsident Van der Bellen vereidigt am 11.10. den bisherigen Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP) als neuen Bundeskanzler.

7.10. „Ampel-Koalition“. Zehn Tage nach der Bundestagswahl (vgl. „Blätter“, 11/2021, S. 127) nehmen die Spitzen von Sozialdemokraten, Grünen und Freien Demokraten Gespräche auf, um in einer „Dreierrunde“ die Möglichkeiten einer gemeinsamen Koalition auszuloten. Der CDU-Vorsitzende und Kanzlerkandidat Armin Laschet kündigt nach der Wahlniederlage seiner Partei eine personelle Neuaufstellung der CDU an und erklärt seine Bereitschaft, auf den Parteivorsitz zu verzichten. Der SPD-Kanzlerkandidat Bundesfinanzminister Scholz begrüßt die Zustimmung von Grünen und FDP zu einem gemeinsamen Vorgehen. Es gehe um den Fortschritt Deutschlands, die wirtschaftliche und industrielle Modernisierung und den verstärkten Kampf gegen den Klimawandel. Der Grünen-Ko-Vorsitzende Habeck erklärt, mit SPD und FDP seien die größten inhaltlichen Schnittmengen denkbar, vor allem gesellschaftspolitisch.

        Polen/EU. Das Verfassungsgericht (Trybunal Konstytucyjny) in Warschau stellt die Gültigkeit einiger Artikel der Europäischen Verträge für Polen in Frage. Grundsätzlich seien EU-Verträge der polnischen Verfassung untergeordnet und müssten mit dieser vereinbar sein. Jeder Versuch des Europäischen Gerichtshofs (EuGH), sich in das polnische Justizwesen einzumischen, verstoße gegen „die Regel, dass die Souveränität im Prozess der europäischen Integration bewahrt“ bleibe. Der EuGH hatte Teile der polnischen Justizreform für ungültig erklärt und als Verstoß gegen EU-Recht bezeichnet. Der ehemalige EU-Ratspräsident und polnische Oppositionsführer Donald Tusk ruft alle, die ein europäisches Polen verteidigen wollen, zu Protesten gegen das Verfassungsgerichtsurteil auf. Der zuständige EU-Kommissar Reynders erklärt am Rande eines Treffens der EU-Justizminister am 8.10. in Luxemburg, der Vorrang des europäischen Rechts gegenüber nationalem Recht gehöre für ihn zu den Grundprinzipien der Europäischen Union. – Am 19.10. übt Kommissionspräsidentin von der Leyen vor dem Europa-Parlament in Straßburg heftige Kritik an der polnischen Haltung. „Wir können und wir werden es nicht zulassen, dass unsere gemeinsamen Werte aufs Spiel gesetzt werden.“ Das Urteil aus Warschau sei „eine unmittelbare Herausforderung der Einheit der europäischen Rechtsordnung.“ Polens Ministerpräsident Morawiecki antwortet vor den Abgeordneten auf von der Leyen und spricht von „Erpressung“. Sein Land halte sich an geltende Verträge, verteidige aber die Unabhängigkeit seiner Verfassung. „Die Kompetenzen der EU haben ihre Grenzen.“ 

8.10. Friedensnobelpreis. Das norwegische Nobelkomitee vergibt in Oslo den Friedensnobelpreis 2021 an die Journalistin Maria Ressa (Philippinen) und den Journalisten Dmitri Muratow (Russland). Beide seien für ihre Bemühungen um die Wahrung der Meinungsfreiheit als eine Voraussetzung für Demokratie und dauerhaften Frieden ausgezeichnet worden.

8./9.10. Tschechische Republik. Ministerpräsident Andrej Babis und seine Bewegung ANO verlieren bei den Parlamentswahlen knapp ihre Mehrheit und werden von dem Wahlbündnis Spolu überholt.

12.10. Afghanistan. Vertreter der G20 beraten auf einer Videokonferenz über die prekäre Lage in Afghanistan. Die Europäische Union verhandelt mit den Taliban in Katar. Aus Kandahar wird am 15.10. ein Terroranschlag gemeldet, der viele Tote und Verletzte fordert. Außenminister Lawrow empfängt am 20.10. Vertreter der Taliban in Moskau.

14.10. Norwegen. Der Sozialdemokrat Gahr Störe wird neuer Ministerpräsident an der Spitze einer Minderheitsregierung. Dem neuen Kabinett gehören zehn Frauen und neun Männer an.

16.10. Italien. In Rom demonstrieren am Wochenende Zehntausende unter dem Motto „Nie mehr Faschismus: Für Arbeit, Mitbestimmung und Demokratie.“ Zu der Kundgebung hatten die drei Gewerkschaftsbünde CGIL, CISL und UIL aufgerufen. Mitglieder der rechtsradikalen Partei Forza Nuova hatten eine Woche zuvor den Sitz der Gewerkschaft CGIL attackiert und Einrichtungen zerstört. Zahlreiche Politiker fordern die Auflösung dieser Partei.

18.10. Russland. Außenminister Lawrow teilt in Moskau mit, Russland werde die Arbeit seiner Ständigen Vertretung bei der Nato in Brüssel einstellen. Auch die Tätigkeit des Nato-Informationsbüros in Moskau werde beendet. „Die Nato“, so Lawrow, „ist weder an einem gleichberechtigten Dialog, noch an einer Zusammenarbeit interessiert.“ In dringenden Fällen könne sich das Militärbündnis an den russischen Botschafter in Belgien wenden. Das Nato-Hauptquartier hatte zuvor einigen russischen Diplomaten die Akkreditierung entzogen. Generalsekretär Stoltenberg hatte erklärt, man habe angesichts der russischen Spionagetätigkeit handeln müssen.

22.10. Nato. Siebzehn Mitgliedstaaten des Bündnisses, darunter die Bundesrepublik, vereinbaren die Einrichtung eines Innovationsfonds in Höhe von mindestens einer Milliarde Euro, um dessen Abschreckungs- und Verteidigungsfähigkeiten zu stärken. Es gehe um die Entwicklung von Hyperschallantrieben, selbstfliegenden Fluggeräten und andere Robotersysteme.

        Syrien. Die internationalen Bemühungen um eine neue Verfassung bleiben ohne Ergebnis. Vertreter von Regierung, Opposition und Zivilgesellschaft hatten mit einem Beauftragten der Vereinten Nationen in Genf verhandelt.

23.10. Türkei. Präsident Erdog˘an droht den USA und weiteren neun Staaten, darunter die Bundesrepublik, mit der Ausweisung ihrer Botschafter. Die diplomatischen Vertreter dieser zehn Staaten hatten in einer gemeinsamen Erklärung die fortdauernde Inhaftierung des Verlegers, Kulturmäzens und Bürgerrechtlers Osman Kavala kritisiert und dessen Freilassung gefordert. Erdog˘an weist die Erklärung der Botschafter als unzulässige Einmischung in das türkische Justizsystem zurück.

25.10. Nordrhein-Westfalen. Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) tritt zurück, um als Abgeordneter in den neuen Bundestag zu wechseln. Der Landtag in Düsseldorf wählt am 27.10. den bisherigen Verkehrsminister Hendrik Wüst (CDU) zum neuen Regierungschef. Von den 197 abgegebenen Stimmen erhält Wüst 103 Stimmen bei drei Enthaltungen und einer ungültigen Stimme. Die Koalition aus CDU und FDP verfügt über 100 Mandate. In Nordrhein-Westfalen wird am 15. Mai 2022 ein neues Landesparlament gewählt.

        Sudan. Die Spannungen zwischen zivilen und militärischen Kräften erreichen einen neuen Höhepunkt. Das Militär putscht. Mehrere Minister der Übergangsregierung werden festgenommen, Regierungschef Abdallah Hamdok steht unter Hausarrest und ruft die Bevölkerung auf, die Straßen zu besetzen, um die Revolution zu verteidigen. In der Hauptstadt Khartum und anderen Städten finden Demonstrationen zur Unterstützung der Zivilregierung statt. Das Militär verhängt den Ausnahmezustand und kündigt die Bildung einer neuen Regierung an.

        Ägypten. Präsident al-Sisi gibt die Aufhebung des landesweiten Ausnahmezustands bekannt. Ägypten sei zu „einer Oase der Sicherheit und Stabilität in der Region“ geworden und er habe sich entschieden, den seit April 2017 geltenden Ausnahmezustand nicht mehr zu verlängern. Menschenrechtler begrüßen den Schritt und fordern weitere Schritte zur Demokratisierung.

26.10. Bundestag/Bundesregierung. In Berlin konstituiert sich der im Vormonat gewählte 20. Deutsche Bundestag (vgl. die Chronik in „Blätter“, 11/2021, S. 127). Die Zahl der Abgeordneten ist erneut gestiegen, von 709 (19. Wahlperiode 2017-2021) auf jetzt 736 und erreicht damit eine neue Höchstzahl. Zur Nachfolgerin des scheidenden Bundestagspräsidenten Wolfgang Schäuble (CDU) wird die SPD-Abgeordnete Bärbel Bas mit 576 von 724 abgegebenen Stimmen bei 90 Gegenstimmen und 58 Enthaltungen gewählt. Bas ist die dritte Frau in diesem zweithöchsten Amt der Bundesrepublik nach Annemarie Renger (SPD, 1972-1976) und Rita Süßmuth (CDU, 1988-1998). Bei der Wahl des Parlamentspräsidiums verfehlt der Kandidat der Alternative für Deutschland (AfD) die notwendige Mehrheit. Nach der Konstituierung des Bundestages überreicht Bundespräsident Steinmeier im Schloss Bellevue Bundeskanzlerin Merkel und den Kabinettsmitgliedern die Entlassungsurkunden zugleich mit der Aufforderung, geschäftsführend im Amt zu bleiben. Steinmeier würdigt die Bundeskanzlerin und spricht vom „Ende einer Kanzlerschaft, die man zu den großen in der Geschichte der Republik rechnen darf“.

27.10. – EuGH. Der Europäische Gerichtshof verurteilt Polen zur Zahlung eines Zwangsgeldes in Höhe von täglich einer Million Euro. Das Land habe sich bisher geweigert, höchstrichterliche Entscheidungen zu seinen umstrittenen Justizreformen umzusetzen. Polens Justizminister Ziobro lehnt am 28.10. die Zahlung von Zwangsgeldern ab. „Polen kann und sollte auch nicht nur einen einzigen Zloty zahlen.“

        Iranisches Atomprogramm. Die Regierung in Teheran erklärt sich bereit, die Verhandlungen über sein umstrittenes Atomprogramm wieder aufzunehmen. Vorbereitende Gespräche seien „sehr konstruktiv“ gewesen und man habe sich auf eine Wiederaufnahme im November d.J. geeinigt.

29.10. SPD. Der Ko-Vorsitzende der Sozialdemokratischen Partei Norbert Walter-Borjans teilt mit, er werde beim Parteitag im Dezember d.J. nicht erneut für das Amt kandidieren: „Für mich war mit dem Vorsitz von vornherein keine weitere Karriereplanung verbunden, sondern das Ziel, die Partei auf Kurs zu bringen.“

30.-31.10. G20. Die Staats- und Regierungschefs beraten in Rom über gemeinsame Klimaziele zur Vorlage auf der bevorstehenden Weltklimakonferenz im schottischen Glasgow. Dabei geht es auch um einen Klimafonds zur Unterstützung von Entwicklungsländern. Die Präsidenten Xi Jinping (China) und Putin (Russland) sind nicht anwesend.

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