Ausgabe September 2021

Chronik des Monats Juli 2021

1.7. – USA. Präsident Biden setzt ein Wahlkampfversprechen um und stoppt Hinrichtungen auf Bundesebene. In 27 Bundesstaaten und auf Bundesebene steht die Todesstrafe noch im Gesetz, in 23 Bundesstaaten wurde sie abgeschafft. – Am 3.7. übt der ehemalige Präsident Trump (2017-2021) am Vorabend des Unabhängigkeitstages vor Tausenden seiner Anhänger in Sarasota (Florida) heftige Kritik an seinem Nachfolger, eine erneute Kandidatur für das Präsidentenamt im Jahr 2024 lässt Trump offen. – Am 13.7. wendet sich Biden in einer Rede vor dem National Constitution Centre in Philadelphia gegen Bestrebungen der Republikaner, das Wahlrecht zu beschneiden, Pläne, die vor allem Afroamerikaner treffen würden. Der Präsident warnt: „Wir stehen vor der größten Bewährungsprobe für unsere Demokratie seit dem Bürgerkrieg.“ – Am 20.7. kommentiert die „Neue Zürcher Zeitung“ die ersten sechs Monate der Amtszeit des neuen Präsidenten (vgl. „Blätter“, 3/2021, S. 125 f.). Biden pflege einen gänzlich anderen Stil, verfolge aber „teilweise die gleiche Politik“, in der Klimapolitik erfolge eine „Kehrtwende“, es gebe einen neuen Umgang mit dem Thema Rassismus.

        – China. Aus Anlass des 100. Jahrestages der Gründung der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh) hält Staats- und Parteichef Xi Jinping auf dem Tianamen Platz in Peking vor 70 000 Chinesinnen und Chinesen eine Rede. An gleicher Stelle hatte der Mitbegründer der Partei Mao Tse Tung am 1. Oktober 1949 die Volksrepublik ausgerufen. Xi beschwört die Einheit der 56 Ethnien des Landes und fordert das Ausland auf, sich nicht länger als Lehrmeister aufzuspielen. Das chinesische Volk werde niemals irgendeiner ausländischen Macht erlauben, es zu schikanieren, zu unterdrücken oder zu unterwerfen. Die Zahl der Parteimitglieder wird mit 92 Millionen angegeben. – Am 27.7. wird in Hongkong erstmals eine Person nach einem von Peking erlassenen Sicherheitsgesetz zu einer Haftstrafe verurteilt.

        – OECD. Von den 139 Mitgliedern der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (Organisation for Economic Cooperation and Development) einigen sich 130 Staaten auf eine Reform der internationalen Steuerregeln. Damit solle sichergestellt werden, dass global agierende Konzerne künftig einen gerechten Beitrag zu den Staatshaushalten leisten. Bundesfinanzminister Scholz spricht von einem „kolossalen Schritt hin zu mehr Steuergerechtigkeit“. Zu den Staaten, die sich ihre Zustimmung noch vorbehalten, zählen auch Mitglieder der Europäischen Union, so Ungarn, Irland, Tschechien und Estland.

2.7. – Afghanistan. Im Zusammenhang mit dem beschlossenen Rückzug verlassen die Truppen der USA und anderer Nato-Staaten ihren größten Stützpunkt Bagram. Der Stützpunkt sei an die afghanischen Sicherheitskräfte übergeben worden, teilt das US-Militär mit. Die Bundeswehr hatte schon Ende Juni d.J. ihre letzten Soldaten ausgeflogen.

3.7. – Naher Osten. Der Chef des Palästinenserhilfswerks der Vereinten Nationen (UN Relief and Works Agency for Palestine Refugees in the Near East/UNRWA), der Schweizer Lazzarini, fordert in einem Interview die Rückkehr zum politischen Prozess im Gaza-Konflikt. Die Absperrung des Küstenstreifens müsse gelockert werden, die Blockade verhindere „jede Perspektive für die Bewohner“, dies habe zur „Entmenschlichung“ geführt und sei mit ein Grund, warum der Konflikt so unerbittlich geführt werde. – Am 8.7. heißt es nach einer Zusammenkunft von Israels Außenminister Lapid mit seinem jordanischen Amtskollegen Safadi, Israels Ministerpräsident Bennett sei kürzlich auf einer geheimen Mission in Amman gewesen, wo er von König Abdallah im Palast empfangen wurde. Safadi fordert neue Anstrengungen, um eine Zwei-Staaten-Lösung zwischen Israel und den Palästinensern zu erreichen. Es brauche einen „politischen Horizont“, einen umfassenden und gerechten Frieden sowie ein Ende der Besetzung. Israel müsse den Status der Al-Aksa-Moschee in Jerusalem respektieren.

        – Bundesregierung. Vor einer Abrüstungskonferenz in Madrid fordert Bundesaußenminister Maas konkrete Schritte zur Reduzierung der Atomwaffen weltweit. Maas verweist auf die Erklärungen des amerikanischen und des russischen Präsidenten Biden und Putin, um jeden Preis eine nukleare Konfrontation zu vermeiden. „Darauf müssen wir jetzt aufbauen durch klare Schritte, mit denen die Nuklearwaffenstaaten ihrer Verpflichtung und Verantwortung zur Abrüstung gerecht werden.“ – Am 22.7. beantwortet Bundeskanzlerin Merkel auf ihrer voraussichtlich letzten „Sommerpressekonferenz“ in Berlin Fragen zu aktuellen Themen. Zur Corona-Lage erklärt die Kanzlerin, Deutschland habe die Pandemie im internationalen Vergleich gut bewältigt. Für den Klimaschutz habe sie „sehr viel Kraft“ aufgebracht, man müsse aber schneller werden.

6.7. – Schweiz. Staatssekretärin Leu berichtet vor der Presse über den Stand der Beziehungen zur Europäischen Union, nachdem die Regierung (Bundesrat) die Verhandlungen mit Brüssel über ein Rahmenabkommen Ende Mai d.J. abgebrochen hatte (vgl. „Blätter“, 7/2021, S. 127). Die Schweiz wende sich nicht von der Europäischen Union ab, sagt die Staatssekretärin. „Der bilaterale Weg ist eine Erfolgsgeschichte, der im Interesse von beiden Seiten ist.“

6./7.7. – Haiti. Auf die Privatresidenz von Präsident Jovenel Moise am Rande der Hauptstadt Port-au-Prince wird ein nächtlicher Überfall verübt. Der Präsident wird von den Angreifern erschossen. In den vergangenen Jahren war es immer wieder zu Protesten gegen Moise gekommen, dem Korruption und Verbindungen zu kriminellen Banden vorgeworfen werden. Der Präsident hatte der Opposition Putschabsichten unterstellt. Über das Land wird der Ausnahmezustand verhängt.

9.7. – UNO. Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen in New York verlängert das Mandat für die Lieferung humanitärer Hilfe in Regionen im Norden Syriens, die nicht von der Regierung in Damaskus kontrolliert werden. Das Mandat war umstritten. Für die Lieferungen soll der Grenzübergang Bab al-Hawa für weitere zwölf Monate offen bleiben.

10.7. – G20. Der italienische Finanzminister Franco bezeichnet als Gastgeber eines Treffens der Finanzminister und Notenbankchefs der Gruppe der 20 wichtigsten Industrie- und Schwellenländer in Venedig die Einigung auf den Umbau der Besteuerung international tätiger Unternehmen als „historischen Erfolg“, um die „Abwärtsspirale bei den Steuern“ zu stoppen. Die Reform soll von den teilnehmenden Ländern bis 2023 umgesetzt werden. – Am 23.7. beraten in Neapel die Umwelt- und die Wirtschaftsminister über notwendige Klimamaßnahmen.

11.7. – Kuba. Erstmals seit Jahrzehnten kommt es in der Hauptstadt Havanna und in anderen Teilen des Landes zu Demonstrationen gegen die sozialistische Regierung. Der Unmut richtet sich vor allem gegen die katastrophale Wirtschaftslage. Die Regierung beschuldigt die USA, die Demonstrationen organisiert zu haben. Zahlreiche Teilnehmer werden festgenommen. Anhänger der Regierung folgen einem Aufruf und marschieren mit Parolen wie „Ich bin Fidel“ durch die Straßen.

14.7. – EU. Die Kommission legt einen Klimafahrplan („Fit for 55“) vor, der Maßnahmen auflistet, um die Treibhausgasemissionen in der Europäischen Union gegenüber 1990 um mindestens 55 Prozent bis 2030 zu senken. „Der europäische grüne Deal ist unsere wichtigste Strategie in Richtung dekarbonisierte Wirtschaft“ erklärt Kommissionspräsidentin von der Leyen bei der Vorlage des Plans und fügt hinzu: „Wir waren der erste Kontinent, der das Ziel der Klimaneutralität bis 2050 ausgegeben hat. Wir fordern andere Nationen auf, dasselbe zu tun.“ Das Klimapaket enthält zwölf einzelne Initiativen. Ein neuer Klima-Sozialfonds in Höhe von 72,5 Mrd. Euro für die kommenden sieben Jahre soll mögliche soziale Folgen der geplanten Vorhaben abfedern.

        – Klimawandel. Tagelang anhaltender Starkregen führt in Teilen Deutschlands sowie in Nachbarländern zu katastrophalen Überflutungen und Zerstörungen ganzer Ortschaften und Infrastrukturen. Es werden mehr als 150 Tote beklagt. Der Wiederaufbau wird Milliarden kosten. Besonders betroffen in Deutschland sind die Bundesländer Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz. Während Teile Europas durch die Fluten bedroht sind, leidet die Mittelmeerregion unter extremer Hitze und Trockenheit, die immer wieder zu verheerenden Bränden führen. Meteorologen verweisen auf die fortschreitende Veränderung des Weltklimas.

15.7. – EuGH. Der Europäische Gerichtshof verkündet sein Urteil über die 2018 eingesetzte Disziplinarkammer am Obersten Gericht Polens und folgt damit der Klage der EU-Kommission. Die Kammer verstoße gegen EU-Recht und müsse ihre Arbeit umgehend aussetzen.

        – USA/BRD. Präsident Biden empfängt Bundeskanzlerin Merkel im Weißen Haus. Das Treffen wird in den Medien als „Abschiedsbesuch“ der Kanzlerin vor ihrem Ausscheiden aus dem Amt Ende des Jahres kommentiert. Biden betont noch einmal seine Ablehnung der Ostseepipeline Nordstream 2. Später (21.7.) heißt es, in dem seit 2012 schwelenden Konflikt sei ein Durchbruch erzielt worden. Das Projekt solle fertiggestellt werden und alsbald den Betrieb aufnehmen. Die Ukraine solle beim Aufbau eines „grünen Energiesektors“ unterstützt und der Gastransit durch das Land für das nächste Jahrzehnt gesichert werden. Staatssekretärin Nuland teilt vor dem Auswärtigen Ausschuss des US-Senats mit, Washington und Berlin hätten sich darauf geeinigt, Sanktionen gegen Russland und deutsche Firmen zu verhängen, sollte Moskau die Pipeline als politische Waffe nutzen.

22.7. – Corona-Pandemie. Die Regierung in Peking wendet sich gegen Pläne der Weltgesundheitsorganisation (WHO), eine Laborinspektion in der zentralchinesischen Metropole Wuhan auf der Suche nach dem Ursprung des Coronavirus durchzuführen. China könne einen solchen Plan nicht akzeptieren, der Fokus auf einen möglichen Laborausbruch zeuge von einer arroganten Haltung gegenüber der Wissenschaft.

        – Polen/Ukraine. In einer gemeinsamen Erklärung üben die Außenminister beider Staaten Kritik an der Einigung über Nordstream 2. Diese Einigung stelle „eine politische, militärische und energetische Bedrohung für die Ukraine und Mitteleuropa“ dar. Und weiter: „Wir fordern die Vereinigten Staaten und Deutschland auf, angemessen auf die Sicherheitskrise in unserer Region, von der Russland der einzige Nutznießer ist, zu reagieren.“

23.7. – Thüringen. Im Landtag (90 Abgeordnete) scheitert ein konstruktives Misstrauensvotum zur Ablösung von Ministerpräsident Bodo Ramelow (Die Linke). Für das Amt als Regierungschef kandidiert der Partei- und Fraktionsvorsitzende der Alternative für Deutschland Björn Höcke, der jedoch nur die 22 Stimmen seiner eigenen Fraktion erhält. Für die Wahl Höckes wären 46 Stimmen erforderlich gewesen. Die CDU-Fraktion bleibt der Abstimmung fern. Der Vorsitzende Voigt spricht von einer orchestrierten „Farce und Schmiere“. Die Farbe der AfD sei nicht blau, sondern braun (zur Landtagswahl vom 27. Oktober 2019 vgl. „Blätter“, 12/2019, S. 127).

25.7. – Tunesien. Präsident Saied enthebt Regierungschef Mechichi des Amtes, die Arbeit des Parlaments wird für zunächst 30 Tage ausgesetzt, die Immunität der Abgeordneten aufgehoben, das Parlamentsgebäude geschlossen und von Sicherheitskräften umstellt. Eine Ausgangssperre wird angeordnet. Saied erklärt, er bewege sich im Rahmen der Verfassung. Parlamentspräsident Ghannouchi bezeichnet die Vorgänge als Staatsstreich.

27.7. – Korea. Nach einem Briefwechsel der beiden Präsidenten Moon Jae-in (Südkorea) und Kim Jong-un (Nordkorea) werden die seit 14 Monaten unterbrochenen Telefonverbindungen zwischen den Regierungen in Seoul und Pjöngjang wiederhergestellt. „Die gesamte koreanische Nation möchte“, so schreiben die staatlichen Medien in Nordkorea, „dass sich die Nord-Süd-Beziehungen sobald wie möglich von Rückschlägen und Stagnation erholen.“

28.7. – Frankreich. Bei einem Besuch in Papeete auf der Insel Tahiti stellt Präsident Macron eine bessere Entschädigung für Opfer der französischen Atomtests vor 25 Jahren in Aussicht. Die Nation habe „eine Schuld bei Französisch-Polynesien“. Die zwischen 1966 und 1996 durchgeführten 193 Tests hatten knapp 16 000 km von Festland-Frankreich entfernt, „nicht in der Bretagne oder der Creuse“ (Macron) stattgefunden.

        – Russland/USA. Hinter verschlossenen Türen beginnen hochrangige Diplomaten beider Seiten in Genf mit neuen Verhandlungen über atomare Abrüstung und „strategische Stabilität“. Die Gespräche, die beim Gipfeltreffen der Präsidenten Biden und Putin im Juni d.J. vereinbart wurden (vgl. „Blätter“, 8/2021, S. 126 f.), sollen schon im September d.J. fortgesetzt werden. Von russischer Seite heißt es, die Frage der Kurz- und Mittelstreckenraketen müsse bei den Verhandlungen Priorität haben.

29.7. – Iran. Das Parlament verabschiedet ein Gesetz, das die Internetzensur weiter verschärft. Von den anwesenden 209 Abgeordneten stimmen 121 für die Vorlage, die noch vom Wächterrat bestätigt werden muss.

Aktuelle Ausgabe September 2025

In der September-Ausgabe plädiert Lea Ypi für eine Migrationsdebatte im Sinne der Aufklärungsphilosophie. Cinzia Sciuto fordert, der zunehmenden Aushöhlung des Völkerrechts mit einer entschiedenen Verteidigung desselben zu begegnen – und nicht mit Resignation und falschem Realismus. Für Georg Diez markieren die Kriegsverbrechen in Gaza und die fehlenden Reaktionen darauf einen Epochenbruch; sie stünden für nicht weniger als den Verrat des Westens an der Humanität. Herfried Münkler analysiert, wie Kriege historisch endeten und Friedenszeiten begannen und was das mit Blick auf den Ukrainekrieg bedeutet. Simone Schlindwein deckt auf, wie Russland junge Afrikanerinnen mit falschen Versprechen für die Kriegswirtschaft rekrutiert. Warum die grüne Digitalisierung ein Mythos ist und was der KI-Boom den Globalen Süden kostet, erläutern Ingo Dachwitz und Sven Hilbig. Und Eva-Maria Klinkisch sowie Markus Rieger-Ladich zeigen auf, wie Long Covid-Betroffene von der Gesellschaft und dem Gesundheitssystem systematisch ignoriert werden – und was dagegen zu tun ist. 

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