1.10. – Krieg in der Ukraine. Der russische Verteidigungsminister Schoigu erklärt, nach der Teilmobilmachung seien bereits mehr als 200 000 Russen rekrutiert worden. Nach Schätzungen des britischen Verteidigungsministeriums fehlt es an ausreichender Ausrüstung und militärischem Training für diese große Zahl an Rekruten. – Am 3.10. ratifiziert das russische Parlament die Okkupation der vier ukrainischen Regionen Donezk, Luhansk, Saporischschja und Cherson, in denen trotz internationaler Warnungen „Referenden“ zum Beitritt zur Russischen Föderation abgehalten wurden. Zahlreiche Staaten kündigen mit Hinweis auf das Völkerrecht an, die Okkupation nicht anzuerkennen. – Am 5.10. unterschreibt Präsident Putin das Annexionsgesetz und setzt es damit in Kraft. Sollten die von Russland künftig als russisches Territorium beanspruchten Regionen angegriffen werden, droht Putin mit Vergeltung und schließt auch den Einsatz von Atomwaffen nicht aus. – Am 8.10. bringt eine Explosion die Kertsch-Brücke, die die russisch besetzte Krim mit dem Festland verbindet, teilweise zum Einsturz. Mit Treibstoff beladene Güterwaggons fangen Feuer. Es gibt drei Tote. Putin macht den ukrainischen Geheimdienst für die Zerstörung „ziviler Infrastruktur“ verantwortlich. Bei russischen Angriffen auf Wohnhäuser der Stadt Saporischschja sterben mindestens 17 Zivilisten. Russische Raketen treffen Wohngebiete und zerstören Energie- und Wärmeinfrastruktur. Erstmals seit Monaten treffen Raketen auch wieder die Hauptstadt Kiew. – Am 18.10. fordert der ukrainische Präsident Selenskyi die Weltgemeinschaft auf, den russischen Terror gegenüber der ukrainischen Bevölkerung zu unterbinden. Mehr als ein Drittel der Energie-Infrastruktur sei inzwischen zerstört. Der Oberkommandierende der russischen Truppen im Ukrainekrieg, General Surowikin, spricht von einer „angespannten“ Situation an der Südfront. Der Nachschub für die Soldaten gilt als äußerst prekär, die ukrainischen Truppen haben fast alle Zugangswege versperrt. – Am 21.10. heißt es aus Kiew, die russische Armee habe den Staudamm bei Cherson vermint. Sollte dieser brechen, wäre die Trinkwasserversorgung der Krim gefährdet. Mehr als 80 Städte der Region und die notwendige Kühlung des AKW Saporischschja wären betroffen. – Am 24.10. ruft Russland in den annektierten ukrainischen Regionen den Kriegszustand aus und kündigt an, die Stadt Cherson zu evakuieren. – Am 29.10. setzt Russland seine Zustimmung zu den Getreideexporten aus der Ukraine „auf unbestimmte Zeit“ aus. Die Ukraine wird beschuldigt, die russische Schwarzmeerflotte mit Drohnen angegriffen zu haben. Nach fortgesetzten russischen Angriffen auf die Hauptstadt Kiew sind bis zu 80 Prozent der dortigen Bevölkerung zeitweise von der Wasser- und Stromversorgung abgeschnitten.
2.10. – Bulgarien. Auch nach der vierten Wahl innerhalb von anderthalb Jahren ist eine stabile Regierung in Bulgarien nicht in Sicht. Wahlsieger wird mit der GERB der im April 2021 zurückgetretene ehemalige Premier Bojko Borissow, der das Land zuvor zehn Jahre lang regiert hatte. Die zweitplatzierte Partei „Wir setzen den Wandel fort“ (PP) schließt eine Koalition mit der GERB aus.
– Lettland. Die liberal-konservative Partei Jauna Vienotiba mit Regierungschef Krisjanis Karins gewinnt die Parlamentswahl. Die bislang stärkste Oppositionspartei Harmonie, die Partei der russischen Minderheit, verpasst den Einzug in die Saeima.
– Klimawandel. Spanien und Portugal vereinbaren ein „Treffen auf höchstem Niveau“, um über die drohende Wassernotlage zu reden. Aufgrund massiven Wassermangels sieht sich Spanien nicht mehr in der Lage, die geltenden Vereinbarungen für Wasserlieferungen nach Portugal über die vier wichtigsten Flüsse zu gewährleisten. Spanien werde nicht in der Lage sein, „die für die Flüsse Tajo und Duero festgelegten jährlichen Wassermengen zu liefern“, heißt es in einer Erklärung des Ministeriums für den Ökologischen Umbau in Madrid.
4.10. – Nordkorea. Nach zahlreichen Tests mit Kurzstreckenraketen wird von Nordkorea eine Mittelstreckenrakete gezündet, die Teile Japans überquert und dort Raketenalarm auslöst. Die Bevölkerung in den betroffenen Gebieten wird aufgefordert, Schutzräume aufzusuchen. Der tägliche Anruf von Südkorea nach Nordkorea bleibt unbeantwortet. Analysen von Satellitenaufnahmen legen nahe, dass das Land erstmals seit 2017 wieder einen Atomwaffentest durchführen könnte.
6.10. – Europa-Konferenz. Auf Vorschlag des französischen Präsidenten Macron treffen sich in Prag 44 Staats- und Regierungschefs europäischer Länder zur Gründung der „Europäischen Politischen Gemeinschaft“. Russland und Belarus sind nicht eingeladen. Es gibt keine Tagesordnung, vorherrschende Themen sind der russische Krieg gegen die Ukraine, die Energieknappheit und neue Sanktionen.
7.10. – Europarat. Ein Bericht des Europarats bescheinigt Deutschland gravierende Mängel beim Schutz von Frauen vor Gewalt. Es gebe große Differenzen sowohl zwischen Stadt und Land als auch zwischen den Bundesländern: Es fehle noch immer ein nationaler Aktionsplan. Bundesfamilienministerin Lisa Paus kündigt eine unabhängige Beobachtungsstelle an, die Daten zur Gewalt gegen Frauen sammeln und auswerten soll.
9.10. – Niedersachsen. Bei der Landtagswahl werden die Sozialdemokraten mit Ministerpräsident Stephan Weil erneut stärkste Kraft und können mit den Grünen, die die größten Zugewinne verzeichnen, die neue Regierung bilden. Damit fällt die letzte in den Ländern noch bestehende Große Koalition. Die CDU erreicht das schlechteste Ergebnis der vergangenen Jahre, die AfD kann ihren Stimmenanteil fast verdoppeln. Die Freien Demokraten scheitern mit 4,7 Prozent (bisher 7,5) an der Fünfprozenthürde und scheiden aus dem Landesparlament aus. Die Linken scheitern mit 2,7 Prozent erneut. Die Wahlbeteiligung liegt bei 60,3 (2017: 63,1) Prozent. Nach dem vorläufigen amtlichen Endergebnis entfallen auf die vier im Landesparlament vertretenen Parteien (Angaben in Prozent): SPD 33,4 (2017: 36,9), CDU 28,1 (33,6), Grüne 14,5 (8,7), AfD 10,9 (6,2). Zusammensetzung des neuen Landtags (146 Abgeordnete): SPD 57 (2017: 55), CDU 47 (50), Grüne 24 (14), AfD 18 (14). Dem neuen Landtag gehören 50 Frauen und 96 Männer an. (Zur Landtagswahl vom 15. Oktober 2017 vgl. die Chronik in „Blätter“, 12/2017, S. 110.)
– Österreich. Bundespräsident Alexander van der Bellen, Kandidat der Grünen, wird mit 55 Prozent der Stimmen im Amt bestätigt.
12.10. – UNO. Die UN-Generalversammlung verurteilt mit großer Mehrheit die Annexionen Russlands in der Ukraine und erklärt sie für ungültig. 143 der 193 Mitgliedstaaten stimmen für eine entsprechende Resolution, fünf stimmen dagegen (Russland, Nordkorea, Belarus, Syrien und Nikaragua), 35 Staaten enthalten sich (darunter China, Indien, Südafrika und Pakistan). Die Resolution ist völkerrechtlich nicht bindend.
14.-16.10. – Bündnis 90/Die Grünen. Die Bundesdelegiertenversammlung in Bonn stimmt mit großer Mehrheit der Verlängerung der AKW-Laufzeiten für die beiden Kraftwerke in Neckarwestheim 2 (Baden-Württemberg) und Isar 2 (Bayern) zu. Das AKW Emsland (Niedersachsen) soll wie geplant zum Ende des Jahres abgeschaltet werden. Die Delegiertenversammlung stimmt auch Waffenlieferungen nach Saudi-Arabien zu und folgt damit den Anträgen des Bundesvorstands. Die Klimaaktivistin Luisa Neubauer wirft der Partei in einer Rede klimafeindliche Entscheidungen vor und kritisiert einen „ökologischen Hyper-Realismus“.
16.10. – Chile/BRD. Als erster hochrangiger deutscher Politiker gedenkt Bundesratspräsident Ramelow in Chile der Opfer der einstigen deutschen Sekte „Colonia Dignidad“.
16.-22.10. – China. In Peking findet der 20. Parteitag der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh) statt. Staats- und Parteichef Xi Jinping wird für eine dritte Amtszeit von fünf Jahren als Vorsitzender der Partei bestätigt.
17.10. – Nato. Die Nato beginnt ihr jährliches Manöver, bei dem der Einsatz von Atomwaffen geprobt wird. Die zwei Wochen dauernde Übung „Steadfast Noon“ findet über Belgien, Großbritannien und der Nordsee statt, beteiligt sind 60 Flugzeuge. Im Nato-Hauptquartier heißt es, es handele sich um eine „routinemäßige, wiederkehrende Ausbildungsmaßnahme“.
18.10. – Bundesregierung. Bundeskanzler Olaf Scholz macht erstmals von seiner im Grundgesetz festgeschriebenen Richtlinienkompetenz Gebrauch und bestimmt, dass alle drei derzeit noch in Betrieb befindlichen Atomkraftwerke bis April 2023 laufen sollen. Er beendet damit einen Streit zwischen Finanzminister Christian Lindner (FDP) und Wirtschaftsminister Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen) über die Laufzeiten der AKWs. – Am 26.10. gibt das Bundeskabinett grünes Licht für die umstrittene Investition der chinesischen Reederei COSCO in ein Containerterminal im Hamburger Hafen. Der Kompromiss sieht vor, dass die Reederei maximal 24,9 Prozent Anteil am Terminal Tollerort erwerben darf. Bundeskanzler Olaf Scholz, vormals Bürgermeister der Stadt Hamburg, hatte sich gegen das Votum zahlreicher Ministerien durchgesetzt. – Am 30.10. kündigt die CDU Widerstand gegen den vorgelegten Gesetzentwurf zur Einführung eines „Bürgergeldes“ ab dem 1. Januar 2023 an und kündigt die Anrufung des Vermittlungsausschusses im Bundesrat an.
20.10. – Großbritannien. Nach nur sieben Wochen Amtszeit gibt Liz Truss ihren Rücktritt als Vorsitzende der Tories und damit auch als Premierministerin bekannt (Vgl. „Blätter“, 11/2022, S. 126). Zuvor hatten bereits Finanzminister Kwasi Kwarteng und Innenministerin Suella Bravermann das Kabinett verlassen. Seit Amtsantritt von Truss gab es Kritik an ihrer Finanzpolitik, die zu massiven Turbulenzen auf den Finanzmärkten geführt hatte. – Am 24.10. wird Rishi Sunak neuer Parteichef der Konservativen; einen Tag später ernennt ihn König Charles III. zum Premierminister. Er ist der erste britische Premierminister asiatischer Herkunft und der erste gläubige Hindu in der Downing Street.
20.-21.10. – EU. Auf einem Gipfel der 27 Regierungschefs in Brüssel steht die Energiekrise zur Diskussion. Nach stundenlangen Diskussionen einigen sich die Politiker auf einen Kompromiss: Es soll ein Mechanismus gefunden werden, um die extrem hohen Gaspreise in Europa in den Griff zu bekommen – u.a. mit direkten Eingriffen in den Markt. In der Abschlusserklärung ist von einem „vorübergehenden dynamischen Preiskorridor“ für den Handel mit Gas die Rede.
21.10. – Italien. Staatspräsident Mattarella erteilt Giorgia Meloni (Fratelli d‘Italia) den Auftrag zur Regierungsbildung. Damit soll zum ersten Mal in der Republik Italien eine Frau Regierungschefin werden. Meloni und ihr Kabinett legen am 22.10. vor dem Staatspräsidenten den Amtseid ab (zur Wahl vgl. „Blätter“, 11/2022, S. 127).
23.10. – Baden-Württemberg. Der amtierende Oberbürgermeister der Stadt Tübingen, Boris Palmer (Bündnis 90/Die Grünen), wird mit 52,4 Prozent im Amt bestätigt. Bereits 2006 und 2014 hatte er im ersten Wahlgang gewonnen. Aufgrund innerparteilicher Kritik an diversen Äußerungen insbesondere in Flüchtlingsfragen trat Palmer diesmal als unabhängiger Kandidat an, seine Parteimitgliedschaft ruht. Die Gegenkandidatinnen Ulrike Baumgärtner (Grüne) und Sofie Geisel (SPD) erzielten jeweils nur gut 20 Prozent.
26.10. – Iran. Auch am 40. Tag nach dem Tod der 22jährigen Mahsa Amini gehen im Iran Zehntausende auf die Straße, um gegen das Regime zu protestieren. Wegen der gewaltsamen Niederschlagung der Proteste verhängen die USA Sanktionen gegen iranische Offizielle, mehr als zehntausend Menschen wurden bislang verhaftet, mindestens 240 getötet. Auch Deutschland kündigt eine härtere Linie gegen Teheran an.
27.10. – EZB. Die Europäische Zentralbank erhöht den Leitzins erneut um 0,75 auf nun 2,0 Prozent. Damit steigt er zum dritten Mal in diesem Jahr.
28.10. – USA. Kurz vor den Kongresswahlen (Midterms Elections) am 8.11. ist die einflussreiche Sprecherin des US-Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi, in ihrem Wohnhaus in San Francisco (Kalifornien) Ziel eines Anschlags. Ein Mann bricht in der Nacht in das Haus ein mit dem Ruf: „Wo ist Nancy?“. Die Politikerin ist nicht im Haus, ihr Ehemann wird verletzt. Der Angriff verstärkt die Befürchtungen vor politischer Gewalt kurz vor den Wahlen.
29.10. – Südkorea. Bei Halloween-Feiern im Ausgehstadtteil Itaewon der südkoreanischen Hauptstadt Seoul kommt es im Gedränge zu einer Massenpanik. Mehr als 150 Menschen kommen ums Leben, zahlreiche weitere werden verletzt. Heftige Kritik wird an den mangelhaften Sicherheitsvorkehrungen geübt.
30.10. – Brasilien. Der Kandidat der Arbeiterpartei Luiz Inacio (Lula) da Silva kann die Stichwahl um das Präsidentenamt mit 50,83 Prozent der Stimmen äußerst knapp für sich entscheiden. Der bisherige Amtsinhaber Jair Bolsonaro unterliegt mit 49,17 Prozent. Bolsonaro hatte vor Wahlbetrug gewarnt und angedeutet, eine Niederlage eventuell nicht anzuerkennen. Am Tag nach der Wahl kommt es landesweit zu Protesten von Anhängern Bolsonaros.