Rede von US-Präsident Joe Biden auf der Münchener Sicherheitskonferenz, 19.2.2021
Vor zwei Jahren, als ich das letzte Mal in München sprach, Sie erwähnten es ebenfalls, war ich als Privatmann hier, ich war Professor und kein gewählter Vertreter meines Landes. Aber ich sagte damals: „Wir kommen wieder.“ Und ich stehe zu meinem Wort. Amerika ist wieder da.
Heute spreche ich als Präsident der Vereinigten Staaten am Anfang der Amtszeit meiner Regierung, und ich sende eine klare Botschaft an die Welt: Amerika ist wieder da. Das transatlantische Bündnis ist wieder da. Und wir schauen nicht zurück, wir schauen nach vorne – gemeinsam.
Letzen Endes läuft alles darauf hinaus, dass das transatlantische Bündnis das starke Fundament ist, auf dem unsere kollektive Sicherheit und unser gemeinsamer Wohlstand gründen. Die Partnerschaft zwischen Europa und den Vereinigten Staaten ist – und das muss sie meines Erachtens auch bleiben – der Stützpfeiler für alles, was wir im 21. Jahrhundert zu erreichen hoffen, ebenso wie wir es auch im 20. Jahrhundert getan haben.
Wir stehen heute vor anderen Herausforderungen. Wir befinden uns an einem Wendepunkt. Seit den Zeiten, in denen ich als Senator und sogar Vizepräsident zu Ihnen gesprochen habe, hat sich die globale Dynamik verändert. Neue Krisen fordern unsere Aufmerksamkeit. Wir dürfen uns nicht nur auf den Wettbewerb zwischen Ländern konzentrieren, die die Welt zu spalten drohen, oder nur auf die globalen Herausforderungen, die uns alle gemeinsam zu vernichten drohen, wenn wir nicht zusammenarbeiten. Wir müssen beides tun, im Gleichschritt mit unseren Verbündeten und Partnern.
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Ich hoffe, unsere demokratischen Partner werden bei dieser unabdingbaren Aufgabe mit uns zusammenarbeiten. Unsere Partnerschaften hatten in all den Jahren Bestand und sind gewachsen, weil sie im Reichtum unserer gemeinsamen demokratischen Werte wurzeln. Sie sind nicht verhandelbar. Sie sind nicht veräußerlich. Sie gründen auf einer Vorstellung von der Zukunft, in der jede Stimme zählt, in der die Rechte aller geschützt werden und die Rechtsstaatlichkeit gewahrt wird.
Keinem von uns ist die Verwirklichung dieser Vorstellung bisher vollständig gelungen. Wir arbeiten weiter darauf hin. Und an sehr vielen Orten, auch in Europa und den Vereinigten Staaten, stehen demokratische Verfahren unter Beschuss.
Ich kenne viele von Ihnen schon sehr, sehr lange, und Sie wissen, dass ich ehrlich meine Meinung sage, also werde ich offen zu Ihnen sein: Wir stecken mitten in einer grundlegenden Debatte über die Zukunft und den Kurs unserer Welt. Wir befinden uns an einem Wendepunkt zwischen denjenigen, die argumentieren, dass Autokratie angesichts der vielen Herausforderungen, vor denen wir stehen – von der vierten industriellen Revolution bis hin zu einer globalen Pandemie –, der beste Weg in die Zukunft ist, und denjenigen, die verstehen, dass Demokratie für die Bewältigung dieser Herausforderungen unverzichtbar ist.
Die Historiker werden diesen Augenblick, wie ich bereits sagte, als einen Wendepunkt untersuchen und so über ihn schreiben. Und ich glaube mit jeder Faser meines Wesens, dass die Demokratie den Sieg davontragen wird. Wir müssen zeigen, dass die Demokratie in dieser sich verändernden Welt immer noch das liefern kann, was unsere Bevölkerung braucht. Das ist aus meiner Sicht unsere bedeutendste Aufgabe.
Demokratie entsteht nicht durch Zufall. Wir müssen sie verteidigen, für sie kämpfen, sie stärken und erneuern. Wir müssen beweisen, dass unser Modell kein Relikt unserer Geschichte ist, sondern der einzige und beste Weg, das Versprechen unserer Zukunft mit neuem Leben zu erfüllen. Und wenn wir mit unseren demokratischen Partnern zusammenarbeiten, stark und zuversichtlich, dann, so weiß ich, werden wir jede Herausforderung meistern und jeden Herausforderer überflügeln.
Wir müssen uns gemeinsam auf einen langfristigen strategischen Wettbewerb mit China vorbereiten. Die Art und Weise zu gestalten, wie die Vereinigten Staaten, Europa und Asien zusammenarbeiten, um Frieden zu gewährleisten, ihre gemeinsamen Werte zu verteidigen und ihren Wohlstand über den Pazifik hinweg zu fördern, wird zu unseren folgenreichsten Aufgaben gehören. Der Wettbewerb mit China wird hart. Davon gehe ich aus, und ich begrüße es, denn ich glaube an das globale System, das Europa und die Vereinigten Staaten, gemeinsam mit unseren Verbündeten im Indopazifik, in den letzten 70 Jahren mit so viel Einsatz aufgebaut haben.
Wir können das Rennen um die Zukunft zu unserem machen. Aber, um dies zu tun, müssen wir uns über die historischen Investitionen und Partnerschaften klar sein, die dafür erforderlich sind. Wir müssen Raum für Innovation schaffen, geistiges Eigentum schützen und Platz für das kreative Genie einräumen, das seine Ideen durch den freien Austausch in offenen, demokratischen Gesellschaften entwickelt. Wir müssen sicherstellen, dass die Vorteile des Wachstums breit und gerecht verteilt werden und nicht nur einigen wenigen zugutekommen.
Wir müssen uns dem ökonomischen Druck und den Übergriffen der chinesischen Regierung entgegenstellen, die die Grundlagen unseres internationalen Wirtschaftssystems untergraben. Alle, aber auch wirklich alle, müssen sich an die gleichen Regeln halten.
Amerikanische und europäische Unternehmen sind verpflichtet, ihre Unternehmensstrukturen offenzulegen und sich an die Regeln zu halten, um Korruption und monopolistischen Praktiken vorzubeugen. Chinesische Unternehmen sollten am gleichen Maßstab gemessen werden.
Wir müssen die Regeln gestalten, die den Fortschritt der Technik und die Verhaltensnormen im virtuellen Raum, der künstlichen Intelligenz und der Biotechnologie bestimmen, damit diese eingesetzt werden, um die Menschen freier zu machen, nicht um sie niederzudrücken. Wir müssen für die demokratischen Werte einstehen, die es uns ermöglichen, dies alles zu erreichen, und uns gegen diejenigen zur Wehr setzen, die sich der Unterdrückung bemächtigen und sie zum Normalzustand erklären wollen.
So werden wir auch der Bedrohung aus Russland begegnen können. Der Kreml greift unsere Demokratien an und macht die Korruption zur Waffe, mit der er unser Regierungssystem unterminieren will. Die russische Führung will, dass die Menschen denken, unser System sei ebenso korrupt wie oder noch korrupter als das Ihre. Aber die Welt weiß, dass das nicht stimmt. Auch Russlands eigene Bevölkerung weiß das.
Putin strebt die Schwächung des europäischen Projektes und des NATO-Bündnisses an. Er will die transatlantische Einheit und unsere Entschlossenheit aushöhlen, weil es dem Kreml sehr viel leichter fällt, einzelne Staaten zu schikanieren und zu bedrohen als mit einer starken und eng verbundenen transatlantischen Gemeinschaft zu verhandeln.
Deshalb ist das Eintreten für die Souveränität und territoriale Integrität der Ukraine weiterhin ein wesentliches Anliegen Europas und der Vereinigten Staaten. Deshalb ist die Auseinandersetzung mit dem rücksichtslosen Vorgehen Russlands sowie dem Eindringen in Computer-Netzwerke in den Vereinigten Staaten, Europa und weltweit von entscheidender Bedeutung für den Schutz unserer kollektiven Sicherheit. Russland stellt uns vielleicht vor andere Herausforderungen als China, aber sie sind ebenso real.
Die vollständige Übersetzung der Rede finden Sie hier. Die englische Originalfassung der Rede finden Sie hier.