Gemeinsame Erklärung zur zunehmenden Klimamigration von Amnesty International, Brot für die Welt, DGVN, German Watch, medico international, Oxfam Deutschland und Pro Asyl, 31.1.2013
Bislang besteht für einen bedeutenden Anteil der künftig durch den Klimawandel vertriebenen Menschen kein juristischer Schutz. Es fehlt an einer politisch wirkmächtigen Definition, die eine Basis für einen möglichen Rechtsstatus der Betroffenen wäre. Natürlich muss die aktuelle Diskussion um die Begrifflichkeit und letztendliche Definition von Personen und Personengruppen, die in Reaktion auf Klimawandelfolgen ihre Heimat verlassen, weitergeführt und entschieden werden. Dennoch darf dies nicht zu einer Verzögerung der Lösungsansätze führen. Es gilt, trotz gewisser Unsicherheiten vorhandene völkerrechtliche Instrumente zu nutzen und neue Mechanismen zu schaffen, die Schutz und Unterstützung für KlimamigrantInnen gewährleisten.
National
Staaten müssen alle Anstrengungen unternehmen, KlimamigrantInnen, egal ob sie permanent oder temporär, binnenstaatlich oder grenzüberschreitend wandern, nach den Geboten der Menschenrechte zu schützen und zu unterstützen. Betroffene müssen über ihre Rechte informiert und befähigt werden, ihre legitimen Ansprüche einzufordern. MigrantInnen und Flüchtlinge sind immer als Rechtsträger anzusehen, die Rechte auf Nahrung, Wasser, eine angemessene Unterkunft sowie Gesundheit, Bildung und Arbeit haben, die gewährleistet, geschützt und garantiert werden müssen. Betroffene müssen individuell nach ihrer Vulnerabilität gegenüber dem Klimawandel etwaige Ansprüche auf Schutz und Unterstützung geltend machen können. Kompensations- und Reparationsleistungen für jene, die ihr Land und ihr Eigentum durch die Folgen des Klimawandels verloren haben, müssen einklagbar und praktisch verfügbar gemacht werden.
International
Damit die aufnehmenden Länder Maßnahmen zur Umsiedlung, Aufnahme und langfristigen Integration von KlimamigrantInnen leisten können, müssen für diese finanzielle und logistische Unterstützungsmöglichkeiten bereitgestellt werden. Mechanismen zur Mittelbeschaffung und -verteilung sowie zum Monitoring der Mittelverwendung müssen geschaffen werden. Umsiedlungs- und Aufnahmeprogramme für ganze Bevölkerungsgruppen (kollektiver Schutz) dürfen den individuellen Flüchtlingsschutz jedoch nicht ausblenden. Menschen, denen es gelingt, auf individuellen Wegen ein Zufluchtsland zu erreichen, müssen die Möglichkeit haben, ihren jeweiligen Schutzanspruch geltend zu machen. Es ist besonders zu berücksichtigen, dass bereits jetzt schon für viele Menschen keine Möglichkeit mehr besteht, auf irreversibel zerstörtes Land zurückzukehren. Ihnen muss gewährleistet werden, sich dauerhaft ggf. in Drittstaaten niederzulassen.
Statt Grenzen zu schließen und deren Überwachung mit aus menschenrechtlicher Sicht zweifelhaften Methoden umzusetzen, sollten Staaten sich vor dem Hintergrund ihrer jeweiligen Verantwortung verpflichten, die langfristige Aufnahme von KlimamigrantInnen und -flüchtlingen zu ermöglichen. In einem normativen Regelwerk für klimabedingte Flucht und Migration auf internationalem Niveau muss auch der Umgang mit dem vollkommenen Territoriumsverlust und damit einhergehender Staatenlosigkeit geklärt werden. Dies sollte unter den Prämissen der Partizipation, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit geschehen. Es ist notwendig, dass sich die internationale Staatengemeinschaft mit den zu erwartenden Dimensionen und Konsequenzen des Klimawandels konfrontiert und die möglichen Anpassungskapazitäten und -grenzen öffentlich zur Diskussion stellt. Nur so können präventive Schutzmaßnahmen geplant und unter Beteiligung der Gesellschaft im Sinne der Betroffenen durchgeführt werden.
Umsiedlung
Die Umsiedlung von Menschen muss dem Prinzip der Freiwilligkeit folgen und darf nur dann stattfinden, wenn die Betroffenen einverstanden sind. Im Fall von Umsiedlung muss unbedingt die Achtung aller Menschenrechte gewährleistet sein. Bei der Suche nach Lösungen und deren Durchführung müssen die Vorstellungen der Betroffenen mit einbezogen werden. Nur durch direkte Teilnahme und Mitbestimmung kann vermieden werden, dass etwaige Umsiedlungen in evtl. bereits bewohnte Gebiete neues Konfliktpotenzial schaffen. Nur so sind bedarfsorientierte und rechteorientierte Maßnahmen im Sinne mittel- und unmittelbar Betroffener möglich. In keinem dieser Prozesse dürfen die Menschenrechte verletzt werden, hier muss besonders aus bereits erfolgten Migrationsprozessen und Umsiedlungsprojekten gelernt werden. In der Vergangenheit wurden immer wieder die Bedürfnisse von besonders vulnerablen Bevölkerungsgruppen (Frauen, Kinder, alte und kranke Menschen) nicht ausreichend berücksichtigt. Keine Umsiedlung darf dazu führen, dass die Betroffenen in der Perspektivlosigkeit dauerhafter Provisorien landen. Ein schlagendes Negativbeispiel ist der Umstand, dass seit vielen Jahren mehr als die Hälfte der Weltflüchtlingspopulation in Lagern von Erstaufnahmestaaten lebt, wo ihnen die zentralen Rechte, die ihnen die Genfer Flüchtlingskonvention zu sichert, vorenthalten werden.
Migrationspolitik offen gestalten
Unabhängig von der Ausgestaltung zukünftiger Abkommen zum Schutz von »Klimaflüchtlingen« müssen die Staaten dringend ihre Migrationspolitik öffnen und Maßnahmen ergreifen, die den Menschenrechtsschutz von MigrantInnen stärken. Die derzeitige Migrationspolitik der EU ist den kommenden Herausforderungen von klimabedingter Migration und Flucht nicht gewachsen. Dies wurde im Jahr 2011 erneut deutlich, als auf die demokratischen Umbrüche in den nordafrikanischen Ländern und die damit einhergehenden Fluchtbewegungen über das Mittelmeer nicht mit demokratischer Souveränität, sondern mit verweigerter Freizügigkeit reagiert wurde.
Deutschland sollte in einem zukünftigen Europa eine progressive und an den Bedürfnissen der Flüchtenden orientierte Rolle einnehmen. Es ist Sache einer engagierten Zivilgesellschaft, hierfür zu streiten. Alle MigrantInnen und Flüchtlinge, die vor dem Klimawandel fliehen, haben ein Recht auf Anerkennung als Bürgerinnen und Bürger dieser Welt.
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