Dokumente zum Zeitgeschehen

»Besonders ältere Atomkraftwerke sind durch Terroranschläge bedroht«

Kurzstudie von Greenpeace zu den mysteriösen Drohnenüberflügen über französische Atomanlagen, November 2014

Vorwort

Der französische Energiekonzern Électricité de France (EdF) hat bekannt gegeben, dass seit dem 5. Oktober 2014 Drohnen über verschiedenen Atomanlagen in Frankreich beobachtet worden sein. Bis zum 20. November wurden 31 Überflüge über 15 Atomkraftwerken, drei Anlagen zur Kernbrennstoffverarbeitung und einem Atomforschungszentrum beobachtet. Bis zum jetzigen Zeitpunkt ist es den Sicherheitsbehörden nicht gelungen, die Überflüge zu verhindern oder die Hintergründe aufzudecken. Selbst nachdem Frankreichs Innenminister beteuerte, die Spezialeinheiten der Gendarmerie, die seit dem Jahr 2007 zur Über- wachung der Nuklearanlagen eingesetzt sind, hätten inzwischen Order erhalten, die Flugobjekte „zu neutralisieren“, flogen mehrfach nicht identifizierte Drohnen über französische Atomanlagen. Ohne auf Spekulationen über die Hintergründe und Organisation der Drohnenüberflüge einzugehen, wird deutlich klar, welche große Sicherheitslücke für die Atomanlagen in der Unfähigkeit der Sicherungsbehörden besteht, diese Flüge aufzuklären oder zu verhindern.

In ihrer Kurzexpertise zeigt Diplomphysikerin Oda Becker auf, welche Gefahren mit diesen Überflügen verbunden sein können. Die möglichen Freisetzungen von Radioaktivität der grenznahen Atomkraftwerke in Fessenheim, Gravelines und Cattenom, die auch von Überflügen betroffen waren, betrifft nicht nur Frankreich, sondern ebenso Deutschland, Schweiz, Belgien, Luxemburg, Österreich, Italien und andere Länder.

Die denkbare Bedrohung durch terroristische Angriffe auf Atomanlagen offenbart auch eine prinzipielle Sicherheitslücke. Die deutsche Bundesregierung hat ihren Ausstieg aus der Atomenergie (2002) auch mit einer terroristischen Bedrohung der Atomanlagen begründet (BT-Drucks. 14/7840):

„Die jüngsten terroristischen Anschläge geben schließlich Anlass, die Nutzung der Atom- energie auch unter dem Gesichtspunkt der Gefahrenabwehr neu zu bewerten. Angriffe auf Atomkraftwerke lassen sich nicht ausschließen. Der Ausstieg aus der Atomenergie ist deshalb ein Beitrag dazu, die Bundesrepublik Deutschland gegen terroristische Angriffe besser zu schützen.

Diese Erwägungen führen zu einer neuen Bewertung der Atomenergie.“

Müsste ein Atomausstieg nicht deutlich schneller als bis Ende 2022 und europaweit durchge- setzt werden? Welche Garantien bezüglich Terrorangriffe können Atom-anlagenbetreiber und Aufsichtsbehörden geben? Die Verantwortlichen müssen handeln bevor ein Anschlag Teile Europas unbewohnbar macht.

Heinz Smital (Greenpeace e.V.)

1. Einleitung

In den letzten Wochen erregten eine Reihe von bisher nicht identifizierten Drohnen über französischen Atomkraftwerken die Aufmerksamkeit der Bevölkerung und Behörden. Der französische Stromkonzern und AKW-Betreiber Electricité de France (EdF) teilte Ende Oktober mit, dass seit dem 5. Oktober Drohnen über verschiedenen Atomanlagen beobachtet worden seien.

[TAGESSCHAU 2014]. Die Überflüge hatten sich entweder am späten Abend, in der Nacht oder am frühen Morgen zugetragen, wobei am 19. Oktober vier weit auseinanderliegende AKW und am Tag darauf drei andere Anlagen überflogen wurden, was auf eine gut koordinierte Aktion hinweist. [NZZ 2014] Laut Medienberichten sind die Drohnen teils nur 20 – 30 Zentimeter breit gewesen, teils aber auch zwei Meter und damit potenziell in der Lage, kleinere Sprengstoffmengen zu transportieren. Selbst nachdem Frankreichs Innenminister beteuerte, die Spezialeinheiten der Gendarmerie, die seit 2007 zur Überwachung der Nuklearanlagen eingesetzt sind, hätten inzwischen Order erhalten, die Flugobjekte „zu neutralisieren“, flogen mehrfach nicht identifizierte Drohnen über französische Atomanlagen. [BZ 2014] Betroffen waren nicht nur Anlagen des Energiekonzerns EdF, sondern auch das CEA in Saclay und die Atomanlage La Hague des Konzerns Areva. Insgesamt 23 derartige Flüge sind bisher gezählt worden [GREENPEACE 2014]. An den verschiedenen Spekulationen über den Hintergrund der aktuellen Ereignisse wird sich nicht beteiligt. Gegenstand dieser Kurzexpertise ist vielmehr die Frage, welche Gefahr mit derartigen Drohnenüberflügen verbunden ist – wenn diese von einer terroristisch motivierten Gruppe durchgeführt würden. In Frankreich gibt es 58 Atomreaktoren an 19 Standorten. Einige davon erreichen in den nächsten Jahren eine Betriebszeit von 40 Jahren. Neben dem zukünftigen Fehlen von erfahrenem Fachpersonal durch die hohe Pensionierungsrate in den nächsten Jahren und der Alterung des Materials durch die hohe Beanspruchung über einen langen Zeitraum birgt vor allem der auslegungsbedingte ungenügende Schutz gegen Einwirkungen von außen ein Risikopotenzial, das zunehmend an Bedeutung gewinnt. Aufgrund der aktuellen Lage soll im Folgenden exemplarisch für die Atomkraftwerke Fessenheim, Gravelines und Cattenom nahe der östlichen Grenzen Frankreichs zu Belgien, Luxemburg, Deutschland und der Schweiz untersucht werden, welches Risiko dort durch potenzielle Terrorangriffe besteht. Seit den Terroranschlägen vom 11. September 2001 in den USA ist das Potenzial terroristischer Anschläge auf neuralgische Punkte stärker in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt. Lange konzentrierte sich daraufhin die öffentliche Diskussion über die Bedrohung von Atomkraftwerken durch Terroranschläge vor allem auf Angriffe mit Verkehrsflugzeugen. Tatsächlich sind erheblich mehr Angriffsszenarien denkbar. Insbesondere die älteren französischen Atomkraftwerke (900 MW Klasse) sind durch eine große Bandbreite von möglichen Terroranschlägen bedroht, denn ihr Schutz gegen Einwirkungen von außen ist unzureichend. Außerdem weist ihre Auslegung zur Beherrschung von Störfällen – gemessen am heutigen Stand von Wissenschaft und Technik – Mängel auf.Um abzuwägen, welche Gefahren mit Terrorangriffen verbunden sind, ist es erforderlich, beispielhafte Szenarien genauer zu beschreiben und die Wirkung der eingesetzten Mittel auf ein Atomkraftwerk abzuschätzen. Darauf hat grundsätzlich auch die Öffentlichkeit einen Anspruch.

Die Wahrscheinlichkeit eines terroristischen Angriffs kann mit den klassischen Methoden der Wahrscheinlichkeitsberechnung nicht bestimmt werden. Die Erfahrung zeigt aber: Hat sich eine terroristische Gruppe erst einmal zu einem bestimmten Angriff entschlossen, so ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie ihr Ziel erreichen, sehr hoch. Die Flugzeugentführer vom 11. September 2001 konnten sich ausreichende fliegerische Fähigkeiten aneignen, um ihr Ziel zu erreichen. Zudem gelang es ihnen, alle Flugzeuge wie geplant in ihre Gewalt zu bringen.

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Die vollständige Studie finden Sie hier (pdf).