Nationaler Bildungsbericht 2012 im Auftrag von Bund und Ländern, 22.6.2012
Mit dem Bericht „Bildung in Deutschland 2012“ wird zum nunmehr vierten Mal eine umfassende Darstellung der gegenwärtigen Lage des deutschen Bildungswesens vorgelegt. Dieser Bericht, der Bildungsprozesse im Lebenslauf darstellt, zeigt die Leistungen aller Bereiche des deutschen Bildungssystems, vom Elementarbereich bis zur Weiterbildung, verweist auf die wichtigsten Problemlagen und Herausforderungen und stellt somit eine Grundlage für bildungspolitische Entscheidungen in Deutschland dar. Der Bericht wendet sich mit der Breite seines Ansatzes an alle Interessierten in Bildungspolitik, Bildungsverwaltung und auch der Bildungspraxis. Er vermittelt zugleich der Öffentlichkeit aber auch der Wissenschaft und der Ausbildung wichtige Informationen in komprimierter Form.
Dieser Bildungsbericht nimmt in erster Linie Deutschland als Ganzes in den Blick, stellt die Entwicklungen in Deutschland denjenigen im internationalen Vergleich gegenüber, bezieht aber auch – wo möglich und geboten – unterschiedliche Entwicklungen in den Landesteilen Deutschlands, aber auch in den einzelnen Ländern, mit ein. Er liefert Grundwissen über Bildung in Deutschland, kann aber notwendig die Differenzierungen auf der Ebene der Länder bzw. der regionalen Ebene nur sehr eingeschränkt abbilden. Zugleich liefert der Bericht mit seiner Orientierung an übergreifenden Entwicklungen und zukünftigen Herausforderungen steuerungsrelevante Informationen, die ihrerseits für Entscheidungen in Politik und Verwaltung genutzt werden sowie die Basis für Diskussionen in der Öffentlichkeit darstellen können.
Bildungsberichterstattung als Bestandteil eines umfassenden Bildungsmonitorings
Mit Bildungsmonitoring wird ein international anerkannter und genutzter Weg bezeichnet, der darauf abzielt, kontinuierlich berichtbare, datengestützte Informationen über das Bildungswesen insgesamt bereitzustellen. Indem über Rahmenbedingungen, Verlaufsmerkmale sowie über Ergebnisse und auch über Erträge von Bildungsprozessen berichtet wird, werden vorhandene Informationen systematisch aufbereitet, um sie ihrerseits für politische Steuerung bereit zu halten. Für den Schulbereich hatte im Jahre 2006 die Ständige Konferenz der Kultusminister in der Bundesrepublik Deutschland (KMK) eine „Gesamtstrategie zum Bildungsmonitoring“ beschlossen, die als Schwerpunkte die Beteiligung Deutschlands an internationalen Schulleistungsuntersuchungen (PISA, TIMSS, IGLU), die zentrale bundesweite UÅNberprüfung von Bildungsstandards sowie Vergleichsarbeiten in Verknüpfung mit diesen Bildungsstandards vorsieht. Bestandteil dieser Gesamtstrategie ist auch die gemeinsame nationale Bildungsberichterstattung von Bund und Ländern, deren Bedeutung noch einmal durch die Verfassungsbestimmung des Art.91b Abs.2 des Grundgesetzes unterstrichen wird. Gleichzeitig ordnet sich dieser nationale Bildungsbericht in die zunehmende Zahl von Länder- bzw. kommunalen Bildungsberichten ein und teilt mit diesen zwar nicht die räumliche Perspektive, wohl aber den Charakter als einer Informationsquelle für bildungspolitisches Handeln.
Konzeptionelle Grundlagen des Bildungsberichts
Der nationale Bildungsbericht in Deutschland ist konzeptionell durch drei grundlegende Merkmale charakterisiert:
• Er orientiert sich an einem Bildungsverständnis mit den drei Zieldimensionen individuelle Regulationsfähigkeit, gesellschaftliche Teilhabe und Chancengleichheit sowie Humanressourcen. Individuelle Regulationsfähigkeit beinhaltet die Fähigkeit des Individuums, sein Verhalten und sein Verhältnis zur Umwelt, die eigene Biografie und das Leben in der Gemeinschaft selbstständig zu planen und zu gestalten. Der Beitrag des Bildungswesens zu den Humanressourcen richtet sich sowohl auf die Sicherstellung und Weiterentwicklung des quantitativen und qualitativen Arbeitskräftevolumens als auch auf die Vermittlung von Kompetenzen, die den Menschen eine ihren Neigungen und Fähigkeiten entsprechende Erwerbsarbeit ermöglichen. Indem die Bildungseinrichtungen gesellschaftliche Teilhabe und Chancengleichheit fördern, wirken sie systematischer Benachteiligung aufgrund der sozialen Herkunft, des Geschlechts, der nationalen oder ethnischen Zugehörigkeit entgegen.
• Über das Spektrum der Bildungsbereiche und - stufen hinweg werden unter der Leitidee der Bildung im Lebenslauf Umfang und Qualität der institutionellen Angebote, aber auch deren Nutzung durch die Individuen erfasst. Gegenwärtig kann die Perspektive von Bildung im Lebenslauf nur näherungsweise aufgegriffen werden, da die aktuelle Datenbasis eine Rekonstruktion individueller Bildungsverläufe nur sehr eingeschränkt ermöglicht.
• Die Bildungsberichterstattung erfolgt indikatorengestützt über alle Bildungsbereiche hinweg. Sie ist trotz der damit verbundenen Einschränkungen der sinnvollste Weg zur Präsentation systematischer, wiederholbarer und gesicherter Informationen. Damit wird keineswegs in Abrede gestellt, dass auch Aspekte, die sich nicht unmittelbar empirisch erfassen oder quantifizieren lassen, für das Bildungswesen wichtig sind. Wichtige Kriterien für die Indikatorenauswahl sind die national wie international verfolgten Ziele von Bildung (benchmarks), die Relevanz der jeweiligen Themen für bildungspolitische Steuerungsfragen, die vorliegenden Forschungsbefunde zu Bildungsverläufen und einzelnen Phasen des Bildungsprozesses sowie die Verfügbarkeit und Aussagefähigkeit von Daten. Der Bildungsbericht ist von seinem Grundverständnis her eine problemorientierte Analyse von Bildung in Deutschland auf der Grundlage von Indikatoren und empirisch belastbaren Daten und verzichtet weitgehend auf Bewertungen. Problemorientierung heißt dabei, für Politik und Öffentlichkeit sensible Stellen im Bildungswesen transparent zu machen, Problemlagen und auch aktuelle sowie zukünftige Herausforderungen aufzuzeigen, nicht aber politische Empfehlungen abzugeben.
Zur Struktur des Bildungsberichts
Der nunmehr vorgelegt vierte Bildungsbericht folgt dem in den bisherigen Berichten 2006 bis 2010 dargestellten Konzept, hat weitgehend den gleichen Aufbau, verwendet weitgehend gleiche Indikatorenbezeichnungen und nimmt eine Reihe von Darstellungen und Aussagen – bis hin zu der Art von Abbildungen und Tabellen – in Fortführung früherer Berichte auf. Damit gewinnt der Bildungsbericht 2012 Informationskraft auch aus dieser Fortschreibung wesentlicher Indikatoren und Informationen. Auf eine ausführliche Darstellung der Struktur und insbesondere des Indikatorenverständnisses der nationalen Bildungsberichterstattung in Deutschland wird hier verzichtet; einerseits kann auf die nach wie vor geltende Darstellung in der Einleitung zum vorletzten Bildungsbericht (von 2008) verwiesen werden; andererseits lassen sich die Informationen auch über die Homepage www.bildungsbericht.de abrufen.
Aufgabe jedes Bildungsberichts ist es auch, sich neuen Entwicklungen zuzuwenden und über diese Analysen zu liefern. Veränderte Gesichtspunkte im Hinblick auf Entwicklungen im Bildungswesen werden aufgezeigt; neue Datenquellen, die unter Beachtung der konzeptionellen Grundbedingungen der Bildungsberichterstattung genutzt werden können, lassen innerhalb des Gesamtberichts neue und vertiefende Aussagen zu. Dies gilt wiederum für den Bildungsbericht 2012, der sich beispielsweise erstmalig datengestützt den Bildungsprozessen in der Familie nähert, der aber auch mit der Untersuchung der Nutzung von Zeit im Schulalter neue Fragestellungen aufnimmt, die die öffentliche Diskussion bestimmen. Erstmals wird über die Entwicklung der Bildungseinrichtungen und -standorte und die Hochschulfinanzierung eigenständig berichtet. Dadurch ändert sich teilweise die Reihenfolge der Indikatoren gegenüber den früheren Berichten. Doch ist in dieser Hinsicht eine gewisse Flexibilität geboten, um neben den regelmäßig berichteten Kernindikatoren auch wechselnde Ergänzungsindikatoren aufnehmen zu können, über die in größeren Abständen berichtet wird. Sie sollen es ermöglichen, Kontinuität mit thematischen Variationen und wechselnden Vertiefungen spezifischer Aspekte des Bildungssystems zu verbinden. Die Bildungsberichterstattung in Deutschland stützt sich auf eine Vielzahl von Datenquellen. Hierzu gehört der gesamte Bereich der amtlichen Statistik, nunmehr auch ergänzt um individualisierte Angaben zur Berufsbildungsstatistik, aber auch Untersuchungen zu einzelnen Bildungsbereichen, wie den HIS-Befragungen von Studierenden oder auch internationalen Datensätzen wie dem Adult Education Survey (AES) oder dem European Social Survey (ESS). Bestandteil eines jeden Bildungsberichts ist die vertiefte Behandlung eines Schwerpunktthemas, das konzeptionell darauf ausgerichtet ist, Grundfragen des Bildungssystems aufzunehmen und bildungsbereichsübergreifend und problemorientiert darzustellen. Im Bildungsbericht 2012 werden Fragen der Kulturellen/musisch- ästhetischen Bildung im Lebenslauf einer vertieften Analyse unterzogen und damit erstmalig in einem Bildungsbericht ein besonderer Blick auf einen Themenbereich gerichtet, der in Anbetracht der auf Kernfächer und Kompetenzen fokussierten Debatten an den Rand der Aufmerksamkeit gedrückt zu werden droht. Auch wenn sich im Verlauf der Bearbeitung und Aufbereitung dieses Themas herausstellte, dass die Datenverfügbarkeit und die Datenqualität den für die Bildungsberichterstattung geltenden Anforderungen nur in nicht hinreichendem Maße entsprachen, so lassen gleichwohl die – nicht zuletzt unter Nutzung von Sondererhebungen – möglich gewordenen Aussagen ein Bild dieses Bereichs der kulturellen Bildung in Deutschland zu, das auch für bildungspolitische Bewertungen und Entscheidungen genutzt werden kann. Zugleich zeigt die Darstellung auch, dass eine andauernde Beobachtung und Analyse notwendig erscheint, die dann auch auf verbesserte Datengrundlagen sollte zurückgreifen können. Die Indikatoren der nationalen Bildungsberichterstattung müssen empirisch belastbare Informationen über einen relevanten Ausschnitt des Bildungswesens enthalten, sich auf regelmäßige (periodische) Erhebungen stützen und damit Änderungen im Zeitverlauf aufzeigen und bundesweite und – soweit möglich und sinnvoll – länderspezifisch vergleichbare, aber auch international vergleichende Aussagen zulassen. Angestrebt wird, bei den ausgewählten Indikatoren und Kennziffern nach sozioökonomischem Hintergrund, Migration, Geschlecht, Alter und Regionen (Ost- und Westdeutschland sowie Stadtstaaten, Länder, regionale typisierende Gruppierungen) zu differenzieren und internationale Vergleiche einzubeziehen. Angestrebt wird durchgängig, Entwicklungen als Zeitreihe darstellen zu können.
Folgendes Vorgehen wird gewählt, um den Anspruch der datengestützten Kontinuität mit Aktualität zu verbinden:
• In den Darstellungen der einzelnen Indikatoren werden Bezüge zu relevanten Entwicklungen, für die noch keine Daten berichtet werden können, hergestellt und entsprechende Kontextualisierungen sichtbar gemacht.
• Jedes Kapitel wird mit einem gegenüber den früheren Berichten nunmehr erweiterten Abschnitt Perspektiven abgerundet, der noch einmal besonders zu betonende Gesichtspunkte und aktuelle Entwicklungen auch dann anspricht, wenn noch keine datenbasierten Aussagen möglich sind.
• Durch ausdrückliche Bezugnahmen auf Aussagen und Entwicklungstendenzen in früheren Bildungsberichten wird auf zwischenzeitlich eingetretene Veränderungen besonders hingewiesen.
Zukünftige Forschungs- und Entwicklungsaufgaben im Zusammenhang mit der Bildungsberichterstattung
Wie bereits angesprochen, lassen sich auch in diesem vierten Bildungsbericht manche Entwicklungen noch nicht indikatorengestützt darstellen. Umso wichtiger ist eine dauerhafte Weiterarbeit an der Verbesserung der Grundlagen der Berichte. Die Weiterentwicklung der Bildungsberichterstattung steht einerseits unter der Prämisse, Kontinuität und Vergleichbarkeit von Daten im Zeitverlauf – auch vor dem Hintergrund sich verändernder Statistiken und Erhebungskonzepte – zu gewährleisten, andererseits neue, bisher noch nicht hinreichend beleuchtete Aspekte des Bildungsgeschehens aufzugreifen. Im Rahmen der Weiterentwicklung der Bildungsberichterstattung1 muss es beispielsweise in Zukunft noch klarer gelingen, individuelle Bildungsverläufe darzustellen. Bereits mit dem Schwerpunktthema des Bildungsberichts 2008 wurden durch die Betrachtung von Übergängen innerhalb des Bildungssystems sowie zwischen Bildungssystem und Arbeitsmarkt hier neue Akzente gesetzt. Das von der Deutschen Forschungsgemeinschaft und von der Bundesregierung geförderte nationale Bildungspanel wird dafür in Zukunft neue Möglichkeiten eröffnen. Es bleibt die Erwartung, dass es mit den dann verfügbaren Längsschnittdaten auch gelingen wird, Bezüge zwischen den Bildungsbereichen und damit die Perspektive von Bildung im Lebenslauf stärker zu verdeutlichen. Ein besonderes Augenmerk wird daneben auch weiterhin dem Zusammenhang von sozioökonomischem Status, dem Migrationshintergrund und der Bildungsteilhabe bzw. dem Bildungserfolg zu widmen sein. Der Bericht „Bildung in Deutschland“ ist inzwischen ein wichtiger Bezugspunkt für Bildungsberichte von Ländern und insbesondere der zunehmenden Zahl von Bildungsberichten einzelner Kommunen. Er hat damit, über seine unmittelbare Zielsetzung hinaus, bereits weitreichende Anregungen für die Entwicklung eines Bildungsmonitorings in Deutschland auf allen Verwaltungsebenen gegeben. Durch das Nebeneinander der Bildungsberichterstattung auf unterschiedlichen politischen Ebenen können sowohl Ergebnisse kommunaler Berichte leichter in den Zusammenhang gesamtgesellschaftlicher Entwicklungen eingeordnet werden als auch die lokalen Analysen detaillierter national erkennbare Entwicklungen in ihren Zusammenhängen und Auswirkungen beschreiben. Daraus ergeben sich zusätzliche Erkenntnisse für die Steuerung der bildungspolitischen Entwicklung. Zugleich verdeutlicht die Verbreiterung der Bildungsberichterstellung das zunehmende Interesse der bildungspolitisch Verantwortlichen an differenzierten datengestützten Informationsgrundlagen und an einer Beobachtung der Auswirkungen von eingeleiteten Maßnahmen.
Den gesamten Bericht können Sie hier herunterladen.