Offener Brief des deutschen PEN-Zentrums an Bundeskanzlerin Angela Merkel anlässlich des G20-Gipfels in St. Petersburg, 26.8.2013
Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin,
im Namen des PEN-Zentrums Deutschland, als Mitglied der Schriftstellerorganisation PEN International, die sich weltweit für die Freiheit des Wortes einsetzt, schreiben wir Ihnen anlässlich Ihrer Teilnahme am G20-Gipfel im September in St. Petersburg.
Wie Sie wissen, ist das Recht auf freie Meinungsäußerung in Russland extrem bedroht. In den vergangenen 18 Monaten haben die russischen Gesetzgeber drei Gesetze verabschiedet, die das Recht von Autoren und Aktivisten auf freie Meinungsäußerung drastisch beschneiden:
- Im Juli 2012 wurde der Tatbestand der Verleumdung wieder ins Strafgesetzbuch aufgenommen. Veröffentlichungen in den Medien wie auch in Internet-Blogs sehen sich nun mit einer Höchststrafe von bis zu 153.000 USD konfrontiert, wenn das Gericht auf einen verleumderischen Inhalt befindet.
- Im Juni 2013 wurde § 148 des russischen Strafgesetzbuches dahingehend ergänzt, dass jede Beleidigung religiöser Gefühle zur Straftat erklärt wurde, die mit bis zu drei Jahren Haft geahndet werden kann.
- Ebenfalls im Juni 2013 wurde das Gesetz gegen „homosexuelle Propaganda“ verabschiedet, das jegliche Aktivität verbietet, die als Befürwortung eines nicht-heterosexuellen Lebensstils interpretiert wird. Dieses Gesetz sieht einen Katalog von Strafen vor, zu dem Geldstrafen ebenso gehören wie die Schließung von Unternehmen oder Vereinen sowie die Ausweisung von Ausländern.
PEN International hat unsere Sorgen hinsichtlich dieser Gesetze und des Pussy Riot-Falles bereits im Beitrag zum Russia ́s Universal Periodic Review (UPR) 2013 vor den Vereinten Nationen vorgetragen.
Die andauernde Lagerhaft zweier Mitglieder der weiblichen Punkband Pussy Riot, Nadeschda Tolokonnikowa und Maria Aljochina, zeigt diesen fragwürdigen Umgang mit dem Recht auf freie Meinungsäußerung geradezu exemplarisch.
Tolokonnikowa, Aljochina und ein weiteres Mitglied der Band, Jekaterina Samuzewitsch, waren im August 2012 wegen „Rowdytums“ und „Verbreitung von Religionshass“ verurteilt worden. Vorausgegangen war die Aufführung eines „Punk-Gebets“ in der Moskauer Christ-Erlöser-Kathedrale im Februar 2012. Alle drei Frauen wurden zu einer zweijährigen Haftstrafe verurteilt, Samuzewitschs Strafe wurde später zur Bewährung ausgesetzt.
Sowohl die Anklage als auch die Verhängung der Strafen gegen Tolokonnikowa, Aljochina und Samuzewitsch haben innerhalb Russlands und weltweit Proteste hervorgerufen. Sie stellen eine Verletzung des Rechts auf freie Meinungsäußerung dar, wie es in Artikel 19 des Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte, den Russland 1973 ratifiziert hat, garantiert wird.
Frau Bundeskanzlerin:
- Bitte setzen Sie sich bei der Russischen Föderation für die Freilassung der beiden inhaftierten Pussy Riot-Mitglieder ein!
- Bestehen Sie auf der Aufhebung der drei in den letzten 18 Monaten verabschiedeten anti-freiheitlichen Gesetze!
- Fordern Sie die Russische Föderation zur Einhaltung der Verpflichtungen auf, die sich aus dem Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte ergeben: das Recht auf Meinungsfreiheit und das Recht auf freie Meinungsäußerung zu respektieren!
Mit freundlichen Grüßen
Josef Haslinger, Präsident
Regula Venske, Generalsekretärin