Strafanzeige der Internationalen Liga für Menschenrechte u.a. gegen die Bundesregierung sowie hochrangige Mitarbeiter und Verantwortliche der Geheimdienste, 3.2.2014
Strafanzeige
1. der Internationalen Liga für Menschenrechte e.V., Berlin, Haus der Demokratie und Menschenrechte, Greifswalder Str. 4, 10405 Berlin,
2. des Dr. Rolf Gössner, Rechtsanwalt, Vizepräsident der Internationalen Liga für Menschenrechte e. V. Berlin
3. des Chaos Compter Clubs e.V., Humboldtstraße 53, 22083 Hamburg
4. der Dr. Constanze Kurz, Sprecherin des Chaos Computer Clubs e. V., Humboldtstraße 53, 22083 Hamburg
5. des Digitalcourage e.V., Marktstraße 18, 33602 Bielefeld,
6. der Rena Tangens, Vorstand von Digitalcourage e.V., Marktstr. 18, 33602 Bielefeld,
7. des padeluun, Vorstand von Digitalcourage e.V. Marktstr. 18, 33602 Bielefeld,
Namens und in Vollmacht der AnzeigeerstatterInnen – ordnungsgemäße Bevollmächtigung wird anwaltlich versichert - erstatten wir Strafanzeige
gegen
1) US-amerikanische, britische und deutsche Geheimdienstagenten und ihre Vorgesetzten;
2) den Präsidenten des Bundesnachrichtendienstes (BND), Herrn Gerhard Schindler
3) den Präsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutzes (BfV) Herrn Dr. Hans-Georg Maaßen;
4) den Präsidenten des Amtes für den Militärischen Abschirmdienstes (MAD), Herrn Ulrich Birkenheier,
5) die Leiter der Landesämter für Verfassungsschutz,
6) den Bundesminister des Inneren, Herrn Dr. Thomas de Maiziére,
7) die Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel und die übrigen Mitglieder der Bundesregierung,
8) sowie die Amtsvorgänger der Verdächtigen zu 2) bis 7)
wegen
verbotener geheimdienstlichen Agententätigkeit sowie Beihilfe hierzu, § 99 Strafgesetzbuch (StGB), Verletzungen des persönlichen Lebens- und Geheimbereichs, §§ 201 ff StGB, Strafvereitelung u. a., § 258 StGB, sowie weiterer in Betracht kommender Delikte und stellen soweit erforderlich hiermit Strafantrag.
[...]
II. Dimension der neuen globalen Massenüberwachung
Seit Mitte 2013 haben ausgewählte Zeitungen und Zeitschriften in den USA, England, Frankreich und Deutschland Belege für eine umfassende Ausforschung von Telefonaten, SMS, Emails, sozialen Netzwerken und des Internets insgesamt durch den US- Auslandsgeheimdienst NSA (National Security Agency) und den britischen Geheimdienst GCHQ (Government Communications Headquarters) veröffentlicht. Die Veröffentlichungen basieren auf Dokumenten des Whistleblowers und ehemaligen technischen CIA- und NSA-Mitarbeiters Edward Snowden, der im Rahmen seiner Tätigkeit Zugang zu Informationen über Geheimdienstaktivitäten hatte, die als streng geheim eingestuft waren.5 Rechtsgrundlagen für die Massenüberwachung sind in den USA nach den Anschlägen des 11. September 2001 mit dem Patriot Act und in Großbritannien mit der Regulation of Investigatory Powers Act geschaffen worden. Fast täglich werden neue Spähprogramme wie Prism, Tempora oder XKeyscore sowie Überwachungsaktionen und -objekte bekannt. Der Whistleblower Edward Snowden spricht von der „größten verdachtsunabhängigen Überwachung in der Geschichte der Menschheit“, die er enthüllt habe, weil sie nach seiner Auffassung einen schwerwiegenden Verstoß gegen Menschenrechte und Verfassungen darstelle.
Im Spiegel vom 7. Juli 2013 erklärte Edward Snowden unter anderem, dass die NSA auch mit Deutschland „unter einer Decke“ stecken würde. In seinem jüngsten ARD-Interview vom 26.01.2014 sprach er davon, dass „der deutsche und der amerikanische Geheimdienst miteinander ins Bett gehen“.
In den seit Juni 2013 nicht abreißenden Enthüllungen wurden zahlreiche Überwa- chungsprogramme und -systeme auch in ihrer Funktionsweise ausführlich dargelegt.
Dazu gehören PRISM, Boundless Informant, Tempora, Xkeyscore, Mail Isolation Control and Tracking, FAIRVIEW, Genie, Bullrun und CO-TRAVELER Analytics.
Die Enthüllungen haben periodisch die PolitikerInnen Europas herausgefordert, Stellung zu beziehen und die Ausspähaktionen zu verurteilen. Der damalige Außenminister Guido Westerwelle bestellte den amerikanischen Botschafter ein. Ein sehr ungewöhnliches Vorgehen zwischen Deutschland und den USA, das deutlich zeigt, wie sehr die Beziehungen belastet sind. Andere europäische Politiker, darunter Kommissionspräsident Barroso, sprachen von einer „sehr ernsten Angelegenheit“.
Die „Deutschen Wirtschafts Nachrichten“ schreiben am 30.06.2013:
„Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger fühlt sich an den Kalten Krieg erinnert und weist jeden Terror-Verdacht von sich. Renate Künast verlangt volle Aufklärung und notfalls eine Klage vor dem Internatio- nalen Gerichtshof. Der CSU-Mann im EU-Parlament, Markus Ferber, spricht von der Stasi und dem Verlust der moralischen Glaubwürdigkeit. Sigmar Gabriel, der SPD-Chef, will nicht, dass er als gläserner Mensch durchleuchtet werden kann.
Der Grund der Aufregung ist verständlich: Der US-Geheimdienst NSA hat zugegeben, in Deutschland und der EU so gut wie alles bespitzelt zu haben, was sich im Internet tummelt. Auch Angela Merkel soll ausspioniert worden sein. Die Amerikaner haben Emails gehackt, Telefonate abgehört, Internet- Bewegungen überwacht.“
III. Die Auswirkungen der digitalen Massenüberwachung
1. Auswirkungen auf persönliche Lebens- und Geheimbereiche des privaten und beruflichen Lebens
Die Auswirkungen der digitalen Massenüberwachung fasst Rolf Gössner so zusammen:
„Die digitale Durchleuchtung der Privatsphäre ganzer Gesellschaften ist nicht nur unheimlich, erzeugt Ohnmachtsgefühle und Resignation, sondern stellt praktisch alle Betroffenen millionenfach unter Generalverdacht, führt zu massenhafter Verletzung von Persönlichkeitsrechten, stellt verbriefte Grundrechte, ja die Demokratie insgesamt in Frage.“
[...] Schon wer sich nur überwacht und beobachtet fühlt, verändert sein Verhalten, wird unsicher, entwickelt Ängste – Wirkungen, die den demokratischen Rechtsstaat schädigen, wie das Bundesverfassungsgericht bereits vor dreißig Jahren in seinem Volkszählungsurteil festgestellt hat. Selbstkontrolle, vorauseilender Gehorsam und Selbstzensur machen Menschen zu Spitzeln ihrer selbst – ein tödlich wirkendes Gift für eine offene, freiheitliche demokratische Gesellschaft. Auch Meinungsumfragen bestätigen, dass die zunehmende Beobachtung und Erfassung unseres Verhaltens dieses allmählich verändert.“
In der Folge des Überwachungsskandals haben zahlreiche Menschen ihren Unmut über die Totalüberwachung ausgedrückt. Nicht nur in der Großdemonstration „Freiheit statt Angst“, an der rund 20.000 Menschen im September 2013 in Berlin teilnahmen. Auch zahlreiche Appelle unterschiedlicher Menschen und Berufsgruppen sind seitdem veröffentlicht worden. Dazu gehört auch der Aufruf von über 560 internationalen Schriftstellern, Autoren und Verlegern „Die Demokratie verteidigen im digitalen Zeitalter“ vom 10. Dezember 2013, dem internationalen Tag der Menschenrechte. Darin heißt es u. a.;
„In den vergangenen Monaten ist ans Licht gekommen, in welch ungeheurem Ausmaß wir alle überwacht werden. Mit ein paar Mausklicks können Staaten unsere Mobiltelefone, unsere E-Mails, unsere sozialen Netzwerke und die von uns besuchten Internetseiten ausspähen. Sie haben Zugang zu unseren politischen Überzeugungen und Aktivitäten, und sie können, zusammen mit kommerziellen Internetanbietern, unser gesamtes Verhalten, nicht nur unser Konsumverhalten, vorhersagen.
Eine der tragenden Säulen der Demokratie ist die Unverletzlichkeit des Individuums. Doch die Würde des Menschen geht über seine Körpergrenze hinaus. Alle Menschen haben das Recht, in ihren Gedanken und Privaträu- men, in ihren Briefen und Gesprächen frei und unbeobachtet zu bleiben. Dieses existentielle Menschenrecht ist inzwischen null und nichtig, weil Staaten und Konzerne die technologischen Entwicklungen zum Zwecke der Überwachung massiv missbrauchen.
Ein Mensch unter Beobachtung ist niemals frei; und eine Gesellschaft unter ständiger Beobachtung ist keine Demokratie mehr. Deshalb müssen unsere demokratischen Grundrechte in der virtuellen Welt ebenso durchgesetzt werden wie in der realen.
Überwachung verletzt die Privatsphäre sowie die Gedanken- und Meinungsfreiheit. Massenhafte Überwachung behandelt jeden einzelnen Bürger als Verdächtigen. Sie zerstört eine unserer historischen Errungenschaften, die Unschuldsvermutung.
Überwachung durchleuchtet den Einzelnen, während die Staaten und Konzerne im Geheimen operieren. Wie wir gesehen haben, wird diese Macht systematisch missbraucht. Überwachung ist Diebstahl. Denn diese Daten sind kein öffentliches Eigentum: Sie gehören uns. Wenn sie benutzt werden, um unser Verhalten vorherzusagen, wird uns noch etwas anderes gestohlen: Der freie Wille, der unab- dingbar ist für die Freiheit in der Demokratie.
Wir fordern daher, dass jeder Bürger das Recht haben muss mitzuentscheiden, in welchem Ausmaß seine persönlichen Daten gesammelt, gespeichert und verarbeitet werden und von wem; dass er das Recht hat, zu erfahren, wo und zu welchem Zweck seine Daten gesammelt werden; und dass er sie löschen lassen kann, falls sie illegal gesammelt und gespeichert wurden.“
2. Auswirkungen auf Unternehmen durch Wirtschaftsspionage
Auch die neue Dimension der Wirtschaftsspionage ist von besonderer Bedeutung. Bereits nach dem Ende der Sowjetunion wiesen Insider wie der ehemalige Leiter des BKA-Referates ,,Wirtschaftsspionage", Rainer Engberding zwar daraufhin, dass die osteuropäischen Geheimdienste auch weiterhin in Westeuropa aktiv seien. Allerdings, so der Sicherheitsberater und Autor Manfred Fink, würden diese Aktivitäten bei Weitem durch jene der Nachrichtendienste verbündeter Länder übertroffen. „Ob Freund, ob Feind – zunächst ist man Konkurrent“, zitiert er den ehemaligen Präsidenten des Bundesnachrichtendienstes (BND), Heribert Hellenbroich, und stellt zur „Verlagerung des Problems von Ost nach West“ fest:
„Heute sind es überwiegend die Dienste verbündeter Nationen, die mit Wissen und Duldung des BND die Telekommunikation überwachen. Zu diesem Zweck werden z.B. in Deutschland große Abhörstationen, wie die der NSA in Bad Aibling, betrieben.“
Fink sah schon vor 17 Jahren Wirtschaftsspionage sogar als eine der Hauptaufgaben der NSA an. Die Süddeutsche Zeitung schreibt über die US-Dienste:
„Sie spionieren auch bei Deutschlands Unternehmen, das ist ein offenes Geheimnis. Von einem regelrechten ‚Technologiekrieg’ sprach schon vor mehr als zehn Jahren der bayerische Landtagsabgeordnete Peter Paul Gantzer (SPD).“
Damals, 2001, hatte das Europäische Parlament in einem 192-seitigen Untersuchungsbericht die Existenz von Echelon bestätigt. Der Wirtschaftskrieg habe den Kalten Krieg abgelöst, warnte der Verfasser des Berichtes, Gerhard Schmid (SPD), damals Vizepräsident des Europäischen Parlamentes. Schmid führte zwei Dutzend Fälle auf, in denen Geheimdienste bei Firmen und Ministerien im Ausland geschnüffelt hatten- und als mutmaßlicher Täter wird besonders häufig die NSA genannt. Im ARD-Interview vom 26.01.2014 sagte Edward Snowden, es gebe keine Zweifel, „dass die USA Wirtschaftsspionage betreiben“:
„Wenn es bei Siemens Informationen gibt, von denen sie meinen, dass sie für die nationalen Interessen von Vorteil sind, nicht aber für die nationale Sicherheit der USA, werden sie der Informationen hinterherjagen und sie bekommen.“
Angesichts der NSA-Affäre zeigen sich Vertreter der deutschen Industrie besorgt. Ganz besonders besorgniserregend ist für Ulrich Grillo, den Präsidenten des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI), „in welchem Ausmaß auch Geheimdienste befreundeter Staaten den Datenverkehr überwachen“. Er fordert die Politik dazu auf, jetzt „beherzt“ vorzugehen, um weitere Angriffe auf den „Innovationsstandort Deutschland“ zu verhindern und das Freihandelsabkommen zwischen der EU und den USA nicht zu gefährden. Weiterhin sagte er, der BDI setze sich dafür ein, Wirtschaftsspionage „völkerrechtlich zu ächten“. Vor der Herbsttagung des Bundeskriminalamtes zum Thema Internet- Straftaten, die am 12. und 13. November 2013 in Wiesbaden stattfand, hatte der Sicher- heitsexperte Alexander Geschonneck einen „massiven Anstieg“ digitaler Spionageatta- cken gegen die deutsche Wirtschaft beklagt. „Jedes vierte Unternehmen ist betroffen, die Schäden gehen in die Milliarden“, sagte er gegenüber dem Nachrichtenmagazin Focus. Bei der Aufklärung der NSA-Affäre sehe er „großen Nachholbedarf“: Wenn das Handy der Kanzlern abgehört werden könne, sei auch eine Ausspähung der Wirtschaft wahrscheinlich.
Hierzu fasst der Autor Matthias Rude zusammen:
„Aktuell wird geschätzt, dass deutschen Unternehmen durch Spionage über das Internet ein jährlicher Schaden von weit mehr als 50 Milliarden Euro entsteht. ,,Von der deutschen Wirtschaft ist mal die Zahl von mindestens 50 Milliarden als Schaden beziffert worden, aber ich denke mir, das Dunkelfeld dürfte wesentlich größer sein", meinte Hans Georg Maaßen, Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, jüngst in einem Interview. Nach dem von der Telekom vorgelegten Cyber Security Report 2013 sind nur 13 Prozent der befragten Firmen noch nicht aus dem Internet angegriffen worden; ein Fünftel gab in der Allensbach-Erhebung an, mehrmals wöchentlich oder sogar täglich angegriffen zu werden.“
[...]
Der technische Prozess der Massenüberwachung
1. Bisherige Erkenntnisse
Bezugnehmend auf die so genannten Five Eyes berichtete die Süddeutsche Zeitung am 24. Juni 2013, dass der britische GCHQ sich zu mehr als 200 Glasfaserkabeln weltweit Zugang verschafft hat. 2012 soll das Datenverarbeitungssystem des GCHQ in der Lage gewesen sein, 600 Millionen Telefon-Ereignisse pro Tag zu verarbeiten. Auch der deutsche Verfassungsschutz arbeitet mit dem britischen Geheimdienst zusammen. Im Jahr 2012 wurden 657 Datenübermittlungen an britische Geheimdienste getätigt.
[...]
2. Neue Erkenntnisse
Wie sich 2013 nach investigativen Recherchen von NDR und Süddeutscher Zeitung bestätigte, ist Deutschland längst integraler Bestandteil der US-Sicherheitsarchitektur und des von den USA geführten „Krieges gegen den Terror“. Von hier aus organisierten die USA Entführungsflüge sowie Folter und Hinrichtungen von Terror-Verdächtigen. Deutsche Agenten und solche alliierter Partnerdienste forschten verdeckt über die BNDTarnbehörde
„Hauptstelle für Befragungswesen“ jährlich Hunderte Flüchtlinge und Asylbewerber aus – eine missbräuchliche Instrumentalisierung schutzsuchender Menschen. Ausgeforscht und gesammelt wurden dabei auch kriegsrelevante Informationen, um verdächtige „Zielpersonen“ ausfindig zu machen und mutmaßliche Terroristen mit bewaffneten Kampfdrohnen zu ermorden. Über solche extralegalen Hinrichtungen, bei denen regelmäßig zahlreiche unbeteiligte Zivilpersonen zu Schaden kamen, wird seit 2007 im Afrikom-Regionalkommando der US-Streitkräfte in Stuttgart und auf der US-Basis
Ramstein entschieden.
[...]
C. Die materiell rechtliche Würdigung der geheimdienstlichen Massenüberwachung
I. Grundrechte nach dem Grundgesetz
Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung ist Teil des allgemeinen Persönlichkeitsrechts. Danach hat jede/r das Recht, grundsätzlich selbst zu entscheiden, wann und in welchem Umfang persönliche Tatsachen und Sachverhalte offenbart, also erhoben, gespeichert, verwendet oder weitergegeben werden dürfen. Nach der vom Bundesverfassungsgericht entwickelten so genannten Sphärentheorie, ist jedenfalls die Intimsphäre, die den innersten, unantastbaren Bereich der Persönlichkeit betrifft, jeglichem Eingriff durch die Staatsgewalt entzogen. Die Privatsphäre, die den engsten persönlichen Lebensbereich, insbesondere der Familie betrifft, erlaubt Eingriffe nur dann, wenn sie im überwiegenden Interesse der Allgemeinheit unter strikter Einhaltung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit erfolgen.
Es bedarf keiner näheren Ausführungen, dass durch die anlasslose Massenüberwachung der Telefongespräche usw. zumindest diese beiden Sphären verletzt sind.
Dies gilt erst recht, wenn die Geheimdienste – wie dargelegt – in die Computer und Mobiltelefone eindringen und über Mikrofone und Kamera Aufnahmen machen, die sogar die Intimsphäre und damit den absolut geschützten Kernbereich privater Lebensgestaltung verletzen, also die schwerste, durch nichts zu rechtfertigende Verletzung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung verursachen.
Das von der Verfassung garantierte Recht des Einzelnen, unkontrolliert zu kommunizieren, ist unverzichtbare Grundvoraussetzung einer offenen demokratischen Gesellschaft.
Die frühere Präsidentin des Bundesverfassungsgerichts, Jutta Limbach, brachte es so auf den Punkt:
„Eine demokratische politische Kultur lebt von der Meinungsfreude und dem Engagement der Bürger. Das setzt Furchtlosigkeit voraus. Diese dürfte allmählich verloren gehen, wenn der Staat seine Bürger biometrisch vermisst, datenmäßig durchrastert und seine Lebensregungen elektronisch verfolgt.“
Das Bundesverfassungsgericht hat 2008 aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht das Grundrecht auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme abgeleitet und etabliert, das nur unter ganz engen Voraussetzungen Zugriffe erlaubt; insbesondere sind richterliche Anordnungen und Regelungen zum Schutz des „Kernbereichs privater Lebensgestaltung“ erforderlich. In den amtlichen Leitsätzen zum Urteil 1 BvR 370/07 vom 27.02.2013 hat das BVerfG ausgeführt:
„1. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG) umfasst das Grundrecht auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme. 2. Die heimliche Infiltration eines informationstechnischen Systems, mittels derer die Nutzung des Systems überwacht und seine Speichermedien ausgelesen werden können, ist verfassungsrechtlich nur zulässig, wenn tatsächliche Anhaltspunkte einer konkreten Gefahr für ein überragend wichtiges Rechtsgut bestehen. Überragend wichtig sind Leib, Leben und Freiheit der Person oder solche Güter der Allgemeinheit, deren Bedrohung die Grundlagen oder den Bestand des Staates oder die Grundlagen der Existenz der Menschen berührt. Die Maßnahme kann schon dann gerechtfertigt sein, wenn sich noch nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit feststellen lässt, dass die Gefahr in näherer Zukunft eintritt, sofern bestimmte Tatsachen auf eine im Einzelfall durch bestimmte Personen drohende Gefahr für das überragend wichtige Rechtsgut hinweisen.“
II. Menschenrechte nach der EMRK
Ein ähnlicher Befund ergibt sich aufgrund der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK): Nach Art. 8 EMRK ist das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens, der Wohnung und der Korrespondenz geschützt. Nach Abs. 2 der Vorschrift darf eine Behörde in dieses Recht nur eingreifen, „soweit der Eingriff gesetzlich vorgesehen und in einer demokratischen Gesellschaft notwendig ist für die nationale oder öffentliche Sicherheit, für das wirtschaftliche Wohl des Landes, zur Aufrechterhaltung der Ordnung, zur Verhütung von Straftaten, zum Schutz der Gesundheit oder Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer“.
Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) muss das Gesetz, das die Überwachung zulässt, in besonderem Maße konkret sein, das innerstaatliche Recht muss Schutz gegen willkürliche Eingriffe durch Behörden geben. Denn gerade bei geheimdienstlichen behördlichen Maßnahmen ist die Gefahr der Willkür groß. In einem anderen Fall hatte der Gerichtshof insbesondere beanstandet, dass keine Regeln getroffen sind über Personen, die zufällig als Gesprächspartner der überwachten Person abgehört worden sind.
Auch hier bedarf es keiner näheren Darlegung, da nach den Maßstäben dieser Rechtsprechung eine schwerwiegende Verletzung des Art. 8 EMRK vorliegt.
Das Gleiche gilt für den Schutz persönlicher Daten, den Datenschutz. Hier muss das innerstaatliche Recht ausreichende Garantien gegen Datenmissbrauch geben. Von einem solchen ausreichenden Schutz gegen Datenmissbrauch kann vorliegend keine Rede sein.
Besondere Garantien sind nach der Rechtsprechung des EGMR auch erforderlich bei der Sammlung von Informationen über Personen, gerade auch im Interesse der Staatssicherheit. Zwar hat der EGMR geheime Datensammlungen bei etwa betreffenden Personen, die im engeren Sicherheitsbereich tätig sind, für nach Art. 8 Abs. 2 EMRK möglich gehalten, aber nur, wenn unbedingt nötig und bestimmte Garantien gegen Missbrauch vorgesehen und berücksichtigt werden. Wie dargelegt führt die anlasslose Massenüberwachung auch zur geheimen Sammlung von Informationen von Personen, ohne dass auch nur eine der erforderlichen Garantien eingehalten wäre.
[...]
E. Gesamtergebnis
Es bestehen in ausreichendem Umfang Anhaltspunkte für ein strafbares Verhalten der Verdächtigen. Ein Anfangsverdacht der in Frage kommenden Delikte ist zu bejahen.
Die Präsidenten von BND, BfV und MAD sind verdächtig, sich durch die massenhafte Übermittlung von Telekommunikationsmetadaten an ausländische Geheimdienste wegen geheimdienstlicher Agententätigkeit (§ 99 StGB), des Ausspähens von Daten (§ 202a StGB), der Verletzung von Privatgeheimnissen (§ 203), der Verletzung des Fernmeldegeheimnisses (§ 203 StGB) und wegen Strafvereitelung (§ 258 StGB) strafbar gemacht zu haben. Sie sind darüber hinaus auch verdächtig, Daten beliebiger Art an diese Geheimdienste übermittelt zu haben. Weil sich darunter auch Gesprächs- und Bilddaten befanden, sind sie darüber hinaus auch verdächtig, sich wegen Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes (§ 201 StGB) bzw. wegen Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs durch Bildaufnahmen (§ 201a StGB) strafbar gemacht zu haben.
Dieser Tatverdacht erstreckt sich auch auf die Mitarbeiter dieser Behörden, die hieran mitgewirkt haben. Er erstreckt sich ebenfalls auf die Mitglieder der Bundesregierung, weil der Verdacht besteht, dass die Datenübermittlungen und –ausspähungen in den übergeordneten Bundesministerien und auf Kabinettsebene angeordnet wurden.
Der Tatverdacht besteht zudem gegen die Amtsvorgänger der genannten Personen.
Schließlich besteht auch Tatverdacht gegen die Angehörigen der ausländischen Geheimdienste, die an der Massenausspähung beteiligt waren.
Demnach hat der Generalbundesanwalt die Ermittlungen aufzunehmen und ein Ermittlungsverfahren durchzuführen.
Der vollständige Text der Strafanzeige wird auf Nachfrage von der Internationalen Liga für Menschenrechtegern übermittelt.