Pressemitteilung des Oberlandesgerichts Koblenz, 13.1.2022
Nach den Feststellungen des Senats hat das syrische Regime jedenfalls seit Ende April 2011 einen ausgedehnten und systematischen Angriff gegen die eigene Zivilbevölkerung geführt.
Anfang 2011 sei der sogenannte „arabische Frühling“ auf Syrien übergesprungen. Als sich die Proteste ausweiteten, sei eine „Zentrale Stelle für Krisenmanagement“ gegründet worden. Das Gremium habe unmittelbar dem Staatspräsidenten Bashar al-Assad unterstanden und für sämtliche Sicherheitskräfte das Vorgehen gegen die Protestbewegung vorgegeben. Ziel der im April 2011 gefassten Beschlüsse der Zentralen Stelle für Krisenmanagement sei es gewesen, die Proteste zur Stabilisierung des Regimes unter Einsatz von Waffengewalt um jeden Preis niederzuschlagen. Die Teilnehmer an Demonstrationen oder Kundgebungen hätten von weiteren Aktivitäten abgehalten und die Gesamtbevölkerung von Protesten nachhaltig abgeschreckt werden sollen.
Die Vorgaben der „Zentralen Stelle für Krisenmanagement“ seien durch die Sicherheitskräfte und insbesondere auch die syrischen Geheimdienste umgesetzt worden. Diese hätten Protestkundgebungen unter Einsatz tödlichen Schusswaffengebrauchs zerschlagen. Täglich seien massenhaft Verhaftungen von tatsächlichen oder vermeintlichen Regimegegnern vorgenommen und diese in die Gefängnisse der Geheimdienste gebracht worden, unter anderem auch in das Gefängnis der Abteilung 251 des syrischen Allgemeinen Geheimdienstes in Damaskus. Dort seien die Gefangenen ohne rechtsstaatliches Verfahren eingesperrt, misshandelt und gefoltert worden.
Die Gewalt sei nicht nur isoliert und zufällig angewendet worden, sondern im Rahmen einer umfassenden Strategie des Regimes. Die syrische Bevölkerung habe gefügig gemacht werden sollen.
Nach Bewertung des Senats war dieser Angriff auf die syrische Zivilbevölkerung nicht nur in quantitativer Hinsicht ausgedehnt, sondern auch in qualitativer Hinsicht systematisch.
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Der Senat ist zu der Feststellung gelangt, dass in dem der Vernehmungsunterabteilung der Abteilung 251 des Syrischen Allgemeinen Geheimdienstes in Damaskus angeschlossenen Gefängnis im Zeitraum von Ende April 2011 bis Anfang September 2012 mindestens 4.000 Gefangene inhaftiert waren. Die Häftlinge seien bei ihren Vernehmungen auf verschiedene Weise, etwa durch Schläge mit Kabeln oder Stöcken, Tritte und Elektroschocks, brutal gefoltert worden. Um die Gefangenen zu erniedrigen und zu demütigen, sei auch sexuelle Gewalt eingesetzt worden. Die Häftlinge seien außerhalb der Vernehmungen ebenfalls den Misshandlungen des Gefängnispersonals ausgesetzt gewesen und unter unmenschlichen und erniedrigenden Haftbedingungen in dem überfüllten Gefängnis festgehalten worden. Neben der selbst erlittenen Gewalt und Folter hätten die Gefangenen besonders unter den permanent hörbaren Schmerzensschreien der gefolterten Mithäftlinge gelitten. In dem stark überfüllten Gefängnis sei den Gefangenen teilweise das Schlafen nicht möglich gewesen. Medizinische Versorgung sei verweigert worden, die ausgegebenen Nahrungsmittel seien unzureichend und oftmals ungenießbar gewesen.
27 inhaftierte Personen seien im Zeitraum von Ende April 2011 bis Anfang September 2012 infolge der Folter, der anderen Misshandlungen oder der Haftbedingungen gestorben.
Zur Rolle des Angeklagten hat der Senat festgestellt, dass dieser Mitglied des syrischen Allgemeinen Geheimdienstes und dort in herausgehobener Position tätig gewesen sei. Ihm habe die Vernehmungsunterabteilung der für den Raum Damaskus zuständigen Abteilung 251 des Allgemeinen Geheimdienstes – auch bezeichnet als Al-Khaib- Abteilung – unterstanden. In dieser Funktion sei der Angeklagte auch für das an die Vernehmungsabteilung angeschlossene Gefängnis zuständig gewesen.
Als Leiter der Vernehmungsabteilung sei der Angeklagte für die dortigen Geschehnisse einschließlich derjenigen im Gefängnis im Tatzeitraum April 2011 bis September 2012 verantwortlich gewesen. Er habe die Abläufe in dem Gefängnis überwacht und maßgeblich bestimmt und somit Tatherrschaft gehabt. Obgleich der Angeklagte die Taten nicht persönlich ausgeführt habe, seien ihm diese aufgrund seiner Entscheidungs- bzw. Befehlsgewalt zuzurechnen.
Der Senat hat den Angeklagten aus diesem Grund als Mittäter verurteilt.
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