Dokumente zum Zeitgeschehen

»Der Beschluss stellt keine Grundlage dar, die eine Einschränkung rechtfertigen könnte«

Ausarbeitung des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestages zum BDS-Beschluss des Deutschen Bundestages, 21.12.2020

1. Fragestellung

Der Bundestag hat am 17. Mai 2019 einen gemeinsamen Antrag von CDU/CSU, SPD, FDP und Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „Der BDS-Bewegung entschlossen entgegentreten – Antisemitismus bekämpfen“ (BT-Drucksache 19/10191) angenommen. Der Bundestag tritt damit jeder Form des Antisemitismus schon im Entstehen entschlossen entgegen und verurteilt die BDS-Kampagne und den Aufruf zum Boykott von israelischen Waren, Unternehmen, Wissenschaftlern, Künstlern und Sportlern. Es sollen keine Organisationen finanziell gefördert werden, die das Existenzrecht Israels in Frage stellen. Länder, Städte und Gemeinden werden aufgerufen, sich dieser Haltung anzuschließen.

Es wurde die Frage aufgeworfen, ob es qualitative Vorgaben für Äußerungen durch die Mitglieder der Bundesregierung, ihre Beauftragten und die nachgeordneten Behörden gebe, wenn durch diese Äußerungen Personen oder Gruppierungen als antisemitisch, rassistisch oder extremistisch bewertet werden.

Außerdem wurden die Fragen aufgeworfen, ob Bundestagsbeschlüsse Auswirkungen auf die Verwaltungspraxis haben können, ob der BDS-Beschluss eine Rechtsgrundlage für Verwaltungshandeln darstellen kann, wie ein Gesetz verfassungsrechtlich zu bewerten wäre, das Auftritte oder Veranstaltungen BDS-naher Personen untersagt und ob Gemeinden BDS-nahen Personen den Gebrauch von öffentlich-rechtlichen Einrichtungen untersagen können.

2. Äußerungen der Bundesregierung

Nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts folgt die Äußerungsbefugnis von Hoheitsträgern aus dem einem Amt oder Organ zugewiesenen Aufgaben- und Zuständigkeitsbereich im Rahmen der erforderlichen Informations- und Öffentlichkeitsarbeit.  Wie jedes Staatshandeln unterliegt auch die Informations- und Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung dem Sachlichkeitsgebot.  Bei Äußerungen von Hoheitsträgern in Bezug auf Gruppen und Personen können deren Grundrechte der staatlichen Informations- und Öffentlichkeitsarbeit Grenzen setzen.  Dabei kommt insbesondere die Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG) in Betracht, wenn Äußerungen von Gruppen oder Personen als antisemitisch, rassistisch oder extremistisch bewertet werden. Hier kann es zu mittelbar-faktischen Grundrechtseingriffen kommen, wenn das staatliche Informationshandeln das grundrechtlich geschützte Verhalten hinreichend gewichtig oder final beeinträchtigt.  

Bei entsprechenden Äußerungen sind daher die Grundrechte der Betroffenen und das alle Staatsorgane bindende Sachlichkeitsgebot zu beachten. Aus dem Sachlichkeitsgebot in der Ausprägung des Willkürverbots  ist abzuleiten, dass Werturteile nicht auf sachfremden Erwägungen beruhen dürfen, d. h. bei verständiger Beurteilung auf einem im Wesentlichen zutreffenden oder zumindest sachgerecht und vertretbar gewürdigten Tatsachenkern beruhen müssen, und zudem den sachlich gebotenen Rahmen nicht überschreiten dürfen.  

3. Rechtswirkung des Bundestagsbeschlusses

Bei den Beschlüssen des Deutschen Bundestages wird zwischen den „echten“ und den „schlichten“ Parlamentsbeschlüssen unterschieden.  Echte Beschlüsse sind solche mit rechtlicher Verbindlichkeit für den Adressaten.  Diese verbindlichen Beschlüsse sind im Wesentlichen im GG selbst genannt. Dazu gehören aus dem inneren Bereich des Bundestages z. B. die Einsetzung von Untersuchungsausschüssen (Art. 44 Abs. 1 Satz 1 GG), aus dem Verhältnis zu anderen Verfassungsorganen z. B. das Herbeirufen von Mitgliedern der Bundesregierung (Art. 43 Abs. 1 GG) oder aus dem Bereich der besonderen Staatsangelegenheiten z. B. die Feststellung des Verteidigungsfalls (Art. 115a Abs. 1 GG).  

Demgegenüber geht von schlichten Parlamentsbeschlüssen keine (rechtliche) Verbindlichkeit aus. Es handelt sich dabei oft um Stellungnahmen zu aktuellen Ereignissen, politische Absichtserklärungen, Ersuchen an die Regierung oder andere Entschließungen, denen (ggf. noch) keine Regulierungsabsicht zu Grunde liegt.  Diese Beschlüsse müssen sich nicht an ein anderes Staatsorgan wie z. B. die Regierung richten, sie können auch als Absichtserklärung für das zukünftige Handeln des Bundestages selbst zu sehen sein. Trotz der fehlenden Verbindlichkeit wird diesen Beschlüssen eine nicht unerhebliche politische Bedeutung zugemessen.  

Der hier betrachtete Beschluss des Bundestages vom 17. Mai 2019 ist als schlichter Parlamentsbeschluss zu bewerten. Er ist nicht auf der Basis einer spezifischen rechtlichen Regelung ergangen und hat daher keine rechtliche Bindungswirkung für andere Staatsorgane. Der Beschluss stellt eine politische Meinungsäußerung im Rahmen einer kontroversen Debatte dar.  

Durch den Beschluss werden daher Kommunen nicht verpflichtet, Einzelpersonen oder Organisationen, die der BDS-Bewegung nahestehen und diese unterstützen, die Nutzung öffentlicher Räume zu untersagen. Der Beschluss des Deutschen Bundestages stellt keine Rechtsgrundlage für Entscheidungen dar, durch die Auftritte von Einzelpersonen in öffentlichen Räumen oder mit öffentlichen Mitteln geförderte Veranstaltungen untersagt werden können. Solche Entscheidungen bedürfen stets einer Rechtsgrundlage im Einzelfall.

Sofern bei Verwaltungsentscheidungen ein Ermessen eingeräumt wird, kann der Beschluss bei der Ermessenausübung im Rahmen der Abwägung berücksichtigt werden. Es ist daher möglich, dass der Beschluss insofern Auswirkungen auf die Verwaltungspraxis haben kann. Schlichte Parlamentsbeschlüsse allein können keine Rechtsgrundlage für grundrechtseinschränkende Entscheidungen darstellen.

4. Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes zur Einschränkung der Nutzung öffentlicher Räume

Ein Gesetz, das die Nutzung öffentlicher Räume oder Auftritte in mit öffentlichen Mitteln geförderten Veranstaltungen für Personen untersagen würde, denen eine Verfolgung von Zielen der BDS-Bewegung vorgeworfen wird, könnte in das Grundrecht auf Meinungsfreiheit nach Art. 5 GG eingreifen. Nach Art. 5 Abs. 1 GG hat jeder das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten. Diese Rechte finden ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze (Art. 5 Abs. 2 GG).

Unter allgemeinen Gesetzen i. S. v. Art. 5 Abs. 2 GG sind solche Gesetze zu verstehen, die nicht eine Meinung als solche verbieten, sondern dem Schutz eines schlechthin ohne Rücksicht auf eine bestimmte Meinung zu schützenden Rechtsguts dienen. Dieses Rechtsgut muss in der Rechtsordnung allgemein und damit unabhängig davon geschützt sein, ob es durch Meinungsäußerungen oder auf andere Weise verletzt werden kann.  Ist eine inhaltsbezogene Meinungsbeschränkung nicht hinreichend offen gefasst und richtet sie sich von vornherein nur gegen bestimmte Überzeugungen, Handlungen oder Ideologien, so fehlt es an der Allgemeinheit des Gesetzes.  

Ein Gesetz, das lediglich das Ziel hat, die Nutzung von öffentlichen Räumen für Personen zu unterbinden, denen eine Verfolgung von Zielen der BDS-Bewegung vorgeworfen wird, knüpft an eine bestimmte Meinung an und wäre daher kein allgemeines Gesetz i. S. d. Art. 5 Abs. 2 GG. Die Meinungsfreiheit ist nicht erst dann berührt, wenn das grundrechtlich geschützte Verhalten selber eingeschränkt oder untersagt wird. Es genügt, dass nachteilige Rechtsfolgen daran geknüpft werden.  Mit einem solchen Gesetz würde zwar nicht die Meinung als solche verboten, Personen oder Gruppen, die mit dieser Meinung sympathisieren, würden aber beim Zugang zu öffentlichen Räumen benachteiligt.

Es ist nicht ersichtlich, welches unabhängig von bestimmten Meinungsinhalten zu schützende Rechtsgut ein derartiges Gesetz schützen würde, da es explizit auf eine bestimmte Meinung abzielen und diese Meinung durch einen Nutzungsausschluss öffentlicher Räume sanktionieren würde. Allein die Äußerung dieser Meinung gefährdet noch nicht die öffentliche Ordnung als Friedlichkeit der öffentlichen Auseinandersetzung.  Ein derartiges Gesetz wäre nicht mit dem Grundrecht auf Meinungsfreiheit zu vereinbaren und daher verfassungswidrig.

5. Einschränkungen des Gebrauchs öffentlich-rechtlicher Einrichtungen

Die Gemeindeordnungen der Bundesländer bestimmen, dass alle Einwohner einer Gemeinde unter bestimmten Voraussetzungen berechtigt sind, die öffentlichen Einrichtungen der Gemeinde zu benutzen.  Dieser grundsätzliche Anspruch besteht, wenn die Nutzung im Rahmen der Widmung und nach Maßgabe der bestehenden allgemeinen Vorschriften erfolgt.

Soll eine Nutzung im Rahmen der Widmung erfolgen, kann diese nur verweigert werden, wenn sie nicht im Rahmen des geltenden Rechts erfolgen würde. Eine Grenze für die zulässige Nutzung im Rahmen des geltenden Rechts ist dort zu ziehen, wo die Gemeinden darlegen und beweisen, dass durch die Nutzung etwa die Gefahr der Begehung strafbarer Handlungen (z. B. §§ 130, 185 Strafgesetzbuch) besteht.  

Zwar verstoßen auf antisemitischen Vorstellungen beruhende politische Konzepte wegen ihrer zweifelsfrei bestehenden Unvereinbarkeit mit der Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG) gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung.  Der Schutzbereich der Meinungsfreiheit umfasst aber auch Äußerungen, die extremistisch, rassistisch oder antisemitisch sind.  In das Grundrecht der Meinungsfreiheit darf erst eingegriffen werden, wenn die betreffenden Meinungsäußerungen die rein geistige Sphäre des Für-richtig-Haltens verlassen und in Rechtsgutverletzungen oder erkennbar in Gefährdungslagen umschlagen.

Nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes München ist die Feststellung, dass eine Person oder Gruppe durch antisemitische Äußerungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung verstößt, für sich genommen nicht ausreichend, um entsprechende Meinungsäußerungen auch im Rahmen politischer Informations- oder Diskussionsveranstaltungen behördlicherseits von vornherein zu untersagen oder darauf einen Nutzungsausschluss zu stützen.  Eine Rechtsgutverletzung oder Gefährdungslage durch Meinungsäußerungen ist erst dann anzunehmen, wenn sie „den öffentlichen Frieden als Friedlichkeit der öffentlichen Auseinandersetzung gefährden und so den Übergang zu Aggression oder Rechtsbruch markieren“.  

In den bisher von der Rechtsprechung entschiedenen Fällen konnten zudem die Gemeinden einen Verstoß gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung BDS-naher Personen und Gruppen nicht darlegen, insbesondere da die BDS-Bewegung weder eine eigene Rechtspersönlichkeit noch eine verfestigte, rechtsförmige Organisationsstruktur besitzt , von der eine hinreichende Gefährdung der öffentlichen Ordnung ausgehen könnte.

Ein Nutzungsausschluss von BDS-nahen Personen oder Gruppen allein wegen zu erwartender unerwünschter Meinungsäußerungen ist daher mit Art. 5 Abs. 1 GG unvereinbar. Insbesondere stellt auch der Beschluss des Deutschen Bundestages vom 17. Mai 2019 – wie oben dargelegt – keine Grundlage dar, die eine solche Einschränkung rechtfertigen könnte.

Die gesamte Ausarbeitung können Sie hier herunterladen.