Gegenanträge der Kritischen Aktionärinnen und Aktionäre zur Hauptversammlung der ThyssenKrupp AG, 18.1.2013
Gegenantrag zum Tagesordnungspunkt 2: Entlastung der Mitglieder des Vorstands
Den Mitgliedern des Vorstandes wird die Entlastung verweigert. Begründung:
Der Vorstand von ThyssenKrupp hat gegen die Regeln verantwortungsvoller Unternehmensführung (Corporate Governance) verstoßen, Kartellrechtsverstöße begangen sowie unverantwortliche Investitionen in Stahlwerke und in Rüstungsproduktion getätigt. Dadurch wurden der Wert und die Reputation des Unternehmens erheblich gemindert.
1. Corporate Governance allgemein
Der Vorstand von ThyssenKrupp hat gegen alle Regeln der sich selbst auferlegten Corporate Governance verstoßen. Corporate Governance steht nach Angaben von ThyssenKrupp „für eine verantwortungsbewusste und auf langfristige Wertschöpfung ausgerichtete Führung und Kontrolle von Unternehmen. Effiziente Zusammenarbeit zwischen Vorstand und Aufsichtsrat, Achtung der Aktionärsinteressen, Offenheit und Transparenz der Unternehmenskommunikation sind wesentliche Aspekte guter Corporate Governance.“
2. Verstoß gegen das Kartellgesetz
ThyssenKrupp hat in dem sog. „Schienenkartell“ eine wesentliche Rolle gespielt. Das Kartell hat zwischen 2001 und 2011 Mengen und Preise von Schienenlieferungen an die Deutsche Bahn abgesprochen. Im Juli 2012 verhängte das Bundeskartellamt gegen die am Kartell beteiligten Firmen Bußgelder. Die mit Abstand höchste Strafe von 103 Mio. Euro musste ThyssenKrupp zahlen. Der entstandene Schaden geht zu Lasten der Aktionäre.
3. Unverantwortliche Investitionen
Die mangelhafte Planung, Ausführung und Inbetriebnahme des größten Stahlwerks in Lateinamerika an der Bucht von Sepetiba bei Rio de Janeiro (Brasilien) hat der ThyssenKrupp AG Milliardenverluste eingebracht, die Existenz von 8.000 Fischern vernichtet und bei der lokalen Bevölkerung zu schweren Gesundheitsschäden geführt. Der Vorstand hat es versäumt, den von den Anwohnern erhobenen Vorwürfen der Umweltverschmutzung durch den Staub des Stahlwerks TKCSA in Rio de Janeiro angemessen nachzugehen und die Gesundheitsgefährdung der Anwohner durch geeignete Maßnahmen auszuschließen.
Der Arzt Hermano de Castro des staatlichen Gesundheitsinstituts Fiocruz wies auf die Gesundheitsgefahren für die Anwohner hin, wenn sie über längere Zeiträume der vom Stahlwerk verursachten Staubbelastung ausgesetzt werden. Er empfahl, im Hinblick auf chronische Erkrankungen wie Krebsfälle die Anwohner über 20 Jahre ärztlich zu beobachten. Indes hat die Hilfsorganisation medico international Anhaltspunkte, dass die Dokumentation von Gesundheitsschäden der lokalen Bevölkerung möglicherweise unterdrückt wird. Ein Arzt, der Patienten bescheinigte, dass ihre Symptome wie Atemnot und Ausschläge mit der Verseuchung durch die Fabrik zusammenhängen, sei plötzlich versetzt worden.
Das TKCSA-Stahlwerk wurde seit Betriebsbeginn von den Behörden schon dreimal mit Millionenstrafen wegen massiver Umweltverstöße belegt. Es sind mehrere straf- und zivilrechtliche Prozesse gegen die Firmenverantwortlichen und das Werk anhängig und die Behörden haben die definitive Betriebsgenehmigung wegen der anhaltenden, die Grenzwerte überschreitenden Umweltbelastungen noch immer nicht erteilt.
Nach dem letzten großen Staubniedergang auf die angrenzenden Wohngebiete Ende Oktober droht dem TKCSA-Werk die Schließung. Der Umweltminister von Rio de Janeiro, Carlos Minc erklärte, seine Geduld sei am Ende. Die von ThyssenKrupp so pompös als "sauber" und "weltweit modernst" beworbenen Clean-Development-Mechanismen-(CDM)-Projekte des TKCSA-Werks, die giftigen Gase von Kokerei und Hochofen zur Stromgewinnung mittels Gasturbinen zu verbrennen und die Rückwärme der Anlagen im Kraftwerk über Dampfturbinen weiterzuverwenden, sind laut der UN-Organisation UNFCCC mittlerweile Makulatur: Das Stahlwerk wird die CO2-Emissionen des gesamten Stadtgebiets von Rio (Industrie, Verkehr und Haushalte) um 72 Prozent erhöhen.
Indessen weigert sich der ThyssenKrupp-Vorstand immer noch, rechtmäßige Ansprüche der Fischer auf Entschädigung wegen jahrelanger Verdienstausfälle zu erfüllen. Solange die Fischer nicht entschädigt, die Umweltverschmutzung nicht beseitigt und die gesundheitlichen Belastungen für die Bevölkerung nicht behoben sind, darf sich der Vorstand nicht aus seiner Verantwortung stehlen und das TKCSA-Stahlwerk verkaufen.
4. Rüstungsgeschäfte mit undemokratischen Staaten
ThyssenKrupp konzentriert sich nach eigenen Aussagen mit seiner Sparte Marine Systems „nach erfolgreicher Neuausrichtung nun ausschließlich auf den Marineschiffbau“. Dank der höheren Nachfrage nach Fregatten und U-Booten in außereuropäischen Ländern sei der Auftragseingang im zurückliegenden Geschäftsjahr um 21 Prozent auf 3,6 Mrd Euro gestiegen. Der Auftragsbestand habe sich „sogar auf das Rekordniveau von 9,0 Mrd Euro“ erhöht.
Trotz aller finanziellen Schwierigkeiten von ThyssenKrupp müssen Rüstungsgeschäfte mit den Ländern unterbleiben, die weder demokratisch sind noch für ihre Bevölkerung ausreichende Gesundheits- oder Bildungsausgaben vorsehen. Pakistan ist ein solches Beispiel und dennoch will ThyssenKrupp drei U-Boote im Wert von 1,3 Mrd. Euro dorthin liefern.
Gegenantrag zum Tagesordnungspunkt 3: Beschlussfassung über die Entlastung der Mitglieder des Aufsichtsrats:
Den Mitgliedern des Aufsichtsrats wird die Entlastung verweigert.
Begründung:
Der Aufsichtsrat ist seiner Kontrollpflicht gegenüber dem Vorstand nicht gerecht geworden und somit mit verantwortlich für Milliardenverluste sowie Kartellrechts- und Corporate-Governance-Verstöße der ThyssenKrupp AG.
1. Vernachlässigung der Kontrollpflicht
Der Aufsichtsrat hat die ihm obliegende Kontrollpflicht vernachlässigt und den optimistischen Angaben des Vorstands in fahrlässiger Art Glauben geschenkt. Insbesondere der Aufsichtsratsvorsitzende Cromme hätte aufgrund seiner langjährigen Kenntnis des Stahlgeschäfts aus seiner Vorstands- und Aufsichtsratstätigkeit beim Vorgängerunternehmen Krupp und bei ThyssenKrupp früher intervenieren können und müssen.
Die Wahl falscher Auftragnehmer und die Mängel in der Planung und bei der Errichtung des TKCSA-Stahlwerkkomplexes in der Bucht von Sepetiba und die einhergehende Kostenexplosion sind seit Jahren bekannt.
Ebenso konnte dem Aufsichtsrat nicht verborgen geblieben sein, dass es bereits 2008 Klagen seitens der Fischer in der Bucht von Sepetiba gab, dass der Bau des Stahlwerks zum Sterben der Fischpopulation führte. Dies führte bei den Fischern der Bucht von Sepetiba zu erheblichen Verdienstausfällen. Bis heute warten sie auf eine Entschädigung durch ThyssenKrupp. Zu den Pflichten des Vorstands gehört es, den Vorstand anzuweisen, der berechtigten Forderung der Fischer nachzukommen.
Auch bei der Frage, wie die in der Region Rio de Janeiro vom Stahlwerk verursachte Umweltverschmutzung einzudämmen ist, und welche Hilfe Anwohnern zuteil werden kann, die durch Emissionen Gesundheitsschäden erlitten, muss der Aufsichtsrat auf den Vorstand einwirken.
2. Unternehmenskontrolle durch juristische Gutachten
Beim Aufsichtsrat von ThyssenKrupp hat sich eingebürgert, externe juristische Gutachten einzuholen, um festzustellen, ob der Vorstand seine Pflichten verletzt hat. Merkwürdigerweise musste Ekkehard Schulz sein neues Amt als Aufsichtsratsmitglied von ThyssenKrupp aufgeben, bevor das Ergebnis des juristischen Gutachtens, das seine frühere Vorstandstätigkeit untersuchte, bekannt war. Das Gutachten, welches vor einem Jahr veröffentlich wurde. wies ihm im übrigen keine Pflichtverletzung nach und Ekkehard Schulz wurde bei der Hauptversammlung 2012 von ThyssenKrupp rehabilitiert. Nun holt der Aufsichtsrat ein neues juristisches Gutachten ein, in dem die Rolle von Schulz und anderen Vorständen abermals beleuchtet wird. Damit sich die Aktionäre ein Bild von Art und Qualität der Gutachten machen können, muss ihnen bereits vor der Hauptversammlung 2013 Einsicht in die Gutachten gewährt werden. Ansonsten verfestigt sich der Eindruck, dass der Aufsichtsrat Fakten, die für die Meinungsbildung der Aktionäre wichtig sind, verheimlicht. Schon jetzt besteht in der Öffentlichkeit der Eindruck, dass der Aufsichtsrat seine Pflicht zur Kontrolle der Unternehmensführung des Vorstands nicht durch eigene Kompetenz wahrnimmt, sondern diese Kompetenz an eine externe Stelle – die mit dem Gutachten betraute Kanzlei Hengeler Mueller – abschiebt. Der Aufsichtsrat muss die Frage beantworten, wie lange die Kontrolle der Unternehmensführung bei ThyssenKrupp noch durch juristische Gutachten erfolgen soll.
3. Rolle des Aufsichtsratsvorsitzenden und der Krupp-Stiftung
Die Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung (Krupp-Stiftung) ist mit einem Anteil von 25,33 Prozent am Grundkapital der ThyssenKrupp AG beteiligt. Damit kontrolliert die Stiftung den Aufsichtsrat des Unternehmens, in den sie drei Mitglieder entsendet. Eines davon ist Gerhard Cromme, der seit elf Jahren dem Aufsichtsrat vorsteht. Da er wie oben geschildert seine Aufgaben seit langem nicht mehr ordnungsgemäß wahrnimmt, sollte die Krupp-Stiftung anstelle von Herrn Cromme einen neuen Vertreter oder eine neue Vertreterin in den Aufsichtsrat der ThyssenKrupp AG entsenden.
Die vom Dachverband der Kritischen Aktionärinnen und Aktionäre eingebrachten Gegenanträge werden von der Hilfsorganisation medico international, vom Forschungs- und Dokumentationszentrum Chile-Lateinamerika und von der Koordination Brasilien (KoBra) unterstützt.