WSI-Verteilungsbericht der Hans-Böckler-Stiftung, 26.11.2015
»Die Daten belegen die aktuell gute konjunkturelle Entwicklung. Diese schlägt sich unter anderem in einem Anstieg der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung und erfreulichen Reallohnzuwächsen nieder. Allerdings ist bei der Ungleichheit der Verteilung der Haushaltseinkommen keine Besserung festzustellen. Tatsächlich ist diese zuletzt sogar leicht angestiegen. Auch die Armutsquote ist trotz des konjunkturellen Aufschwungs nicht rückläufig. Hier zeigt sich, dass keineswegs alle Haushalte vom derzeitigen Aufschwung profitieren können. Zudem hat sich seit den 1980er Jahren die Einkommensverteilung deutlich verfestigt. Die Aufstiegschancen der Einkommensarmen haben stark abgenommen. Diese Entwicklungen müssen durch eine stärkere Umverteilung beendet werden. Die hierzu notwendigen Reformen betreffen insbesondere die Wiedereinführung der Vermögenssteuer, die Erhöhung der Erbschaftssteuer und die Anhebung des gesetzlichen Mindestlohns.[...]
Abstiegsrisiko in der Mittelschicht
Die obere und die untere Mitte haben sich zu Klassen mit deutlichen Abstiegsrisiken entwickelt. Vor allem in der Unteren Mitte steigen deutlich mehr Personen zu den Armen ab, als dies in den 1980er Jahren der Fall war. [...]
Entkopplung der Lebensbedingungen von der Wirtschaftslage
Die deutsche Konjunktur zeigt aufwärts. Die Zahl der Erwerbslosen hat einen Tiefstand erreicht und seit einigen Jahren steigen auch die realen Löhne und Gehälter wieder. Dennoch geht die Einkommensungleichheit nicht zurück, sondern steigt zuletzt sogar wieder leicht an. Der konjunkturelle Aufschwung schlägt sich nicht in den materiellen Lebensbedingungen aller Menschen nieder. Es scheint hier vielmehr eine Polarisierung stattzufinden, die mit einer deutlichen Segmentierung der Einkommensverteilung verbunden ist. Die Wirtschafts- und Finanzkrise von Mitte bis Ende der 2000er Jahre hat die Haushalte an der Spitze der Verteilung nicht nachhaltig betroffen – Großer Reichtum wird immer dauerhafter. Von dem derzeitigen wirtschaftlichen Anstieg können die ärmeren Bevölkerungsgruppen nur eingeschränkt profitieren. Immer mehr Personen sind von verfestigter Armut betroffen. Hier zeigt sich eine bedenkliche Entkoppelungstendenz: Die tatsächlichen Lebensbedingungen der Menschen in Deutschland sind zunehmend unabhängig von der gesamtwirtschaftlichen Lage. Die sehr Reichen schweben regelrecht über den konjunkturellen Krisen, während viele Arme auch von einem länger andauernden wirtschaftlichen Aufschwung kaum profitieren können.
Bedeutung der Erwerbseinkommen nimmt ab
Die Einkommensverteilung ist in den letzten drei Jahrzehnten deutlich undurchlässiger geworden – und mit ihr hat sich auch die Chancengleichheit verringert. Gleichzeitig steigt der Anteil der Gewinn- und Vermögenseinkommen am Volkseinkommen und damit die Bedeutung von privaten Vermögen bzw. Renditen und Kapitalgewinnen. Europaweit hat Deutschland die höchste Vermögensungleichheit (Grabka/Westermeier 2014). Zudem sind Vermögenseinkommen deutlich unabhängiger von der konjunkturellen Entwicklung als dies bei den Erwerbseinkommen der Fall ist. Wenn die Bedeutung von Erwerbseinkommen abnimmt – am oberen Ende zugunsten von Vermögenseinkommen, am unteren zugunsten staatlicher Transferzahlungen – verstärkt das die Entkoppelungstendenz zusätzlich. [...] Ein weiterer zentraler Punkt: In Deutschland werden in den nächsten Jahren exorbitante Summen vererbt. Bislang gilt dabei: Wer hat, dem wird gegeben. [...] Zusammenfassend: Die Begrenzung der Ungleichheit muss auch am unteren Ende des Einkommensreichtums ansetzen, von zentraler Bedeutung ist aber der verteilungspolitische Spielraum bei den „Superreichen“.«
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