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»Deutschland muss dringend mehr gegen rassistische Diskriminierungen und Übergriffe tun«

Bericht der Anti-Rassismus-Kommission des Europarats über den Umgang mit Rassismus und Intoleranz in der Bundesrepublik, 25.2.2014

Deutschland hat das Zusatzprotokoll zum Übereinkommen über Computerkriminalität ratifiziert. Die nationalen Stellen haben kürzlich die Möglichkeiten geprüft, die Verpflichtung in die Richtlinien für Strafverfahren aufzunehmen, bei Ermittlungsverfahren nach dem Vorliegen eines „rassistischen, fremdenfeindlichen oder besonders verwerflichen" Motiv zu suchen. Mehrere Bundesländer haben eigene Antidiskriminierungsstellen eingerichtet. Die Präventivmaßnahmen, die darauf abzielen, junge Menschen besser über die Gefahren von Neonazis und rechtsextremen Organisationen aufzuklären, wurden verstärkt. Der Bundesrat hat am 14. Dezember 2012 beschlossen, einen weiteren Antrag auf Verbot der NPD (Nationaldemokratische Partei) zu stellen. Morde mit einem möglichen rassistischen Motiv werden neu untersucht. Das Land Brandenburg hat eine externe Stelle mit dieser Aufgabe betraut.

Der Nationale Aktionsplan für Integration (Integrationsplan) wurde überarbeitet. Zwei Berichte wurden veröffentlicht, in denen Schlüsselindikatoren festgelegt wurden. Alle Kinder im Alter von 1 Jahr oder älter haben Anspruch auf einen Platz in einer Vorschuleinrichtung. Der Plan schließt das Ziele in, die individuelle Förderung von Kindern mit Migrationshintergrund zu verbessern.

Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes (ADS) hat ein Projekt über den Einsatz anonymer Bewerbungsverfahren begonnen. Die positiven Ergebnisse haben eine Reihe von Organisationen veranlasst, diese Verfahren zu testen. Die Zahl der Arbeitgeber, die die Diversitätscharta unterzeichnet haben, steigt.

Das Bundesverfassungsgericht hat bei der Verbesserung der rechtlichen Lage von LGBT-Personen eine wichtige Rolle gespielt. Mehrere Bundesländer haben Maßnahmen und Aktionspläne zur Verbesserung der Toleranz gegenüber lesbischen, schwulen, bisexuellen und transsexuellen Menschen (LGBT) und zur Bekämpfung von Homo-/Transphobie verabschiedet. Die Mehrheit der Bevölkerung befürwortet eine völlige Gleichstellung von gleichgeschlechtlichen Paaren und verheirateten Paaren.

ECRI begrüßt diese positiven Entwicklungen in Deutschland. Es gibt jedoch, ungeachtet der erzielten Fortschritte, einige Themen, die weiterhin Anlass zur Sorge geben.

Trotz der Empfehlung von ECRI hat Deutschland bisher noch nicht das Protokoll Nr. 12 zur Europäischen Menschenrechtskonvention ratifiziert. 2012 hat es der Bundesrat in einem weiteren Versuch versäumt, das rassistische Motiv als strafverschärfenden Umstand in das Strafgesetz aufzunehmen. Im Bereich Aufstachelung zum Hass gibt es einen erheblichen Grad von Straffreiheit.

Es fehlt den Opfern von rassistischen Taten oder von Rassendiskriminierung an Unterstützung seitens der staatlichen Stellen, z. B. aufgrund von Racial Profiling. Der ADS und den Fachorganen der Bundesländer fehlt es an den erforderlichen Ressourcen, um in ganz Deutschland wirksam zu agieren, und die meisten Bundesländer haben kein Fachorgan.

Seit der Wiedervereinigung ist die Zahl der Morde und das Ausmaß von Gewalt, die durch Rassismus und Homo-/Transphobie motiviert werden, in Deutschland hoch. Es gibt keine verlässliche statistische Methode, um das Ausmaß der durch Rassismus und Homo-/Transphobie motivierten Gewalt und Hassreden zu messen. Die hohe „Untererfassung" von Straftaten, die mit Rassismus und Homo-/Transphobie verbunden sind, spiegelt ein mangelndes Vertrauen seitens der schutzbedürftigen Gruppen im Hinblick auf die Wirksamkeit von Strafverfahren wider, die von der Polizei und der Staatsanwaltschaft eingeleitet werden. Diese Ineffektivität wurde durch die Versäumnisse bei den Ermittlungen über die Morde unterstrichen, die vom Nationalsozialistischen Untergrund (NSU) begangen wurden. Ein rassistisches Motiv wird nur in einer verschwindend geringen Zahl von Urteilen angeführt. 

Der Begriff Rassismus wird in Deutschland häufig zu eng ausgelegt und mit organisierten Gruppen verbunden. Der rassistische und besonders der fremdenfeindliche Charakter in Teilen der öffentlichen Debatte wird immer noch nicht ausreichend verdeutlicht.

Der Aktionsplan gegen Rassismus und Intoleranz wurde seit 2008 nicht überarbeitet. Der Nationale Aktionsplan für Integration enthält auch keinen Abschnitt über die Bekämpfung von Rassismus und Intoleranz. Die historisch in Deutschland vertretenen Minderheiten werden nur kurz erwähnt, obwohl Sinti und Roma immer noch unter einer erheblichen Diskriminierung leiden.

Die strategischen und operativen Ziele des Nationalen Aktionsplans für Integration fehlen Indikatoren und Zielvorgaben, obwohl diese Indikatoren zusammen mit Informationen über die mit ihnen verbundenen Trends veröffentlicht werden. Dem Plan fehlt es an quantifizierten Verpflichtungen seitens der Bundesländer, wirksame Maßnahmen für das Erreichen der festgelegten Ziele zu ergreifen.

Die Anmeldungszahlen von Kindern mit Migrationshintergrund in Vorschuleinrichtungen, Angebote für eine begleitende Unterstützung dieser Kinder auf ihrem Bildungsweg und die Zahl der Kinder, die ein Gymnasium besuchen (die Sekundarschule, die die Schüler auf den Besuch einer Universität vorbereitet) sind immer noch ungenügend. Die Lehrkräfte sprechen mit einer dreimal höheren Wahrscheinlichkeit eine Empfehlung für das Gymnasium aus, wenn das Kind einen höheren sozioökonomischen Status aufweist, was sich nachteilig auf Kinder mit Migrationshintergrund auswirkt. Vorurteile und ein erhebliches Maß an versteckter Diskriminierung gefährden für Menschen mit Migrationshintergrund den Zugang zum Arbeitsmarkt.

Es gibt eine erhebliche Diskriminierung von LGBT-Personen, was tendenziell dazu führt, dass LGBT-Personen ihre sexuelle Orientierung verbergen. Besonders in den Schulen gibt es eine hohes Maß an Homo-/Transphobie. Die Lage von transsexuellen Menschen ist im Beschäftigungssektor besonders schlecht. Transsexualismus wird als „Persönlichkeits- oder Verhaltensstörung" eingestuft. Viele LGBT-Personen leiden unter der Diskriminierung durch Fachpersonal aus dem Gesundheitswesen. Es bestehen erhebliche rechtliche Unterschiede zwischen anerkannten gleichgeschlechtlichen Paaren und verheirateten Paaren.

Auf Bundesebene und in mehreren Bundesländern gibt es keine Strategie für eine Aufklärung der Mehrheitsbevölkerung zu diesen Themen, die die Toleranz gegenüber LGBT-Personen und die Bekämpfung von Diskriminierung erhöhen würden.

In diesem Bericht fordert ECRI Deutschland auf, in einigen Bereichen Maßnahmen zu ergreifen. In diesem Kontext spricht sie eine Reihe von Empfehlungen aus, u.a. die nachstehenden.

Die deutschen Stellen sollten das Protokoll Nr. 12 zur Europäischen Menschenrechtskonvention so rasch wie möglich ratifizieren*. Sie sollten die Bestimmungen des Strafgesetzbuchs mit §§ 18 und 21 der Allgemeinen politischen Empfehlung Nr. 7 von ECRI: Nationale Gesetzgebung zur Bekämpfung von Rassismus und Rassendiskriminierung in Einklang bringen. Der Anwendungsbereich des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes sollte auf den öffentlichen Sektor ausgeweitet werden. Das Recht sollte ein Verbot des Racial Profiling enthalten und die Verpflichtung vorsehen, eine öffentliche Finanzierung von Organisationen, einschließlich politischer Parteien, einzustellen, die Rassismus befürworten.

Die deutschen Stellen sollten sicherstellen, dass die ADS in der Lage ist, ihre Aufgaben und Zuständigkeiten in ganz Deutschland durchzuführen oder ein Fachorgan in allen Bundesländern einzurichten. Sie sollten die Haushaltsmittel der ADS erhöhen.

Das System für die Erfassung und Nachverfolgung „rassistischer, fremdenfeindlicher und transphober" Zwischenfälle sollte reformiert werden, um sicherzustellen, dass alle Fälle mit solchen Motiven erfasst werden*. Die Polizei und die Staatsanwaltschaften in allen Bundesländern sollten Kontaktstellen für die Meldung dieser Beschwerden einrichten.

Der Nationale Aktionsplan gegen Rassismus sollte überarbeitet und in den Integrationsplan aufgenommen werden, damit er die gleiche Unterstützung erhält wie letzterer. Die Bundesbehörden und die Bundesländer sollten Indikatoren und Zielvorgaben für strategische und operative Ziele des Integrationsplan festlegen. Die Bundesländer und die kommunalen Stellen sollten in diesen Plan Maßnahmen aufnehmen, die sie ergreifen müssen, um die Ziele in den Bereichen, die ihrer Gesetzgebungs- und Verwaltungsbefugnis unterliegen, zu erreichen. Der Integrationsplan sollte das Ziel und die Maßnahmen nennen, um die Praxis zu bekämpfen, durch die Kinder aus höheren sozioökonomischen Schichten dreimal wahrscheinlicher eine Empfehlung für das Gymnasium erhalten.

In Verfahren zur Vergabe von Aufträgen, Darlehen, Zuschüssen und anderen Leistungen sollten die Behörden die Vertragsnehmer und Leistungsempfänger dazu auffordern, anonyme Bewerbungsverfahren zu verwenden und die Diversitätscharta zu unterzeichnen und einzuhalten. Jede Verpflichtung zur Teilnahme an Sprach- und Orientierungskursen oder -tests sollten zuallererst von Anreizen und Belohnungen begleitet sein. Sanktionen sollten nur bei den Fällen angewendet werden, bei denen diese Maßnahmen nicht erfolgreich waren.

Die Bundesregierung und jene Bundesländer, die bisher keinen Aktionsplan oder ein umfassendes Programm zur Förderung der Toleranz gegenüber LGBT-Personen und zur Bekämpfung von Homo-/Transphobie angenommen haben, sollten sich von existierenden Plänen in diesem Bereich inspirieren lassen und eigene Maßnahmen oder Aktionspläne verabschieden.

Das Recht transsexueller Menschen, ihre geschlechtsspezifischen Merkmale in Urkunden zu ändern, z. B. Abschlusszeugnisse und Arbeitszeugnisse, sollten in die Gesetzgebung aufgenommen werden. Probleme, die insbesondere transsexuelle Menschen betreffen, sollten systematisch in die Aktionspläne zur Förderung der Gleichstellung aufgenommen werden. Die finanzielle Unterstützung von Organisationen, die sich für ihre Rechte einsetzen, sollte erhöht werden.

Den vollständigen Originalbericht finden Sie hier.