Rede von Çetin Gültekin, Bruder des ermordeten Gökhan Gültekin, zur Gedenkveranstaltung des fünften Jahrestages des rassistischen Anschlags von Hanau, 15.2.2025
Am nächsten Mittwoch liegen die rassistischen Morde von Hanau genau 60 Monate zurück. 261 Wochen ohne Ferhat Unvar, ohne Hamza Kurtović, ohne Said Nesar Hashemi. 1827 Tage ohne Vili-Viorel Păun, ohne Mercedes Kierpacz, ohne Kaloyan Velkov. 43.848 Sekunden ohne Fatih Saraçoğlu, ohne Sedat Gürbüz, ohne Gökhan Gültekin.
Wir vermissen Euch so sehr und wir werden Euch niemals vergessen. Wir gedenken heute unserer Liebsten und wir wollen und müssen uns aber auch fragen, was wir in diesen fünf Jahren erreicht haben – und was nicht. Ich möchte den heutigen Abend nutzen, um dazu etwas zu sagen.
Beginnen wir mit dem Negativen.
Die AfD hat am 19. Februar 2020 mitgeschossen. Der Täter war von den Rassisten der AfD beeinflusst und aufgehetzt. Das haben wir nach dem Anschlag immer wieder und wieder betont. 2021 stand die AfD auf Bundesebene bei circa zehn Prozent. Keine vier Jahre später, jetzt am 23. Februar 2025, wird diese rechtsextreme Partei aller Wahrscheinlichkeit nach mit über 20 Prozent in den Bundestag einziehen. Wie kann das sein?
Und noch schlimmer: CDU und FDP haben die AfD am 29. Januar 2025 auf neuer Ebene hoffähig gemacht. Wenige Stunden nachdem im Bundestag der Opfer von Auschwitz gedacht wurde, inszeniert CDU-Kanzlerkandidat Merz eine beschämende, rassistische Wahlkampf-Show und stimmt gemeinsam mit den Neonazis für noch härtere Maßnahmen gegen Geflüchtete und Zuwanderer. Fünf Jahre nach Hanau sind Rechtsextreme und Rassisten nicht nur in den USA, in Italien oder Ungarn, sondern auch in Deutschland weiter auf dem Vormarsch. Ich frage mich, wie ist das möglich? Was haben wir falsch gemacht? Und können wir das Ruder überhaupt noch rumreißen? […]
Ja, unsere Stimmen waren und sind laut und das über viele Jahre, in denen die Verantwortlichen darauf gesetzt haben, dass wir endlich müde werden. Wir schweigen auch heute nicht, doch ich frage mich, wie können wir wirklich etwas verändern?
Kommen wir zum Positiven. Denn wir bereuen nichts und wir glauben und hoffen, dass wir auf anderen Ebenen Einiges erreichen konnten.
Say their Names – wir haben diesen Slogan von Black Lives Matter übernommen und die Namen unserer Liebsten mit all Euren Stimmen immer wieder gemeinsam ausgerufen. Wir haben den Täter rechts liegen lassen und mit Euch die Opfer in den Mittelpunkt gerückt. […]
Wir haben unermüdlich für Erinnerung, Gerechtigkeit, Aufklärung und Konsequenzen gekämpft und wir haben dafür von verschieden Organisationen anerkennende Preise bekommen. Wir haben unsere Kraft gegeben, und wir haben ganz viel Kraft zurückbekommen. Gegenseitige Unterstützung, gemeinsame Kämpfe – das heißt für uns: GELEBTE SOLIDARITÄT! Und diese werden wir weiter brauchen.
Denn wir wissen alle: die nächsten Jahre werden schwer. Rassistische Hetze erscheint mehr denn je als Normalität. Wenn wir die fünf Jahre zurückblicken, müssen wir ehrlich sagen: wir haben es gesamtgesellschaftlich nicht geschafft, Rassismus und Rechtsruck zurückzudrängen.
Doch wir haben starke Momente geschaffen, die ausstrahlen. Wir haben gemeinsame Erfahrungen gemacht, die uns tragen. Wir kämpfen für die Gesellschaft der Vielen und das bleibt unsere Perspektive. Wir können nicht aufgeben. Wir wollen nicht aufgeben. Wir werden nicht aufgeben. […]
Die vollständige Rede finden Sie hier, ab 1:31:00 der Gedenkveranstaltung.