Dokumente zum Zeitgeschehen

»Die Antragsgegnerin hat den deutschen Bundestag in seinem Unterrichtungsrecht verletzt«

Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Europäischen Stabilitätsmechanismus, 19.6.2012

1.     Die Bundesregierung hat die Rechte des Deutschen Bundestages aus Artikel 23 Absatz 2 des Grundgesetzes verletzt, indem sie es unterlassen hat, den Bundestag unmittelbar vor und nach der Tagung des Europäischen Rates vom 4. Februar 2011 umfassend, zum frühestmöglichen Zeitpunkt und fortlaufend über die Ausgestaltung des Europäischen Stabilitätsmechanismus zu unterrichten, und es insbesondere unterlassen hat, spätestens am 6. April 2011 den Entwurf eines Vertrages über den Europäischen Stabilitätsmechanismus zu übersenden.
2.     Die Bundesregierung hat die Rechte des Deutschen Bundestages aus Artikel 23 Absatz 2 des Grundgesetzes verletzt, indem sie es unterlassen hat,
a)     den Bundestag vor der Tagung des Europäischen Rates am 4. Februar 2011 über die Initiative der Bundeskanzlerin zu einer verstärkten wirtschaftspolitischen Koordinierung der Mitglieder des Euro-Währungsgebietes zu unterrichten und
b)     den Bundestag in der Zeit vom 4. Februar 2011 bis zum 11. März 2011 umfassend und zum frühestmöglichen Zeitpunkt über den Euro-Plus-Pakt zu unterrichten.
 
Antragstellerin:     Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN im Deutschen Bundestag,
vertreten durch die Fraktionsvorsitzenden Renate Künast und Jürgen Trittin und den geschäftsführenden Fraktionsvorstand,
Platz der Republik 1, 11011 Berlin
 
- Bevollmächtigte:

    Prof. Dr. Andreas von Arnauld,
    Lange Reihe 103, 20099 Hamburg
    Prof. Dr. Ulrich Hufeld,
    Stratenbarg 40a, 22393 Hamburg -

Antragsgegnerin: Bundesregierung,
vertreten durch die Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel,
Bundeskanzleramt, Willy-Brandt-Straße 1, 10557 Berlin
 
- Bevollmächtigter:
Prof. Dr. Ulrich Häde,
Lennéstraße 15, 15234 Frankfurt (Oder) -

hat das Bundesverfassungsgericht - Zweiter Senat - unter Mitwirkung der Richterinnen und Richter

Präsident Voßkuhle,
Lübbe-Wolff,
Gerhardt,
Landau,
Huber,
Hermanns

aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 30. November 2011 durch
Urteil für Recht erkannt:

Die Antragsgegnerin hat den Deutschen Bundestag in seinem Unterrichtungsrecht aus Artikel 23 Absatz 2 Satz 2 des Grundgesetzes verletzt, indem sie es unterlassen hat, ihm einen ihr am 21. Februar 2011 vorliegenden Text der Europäischen Kommission über die Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus sowie den Entwurf eines Vertrages über den Europäischen Stabilitätsmechanismus vom 6. April 2011 zuzuleiten.
Die Antragsgegnerin hat den Deutschen Bundestag ferner in seinem Unterrichtungsrecht aus Artikel 23 Absatz 2 Satz 2 des Grundgesetzes verletzt, indem sie es unterlassen hat, ihn über die am 4. Februar 2011 öffentlich vorgestellte Initiative für den Beschluss eines Paktes für Wettbewerbsfähigkeit vorab zu informieren sowie ihm das inoffizielle Dokument der Präsidenten der Europäischen Kommission und des Europäischen Rates vom 25. Februar 2011 mit der Bezeichnung „Enhanced Economic Policy Coordination in the Euro Area - Main Features and Concepts“ zuzuleiten.

Die Begründung und den genauen Wortlaut des Urteils können Sie hier nachlesen.