Studie des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) zur geplanten Einführung des Mindestlohns, 27.1.2014
In der aktuellen Debatte um das neue deutsche Mindestlohnmodell mehren sich Forderungen von Politikern und Arbeitgeberverbänden, die für zahlreiche Arbeitnehmergruppen Ausnahmeregelungen festlegen wollen. Genannt werden geringfügig Beschäftigte, erwerbstätige Rentner, Schüler, Studenten, Langzeitarbeitslose, Saisonkräfte und Hilfsarbeiter.
Sollten sich diese Ausnahmen durchsetzen, würde mehr als jeder Dritte aus dem Geltungsbereich des Mindestlohns herausfallen. Dies entspräche knapp 2 Millionen Beschäftigten. Damit würde der allgemeine Mindestlohn systematisch unterlaufen und ein neuer, eigener Niedriglohnsektor unterhalb der Mindestlohngrenze geschaffen. Die Untersuchung des WSI belegt des Weiteren, dass sich die Ausnahmeregelungen stark auf einige wenige Branchen konzentrieren würden. In diesen Branchen dürfte die Ausnahme großer Arbeitnehmergruppen erhebliche Risiken in der Form von Verdrängungs- und Substitutionseffekten zur Folge haben.
Einleitung
Nach dem Willen der neuen schwarz-roten Bundesregierung soll ab dem 1. Januar 2015 in Deutschland ein allgemeiner gesetzlicher Mindestlohn gelten (CDU, CSU, SPD 2013: 67f.). Der Koalitionsvertrag sieht vor, eine allgemeine gesetzliche Mindestlohnregelung mit dem Ziel einzuführen, für sämtliche Arbeitnehmer einen sozialen Schutz zu gewährleisten:
„Gute Arbeit muss sich einerseits lohnen und existenzsichernd sein. Anderseits müssen Produktivität und Lohnhöhe korrespondieren, damit sozialversicherungspflichtige Beschäftigung erhalten bleibt. Diese Balance stellen traditionell die Sozialpartner über ausgehandelte Tarifverträge her. Sinkende Tarifbindung hat jedoch zunehmend zu weißen Flecken in der Tariflandschaft geführt. Durch die Einführung eines allgemein verbindlichen Mindestlohns soll ein angemessener Mindestschutz für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sichergestellt werden.“ (CDU, CSU, SPD 2013: 67f.)
Deutschland stellt sich damit in eine Reihe mit den meisten der 28 Staaten innerhalb der Europäischen Union, von denen derzeit 21 über einen nationalen Mindestlohn verfügen (Schulten 2013). Der in Deutschland gewählte Einstiegswert von 8,50 € fällt dabei im westeuropäischen Vergleich eher moderat aus (Schulten 2014: 7f.). Inwieweit der geplante Mindestlohn in Deutschland die in ihn gesteckten Ziele erfüllen kann, hängt wesentlich von seiner konkreten Umsetzung ab. Wie genau das neue deutsche Mindestlohnmodell aussehen wird, ist jedoch nach wie vor umstritten. Sicher ist, dass zum 01.01.2015 der allgemeine gesetzliche Mindestlohn bundeseinheitlich mit einer Höhe von 8,50 € eingeführt wird. Bestehende tarifliche Mindestlohnregelungen2 können von diesem Wert noch bis zum 01.01.2017 nach unten abweichen. Eine erste Anpassung des Einstiegswerts ist derzeit erst ab dem 01.01.2018 geplant und soll von einer Kommission aus Arbeitgebern und Gewerkschaften ausgehandelt werden.
In der aktuellen Debatte mehren sich Forderungen von Politikern und Arbeitgeberverbänden, die für zahlreiche Arbeitnehmergruppen Ausnahmeregelungen festlegen wollen. Insbesondere der bayrische Ministerpräsident und CSU-Parteichef Horst Seehofer setzt sich lautstark für Ausnahmeregelungen ein und will zum Beispiel Saisonarbeiter und Rentner vom Mindestlohn ausnehmen (Welt am Sonntag vom 22.12.2013). Die bayrische Wirtschaftsministerin Ilse Aigner fordert darüber hinaus, dass für Schüler und Studenten kein Mindestlohn gelten soll (Passauer Neue Presse vom 16.12.2013). Bei den geringfügig Beschäftigten sieht der Koalitionsvertrag zwar vor, dass hier prinzipiell der Mindestlohn gezahlt werden soll, gleichzeitig soll es aber auch bei dieser Beschäftigtengruppe Ausnahmen geben (zum Beispiel in Sportvereinen).
Nachdem sie über lange Zeit einen Mindestlohn grundsätzlich abgelehnt haben, setzen sich auch die Arbeitgeber nunmehr für weit reichende Ausnahmen ein. Der Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer nennt zum Beispiel namentlich Langzeitarbeitslose, die nach seiner Auffassung auch zukünftig unterhalb des Mindestlohns beschäftigt werden sollen (Rheinische Post vom 19.1.2014). Schließlich melden sich immer mehr Wirtschaftsverbände zu Wort, um für Ihre eigenen Berufsgruppen Ausnahmereglungen einzufordern. Die Liste umfasst unter anderem Zeitungszusteller, Taxifahrer usw.
In der vorliegenden Untersuchung wird anhand empirischer Auswertungen gezeigt, wie viele Arbeitnehmer die diskutierten Ausnahmen umfassen und in welchen Branchen sie sich konzentrieren würden. Die statistischen Auswertungen beruhen auf den aktuellsten Daten des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP) aus dem Jahr 2012. Die Ergebnisse sind neben Vollzeit- und Teilzeitbeschäftigten differenziert nach geringfügig Beschäftigten, erwerbstätigen Rentnern, Schülern und Studenten, sowie hinzuverdienende Arbeitslosen. Über die übrigen Ausnahmen für Saisonarbeitskräfte oder Hilfsarbeitstätigkeiten, wie dem Austragen von Zeitungen, können keine Aussagen getroffen werden, da diese entweder eine zu geringe Anzahl an Beobachtungen umfassen oder nicht im SOEP eindeutig identifiziert werden können.
Die vollständige Studie finden Sie hier.