Dokumente zum Zeitgeschehen

»Die Jugendarbeitslosigkeit hat ein erschreckendes Ausmaß angenommen«

Bericht der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) zu Jugendbeschäftigung in der Krise, 31.8.2012

1. Die Jugendbeschäftigungskrise und ihr beispielloses Ausmaß veranlassten den Verwaltungsrat des Internationalen Arbeitsamts auf seiner Tagung im März 2011, dieses Thema für eine allgemeine Aussprache in die Tagesordnung der 101. Tagung der Internationalen Arbeitskonferenz aufzunehmen. Obwohl ein breiter Konsens darüber besteht, dass die Konferenzentschließung von 2005 über die Jugendbeschäftigung immer noch uneingeschränkt relevant ist, drängt sich verstärkt der Eindruck auf, dass rascher Handlungsbedarf besteht. In den von der globalen Finanzkrise besonders hart getroffenen Ländern hat die Jugendarbeitslosigkeit ein erschreckendes Ausmaß angenommen. Wenn vier von zehn Jugendlichen keine Beschäftigung haben, kommt dies einer sozialen und wirtschaftlichen Katastrophe gleich 1. Die globale Finanzkrise hat die schon bestehende „Krise vor der Krise“ weiter verschärft. Überall auf der Welt wird es für junge Frauen und Männer zunehmend schwieriger, eine menschenwürdige Arbeit zu finden. In den letzten zwanzig Jahren war die Jugendarbeitslosigkeit im Durchschnitt dreimal so hoch wie die Arbeitslosigkeit Erwachsener, in einigen Regionen ist sie heute bis zu fünfmal höher.

2. 2011 erlebte die Welt eine Welle politischer und sozialer Protestbewegungen, angeführt von jungen Menschen, die lautstark „Jobs, Freiheit und soziale Gerechtigkeit“ forderten. Die Beschwerden junger Menschen über hohe Arbeitslosigkeit und ein autoritäres Regime in Tunesien waren 2011 ein wesentlicher Auslöser des Arabischen Frühlings. Auch an der Massenbesetzung des Tahrir-Platzes in Kairo, die den Sturz des Regimes in Ägypten beschleunigte, waren vorwiegend junge Menschen beteiligt. Das Fehlen produktiver Beschäftigungsmöglichkeiten, verbunden mit Bestrebungen nach politischer Freiheit, sozialer Gerechtigkeit und einer besseren wirtschaftlichen Zukunft, waren wichtige Faktoren, die die Proteste anfachten. In beiden Fällen stützten sich die ursprüngliche Mobilisierung und die darauf folgende Organisation der Bewegung in erheblichem Umfang auf das Internet und die sozialen Medien und Netzwerke, ein deutlicher Hinweis auf die große Beteiligung junger Menschen.

3. Bald fand der Geist dieser Jugendproteste Widerhall in mehreren Industrieländern, die besonders stark von der Wirtschaftskrise betroffen waren. Die Besetzung des Zentralplatzes Puerta del Sol in Madrid durch die Bewegung der indignados (der „Empörten“) führte in Spanien zur Mobilisierung von Jugendlichen im ganzen Land, die gegen den Umgang des politischen Establishments mit der Krise und den darauf folgenden katastrophalen Anstieg der Jugendarbeitslosigkeit protestierten. Zu den zentralen Forderungen der Bewegung gehörten stärker partizipatorisch geprägte Formen der Demokratie, ein Ausdruck des unter der jüngeren Generation herrschenden Gefühls der Entfremdung und der wirtschaftlichen und sozialen Ausgrenzung. Die Bewegung breitete sich bald auch auf andere europäische Länder aus, insbesondere auf Griechenland, wo sich die Proteste ursprünglich gegen das Sparprogramm richteten.

4. Im September 2011 erreichte dieser Geist auch die Vereinigten Staaten, in Form der „Occupy Wall Street“-Bewegung. Durch die Besetzung des Zucotti Square in der Nähe der Wall Street in New York City protestierte sie vor allem gegen das Finanzestablishment, dessen geldgieriges und unverantwortliches Handeln als Auslöser der globalen Finanzkrise von 2008 angesehen wurde. Dahinter stand jedoch eine wesentlich breitere Forderung nach der Reform eines wirtschaftlichen und politischen Systems, das nach Ansicht der Protestierenden zu extremen Ungleichheiten bei Wohlstand und Einkommen geführt hatte und die Interessen der Superreichen – 1 Prozent der Weltbevölkerung – auf Kosten der Interessen der Mehrheit – der übrigen 99 Prozent – schützte. Von New York aus breiteten sich die Proteste zunehmend auch auf andere große amerikanische Städte aus.

5. Wie in anderen Ländern kam es auch in Israel und Chile zu ähnlichen Jugendprotesten gegen wirtschaftliche Ungerechtigkeit. In Chile engagierten sich Studenten und Sekundarschüler in einer Massenprotestbewegung gegen die sozialen Ungerechtigkeiten eines weitgehend privatisierten Bildungssystems, das mehr auf Gewinnerzielung als auf Chancengleichheit ausgerichtet ist. Im Vereinigten Königreich führte die von der Regierung beschlossene Kürzung der Finanzmittel für die Hochschulbildung zu Massenprotesten gegen eine Verdreifachung der Studiengebühren an Universitäten. im Herbst 2011 fanden in über 1000 Städten und 82 Ländern von jungen Menschen angeführte Proteste statt, von den „Indignados“ über „Occupy Wall Street“ und „Occupy All Streets“ bis zu „Occupy Together“.

6. Es wäre ein Fehler, alle diese weltweit auftretenden Bewegungen nur als Reaktion von Jugendlichen auf das Fehlen von Beschäftigungschancen zu sehen, da sich die konkreten Gegebenheiten in den einzelnen Ländern, die die Proteste auslösten, erheblich voneinander unterscheiden. So war beispielsweise das Streben nach einer demokratischen Ordnung eine treibende Kraft des Arabischen Frühlings, während dies für die Proteste in den westlichen Demokratien nicht von zentraler Bedeutung war. Dennoch ist unverkennbar, dass die Frustration junger Menschen über fehlende Beschäftigungschancen und die tiefsitzenden Ängste hinsichtlich ihrer Zukunftsaussichten bei den Faktoren, die die Welle der Jugendproteste weltweit anschwellen ließen und im Internet und den sozialen Medien deutlich zum Ausdruck gebracht und verbreitet wurden, eine wichtige Rolle spielten. Worum es den jungen Menschen geht, ist klar: Was kann ich tun? Wie sieht meine Zukunft aus?

7. Nicht nur im Hinblick auf die Arbeitsmarktstatistiken ist die Lage so katastrophal, dass sie einen wichtigen Grundpfeiler des gegenwärtigen Wirtschafts- und Gesellschaftsmodells bedroht. Überall auf der Welt stützen sich die wirtschafts- und sozialpolitischen Konzepte immer noch auf den Glauben an die Möglichkeit eines kontinuierlichen wirtschaftlichen und sozialen Fortschritts. Praktisch alle Länder haben sich auf das Ziel verpflichtet, hohe wirtschaftliche Wachstumsraten und steigenden Lebensstandard für alle zu erreichen.

8. Unter dieser Voraussetzung war bisher jede Generation bereit, zu sparen, zu investieren und Opfer zu bringen, um einen höheren Lebensstandard und bessere Wirtschaftsaussichten für die nächste Generation herbeizuführen. In gewissem Sinn wird hier schlicht die natürliche Bestrebung der meisten Eltern, für eine bessere Zukunft ihrer Kinder zu sorgen, auf die nationale Ebene ausgedehnt.

9. Insgesamt haben diese Bestrebungen in den meisten Ländern zum Erfolg geführt. Zwar gab es in den vergangenen 70 Jahren immer wieder Rezessionen, aber in der Regel folgte darauf ein robuster Wiederaufschwung. Entsprechend kam es zwar zu ernsthaften Finanzkrisen, aber keine war so tiefgehend, so anhaltend und so global ansteckend wie die gegenwärtige Krise. Man muss bis zu der großen Weltwirtschaftskrise in den 1930er Jahren zurückgehen, um eine vergleichbare Gefährdung des Ziels eines kontinuierlichen wirtschaftlichen und sozialen Fortschritts anzutreffen. Gerade der verloren gegangene Glaube an das Wachstumsparadigma macht jedoch die enorme weltweite Bedeutung der gegenwärtigen Jugendbeschäftigungskrise aus.

10. In den am stärksten von der Finanzkrise betroffenen Industrieländern sind die Beschäftigungsaussichten für die gegenwärtige Jugendkohorte jetzt schon eindeutig schlechter als für die früheren. Es ist nicht nur schwieriger, einen Arbeitsplatz zu finden, sondern viele Jugendliche werden mit dem Makel verminderter Beschäftigungsfähigkeit aufgrund ungewöhnlich langer Arbeitslosigkeit und Abkopplung vom Arbeitsmarkt leben müssen. Hinzu kommt, dass selbst für diejenigen, die eine Beschäftigung finden, die Aussichten ungünstiger sind als für die vorhergehenden Generationen. Der Aufstieg zu höherwertigen Arbeitsplätzen und die Erzielung eines höheren Einkommens auf den durch die Krise geschwächten Arbeitsmärkten wird für sie vermutlich schwieriger werden. Die Aussichten auf eine menschenwürdige Altersrente und einen angemessenen Sozialschutz werden außerdem durch den gegenwärtigen desolaten Zustand der öffentlichen Finanzen eingeschränkt. Letzterer wird möglicherweise zu einer höheren Steuerbelastung führen, um die Kosten für Rettungsschirme, Konjunkturpakete und die Eindämmung der Staatsschuldenkrise aufzubringen. Entsprechend werden die tiefen Einschnitte bei den öffentlichen Ausgaben wahrscheinlich auch den Zugang zu kostenloser oder subventionierter Hochschulbildung und -ausbildung erheblich einschränken.

11. In den Entwicklungsländern führte die Krise aufgrund der Handels- und Investitionsbeziehungen mit den Industrieländern zu einer Verlangsamung des Wirtschaftswachstums. Auch die künftigen Wachstumsaussichten sind unsicherer geworden, weil der Zugang dieser Länder zu Finanzmärkten, ausländischen Direktinvestitionen und öffentlicher Entwicklungshilfe heute geringer ist als vor der Krise. Zwar ist ein langsameres Wachstum weniger beunruhigend als eine regelrechte Schrumpfung der Wirtschaft, aber es verschärft die großen Probleme der Jugendarbeitslosigkeit, Unterbeschäftigung und Armut, mit denen die meisten Entwicklungsländer jetzt schon zu kämpfen haben.

12. In vielen Entwicklungsländern, sogar in rasch wachsenden wie China und Indien, war die Schaffung von Arbeitsplätzen im modernen Sektor schon vor Ausbruch der Krise zurückgegangen 2. Die Beschäftigungsintensität des Wachstums im modernen Sektor, vor allem im verarbeitenden Gewerbe, hatte durch die steigende Kapitalintensität der neuen Investitionen stetig abgenommen. Daher entstanden neue Arbeitsplätze immer häufiger nur noch in informellen, wenig produktiven Wirtschaftssegmenten. Gleichzeitig nahmen die prekären Beschäftigungsformen im modernen Sektor immer mehr zu. Für Jugendliche in Entwicklungsländern wird es zunehmend schwieriger, menschenwürdige Arbeit im modernen, formellen Segment der Wirtschaft zu finden, und ein wachsender Anteil junger Menschen muss sich mit schlechteren Arbeitsplätzen in der ländlichen und informellen Wirtschaft begnügen. Unter dieser Perspektive würde ein Andauern der globalen Wirtschaftskrise die Beschäftigungsaussichten für Jugendliche in Entwicklungsländern weiter verschlechtern.

13. Daher untergräbt die gegenwärtige Jugendbeschäftigungskrise das Vertrauen in die Norm, dass sich für jede nachfolgende Generation die Möglichkeiten für Beschäftigung und wirtschaftlichen Aufstieg verbessern. Sie bedroht auch den Grundsatz der Chancengleichheit zwischen den Generationen. Eine derartige Verschlechterung der Wirtschaftsund Beschäftigungsaussichten für Jugendliche könnte auch der Vorbote für wirtschaftliche Stagnation oder sogar Rezession sein.

14. Die Verschärfung der Jugendbeschäftigungskrise wirft nicht nur im Hinblick auf die Beziehungen zwischen den Generationen Probleme auf, sondern droht auch die Ungleichheit innerhalb der gegenwärtigen Jugendkohorte immer mehr zu vertiefen. Schon vor der Krise gaben der ungleiche Zugang zu menschenwürdiger Arbeit innerhalb der Gruppe der Jugendlichen sowie die Ungleichheiten zwischen Jugendlichen und Erwachsenen Anlass zur Sorge. Eine lang anhaltende Jugendbeschäftigungskrise kann solche Ungleichheiten nur verstärken. Auf längere Sicht wird dies das Problem wachsender Einkommensungleichheiten, mit dem die meisten Ländern schon in den Jahrzehnten relativer Prosperität vor Einsetzen der globalen Finanzkrise konfrontiert waren, weiter verschärfen. Es besteht also ein klares Risiko, dass der Marsch in Richtung immer ungleicherer Gesellschaften nicht mehr aufzuhalten ist, wenn wir das Weiterbestehen der Jugendbeschäftigungskrise einfach hinnehmen.

15. Deshalb ist es auch so schwierig, sich mit dem Fortbestehen oder der Verschärfung der gegenwärtigen Jugendbeschäftigungskrise abzufinden. Eine solche Aussicht beschwört die Gefahr um sich greifender sozialer und politischer Spannungen herauf, die die gesamte Gesellschaftsstruktur und Wirtschaftsordnung in unberechenbarer und unerwünschter Weise umgestalten könnten.

Die IAO und die Jugendbeschäftigung

16. Die Probleme, denen sich junge Menschen gegenüber sehen, sind seit langem ein Anliegen der IAO. In den ersten beiden Jahrzehnten nach 1919 konzentrierte sich die Arbeit der Organisation weitgehend auf die Setzung von Normen zum Schutz des Wohlergehens junger Arbeitnehmer. Zu den frühesten Übereinkommen der IAO gehörten das Übereinkommen (Nr. 6) über die Nachtarbeit der Jugendlichen im Gewerbe, 1919, das Übereinkommen (Nr. 16) über die ärztliche Untersuchung der Jugendlichen (Seeschifffahrt), 1946, und das Übereinkommen (Nr. 77) über die ärztliche Untersuchung Jugendlicher (Gewerbe), 1946.

17. Von den 1950er Jahren an nahm die IAO Politiken und Programme zur Förderung der Jugendbeschäftigung in ihr Tätigkeitsspektrum auf. Dies spiegelt sich in der Einbeziehung dieses Themas in die wichtigsten Übereinkommen und Empfehlungen zur Beschäftigungspolitik, Humanressourcenentwicklung und Arbeitsmarktpolitik (siehe Abschnitt 2.8 dieses Berichts). Zwischen 1978 und 1998 verabschiedete die Internationale Arbeitskonferenz fünf Entschließungen zu Fragen, die mit der Jugendbeschäftigung zusammenhängen 3. Die letzte große Konferenzaussprache zum Thema Jugendbeschäftigung fand 2005 statt. Der Globale Beschäftigungspakt, der 2009 in Reaktion auf die Finanzkrise angenommen wurde, nennt Jugendliche als eine der besonders gefährdeten Gruppen, deren Bedürfnissen durch Krisenreaktionsmaßnahmen Rechnung getragen werden sollte. Die nur schleppend voranschreitende Erholung und die Verschärfung der Finanzkrise in den Jahren 2011 und 2012 haben die Schutzbedürftigkeit junger Menschen noch deutlicher hervortreten lassen.

 Die Konferenzentschließung 4 von 2005: Aufforderung zu umfassendem Handeln

18. Die 2005 angenommene Entschließung über die Jugendbeschäftigung hob hervor, dass es „zu viele junge Menschen gibt, die keinen Zugang zu menschenwürdiger Arbeit haben“, und die „im Arbeitsmarkt vor Herausforderungen stehen“. Dies ist umso bedauerlicher, als „junge Männer und Frauen für den Arbeitsmarkt zahlreiche wertvolle Eigenschaften mitbringen“. Um dieses Problem zu überwinden, sollten jungen Menschen „vielfache Wege zu menschenwürdiger Beschäftigung“ eröffnet werden, insbesondere, weil „junge Arbeitnehmer keine homogene Gruppe [sind]; sie haben unterschiedliche Bedürfnisse, Fähigkeiten und Erwartungen“.

19. Die Entschließung forderte daher „ein integriertes und kohärentes Konzept, das makro- und mikroökonomische Interventionen kombiniert und auf die Arbeitskräftenachfrage, das Arbeitskräfteangebot und die Quantität und Qualität der Beschäftigung ausgerichtet ist“. In diesem Zusammenhang wurde hervorgehoben, wie wichtig es ist, ein hohes, stetiges und beschäftigungsintensives Wachstum zu erzielen; Geld-, handels- und steuerpolitische Maßnahmen sowie die Politik im Bereich der sozialen Sicherheit auf das Ziel der Schaffung menschenwürdiger Arbeitsplätze auszurichten; sicherzustellen, dass das ordnungspolitische Umfeld für Unternehmen und Investitionen und das Arbeitsrecht ein Investitionsklima schaffen, das wirtschaftliches Wachstum und die menschenwürdige Beschäftigung junger Menschen fördert; den Zugang zu universeller, kostenloser, qualitativ hochstehender öffentlicher Grund- und Sekundarschulbildung sicherzustellen; eine umfassende Politik zur Verbesserung der Beschäftigungsfähigkeit junger Menschen durch Systeme für Berufsbildung und lebenslanges Lernen, die den Bedürfnissen des Arbeitsmarkts Rechnung tragen, zu verfolgen; wirksame aktive Arbeitsmarktprogramme durchzuführen und das Unternehmertum unter jungen Menschen zu entwickeln. Die Entschließung forderte außerdem die Einführung von Sozialleistungsprogrammen zur Unterstützung arbeitsloser und unterbeschäftigter junger Menschen sowie dringendes Handeln, um „die Einbeziehung junger Arbeitnehmer, der Verbände der Arbeitnehmer und der Arbeitgeber jugendlicher Arbeitnehmer und ihrer Verbände bei der Entwicklung, Umsetzung und Überwachung von Arbeitsmarktpolitiken und -programmen für Jugendliche zu stärken“.

20. Die wichtigsten Botschaften, die von der bisherigen Tätigkeit der IAO im Bereich der Jugendbeschäftigung ausgehen, lassen sich wie folgt zusammenfassen: Um die Nachfrage junger Menschen nach Beschäftigung zu decken, muss die Schaffung von Arbeitsplätzen insgesamt stark ausgeweitet und als wichtiges Ziel in die Wirtschaftspolitik aufgenommen werden. In diesem Rahmen bedarf es außerdem konkreter und gezielter Maßnahmen, um die Beschäftigungsprobleme junger Menschen anzugehen. Besonders wichtig sind berufliche Bildungs- und Ausbildungsmaßnahmen, die den Jugendlichen beschäftigungsrelevante Fähigkeiten für den Eintritt in den Arbeitsmarkt vermitteln, während gleichzeitig Arbeitsmarktinstitutionen wie etwa Arbeitsvermittlungsdienste die Jugendlichen bei der Suche nach einer geeigneten Beschäftigung unterstützen. Um arbeitslosen Jugendlichen zu helfen, wieder eine Beschäftigung zu finden, und um Nachschulung und Unterstützung für benachteiligte Jugendliche bereitzustellen, bedarf es einer aktiven Arbeitsmarktpolitik. Außerdem werden Programme zur Unternehmensentwicklung benötigt, weil selbständige Erwerbstätigkeit und die Gründung von Kleinunternehmen wichtige Instrumente sind, damit junge Menschen eine bezahlte Beschäftigung ausüben können. Alle diese Programme sollten die Gleichstellung der Geschlechter gewährleisten, sich gezielt an besonders benachteiligte junge Menschen richten und jede Form von Diskriminierung beseitigen. Sie sollten sorgfältig konzipiert, überwacht und bewertet werden, um einen hohen wirtschaftlichen und sozialen Nutzen zu erzielen. Und schließlich ist es auch wichtig, die Mitwirkung der Verbände der Arbeitnehmer und Arbeitgeber an allen Jugendbeschäftigungsprogrammen sicherzustellen.

21. Eine wichtige Motivation für diese Arbeit war die Einsicht, dass junge Menschen beim Übergang in die Welt der Arbeit besonderen Risiken ausgesetzt sind und ganz spezielle Bedürfnisse haben. Für viele junge Menschen ist dies ein mit Hindernissen gespickter Weg. Häufig gehören dazu unzureichende Bildung und Ausbildung in Vorbereitung auf eine Berufstätigkeit, das Fehlen von Institutionen, die sie bei der Auswahl einer Berufslaufbahn und beim Finden eines Arbeitsplatzes anleiten und unterstützen, sowie Arbeitsmarktstrukturen, die es ihnen besonders schwer machen, einen Fuß auf die Beschäftigungsleiter zu setzen und auf ihr emporzusteigen. Angesichts dieser Hindernisse gelingt einer erheblichen Zahl von Jugendlichen der dauerhafte und erfolgreiche Übergang in die Welt der Arbeit häufig nicht, so dass für sie ein hohes Risiko chronischer sozialer Ausgrenzung besteht, wenn nicht Maßnahmen greifen, die ihnen eine „zweite Chance“ eröffnen. Die Arbeit der IAO auf dem Gebiet der Jugendbeschäftigung konzentriert sich hauptsächlich auf die Förderung wirksamer Politiken und Programme in den Mitgliedstaaten zur Überwindung der vielfachen Hindernisse, denen sich junge Menschen gegenüber sehen.

22. Eine weitere Motivation war die Erkenntnis, dass die Lösung des Problems der Jugendarbeitslosigkeit auch unter gesellschaftlichen Aspekten von größter Bedeutung ist. Hohe Arbeitslosigkeit unter jungen Menschen stellt eine Vergeudung potenzieller Humanressourcen und Talente dar, die für die Verjüngung der Erwerbsbevölkerung unverzichtbar sind. Die Überwindung dieses Problems könnte sich wirtschaftlich als höchst vorteilhaft erweisen. Andererseits sind die sozialen Kosten hoher Arbeitslosigkeit von Jugendlichen (und ihrer Abkopplung vom Arbeitsmarkt) gewaltig. Arbeitslosigkeit führt zu sozialer Ausgrenzung, die ihrerseits eine hohe Abhängigkeit von Sozialleistungen, Kriminalität und antisoziales Verhalten nach sich zieht und die Gesellschaften anfälliger macht für öffentliche Unruhen und politische Umbrüche.

23. Die Verringerung von Jugendarbeitslosigkeit verdient auch deshalb höchste Priorität, weil ihre Folgen für die Betroffenen so verheerend sein können. Während alle Menschen, die arbeitslos werden, in ihrem wirtschaftlichen und persönlichen Wohlergehen beeinträchtigt sind, ungeachtet ihres Alters, ist der Schaden am größten, wenn er am ohnehin schwierigen Beginn des Arbeitslebens eintritt. Die legitimen Hoffnungen, einen Arbeitsplatz zu finden und eine Berufslaufbahn aufzunehmen, werden zerschlagen, an ihre Stelle tritt der Schmerz einer unverdienten sozialen Zurückweisung. Dies kommt einer Verweigerung des wirtschaftlichen Bürgerrechts gleich und löst Verzweiflung und Groll aus. Die Folgen solcher frühen Verletzungen sind oft tiefgehend und lang anhaltend, etwa in Form einer Minderung der künftigen Beschäftigungsfähigkeit und des künftigen Verdiensts.

Die neue globale Herausforderung annehmen: Zeit zum Handeln

24. Die Intensität und das Ausmaß der gegenwärtigen Jugendbeschäftigungskrise und die sich ausbreitenden sozialen Unruhen machen deutlich, wie viel bei den internationalen und nationalen Anstrengungen zur Abwendung einer zweiten und potenziell gefährlicheren Phase der globalen Krise auf dem Spiel steht. Es geht um nichts weniger als den Glauben daran, dass die Globalisierung fair und inklusiv sein und dafür sorgen kann, dass es für junge Frauen und Männer menschenwürdige Arbeit und soziale Gerechtigkeit gibt.

25. Es ist an der Zeit, den breiten Konsens der 2005 von der Konferenz angenommenen Schlussfolgerungen und die bei ihrer praktischen Umsetzung gewonnenen Erfahrungen sowie die auf die Krise folgende Debatte über grundsatzpolitische Paradigmen zur Verwirklichung eines beschäftigungsintensiven und inklusiven Wachstums und einer fairen Globalisierung zu übersetzen in ein umfassendes Vorgehen der internationalen Gemeinschaft zur Bewältigung der Jugendbeschäftigungskrise. Struktur und Inhalt des Berichts

26. Dieser Bericht besteht aus vier Kapiteln. Kapitel 1 untersucht die quantitativen und qualitativen Dimensionen der Jugendbeschäftigungskrise in verschiedenen Regionen und Ländern und erörtert neu aufgetretene Herausforderungen, wie etwa die Arbeitslosigkeit unter Hochqualifizierten und die zunehmende „Abkopplung“ Jugendlicher von den Arbeitsmärkten. Kapitel 2 analysiert die Muster der seit der letzten allgemeinen Aussprache weltweit von Ländern unternommenen Interventionen und Maßnahmen. Es macht wichtige Erkenntnisse deutlich, die aus den Erfahrungen mit der globalen Finanzkrise und den Reaktionen darauf gewonnen wurden. Dabei deckt es ein breites Spektrum der Politikbereiche ab, die in den Schlussfolgerungen der Konferenzaussprache von 2005 behandelt wurden, wie etwa makroökonomische Aspekte, Arbeitsmarktpolitiken und -programme, Unternehmensentwicklung, Rechte und Arbeitsmarktinstitutionen, Sozialschutz und andere Faktoren, die sich auf Angebot und Nachfrage sowie Quantität und Qualität der Beschäftigung auswirken. Diese integrierte Analyse, die die gesamte Agenda für menschenwürdige Arbeit berücksichtigt, wendet den in der Erklärung über soziale Gerechtigkeit für eine faire Globalisierung von 2008 enthaltenen Grundsatz integrierter, unteilbarer und sich gegenseitig unterstützender Ziele an. Dabei wird unterstrichen, wie wichtig eine kohärente und abgestimmte Politik auf nationaler und globaler Ebene im Hinblick auf die Bewältigung der Jugendbeschäftigungskrise ist. Außerdem wird auf ein wesentliches Defizit hingewiesen – die beschränkten Mitsprache- und Partizipationsmöglichkeiten Jugendlicher bei der Gestaltung ihrer eigenen Gegenwart und Zukunft. Kapitel 3 gibt einen kurzen Überblick über die Strategie zur Unterstützung der Mitgliedsgruppen, die das Internationale Arbeitsamt seit 2005 verfolgt, und über die wichtigsten globalen und regionalen Partnerschaften mit Schwerpunkt auf Jugendbeschäftigung.

Kapitel 4 präsentiert die wichtigsten Schlussfolgerungen, die sich aus dieser Untersuchung und Analyse ergeben, und zeigt verschiedene Möglichkeiten für das weitere Vorgehen auf.

Die vollständigen Bericht finden Sie hier.