Appell vom Rat der Künste Berlin und weiteren Berliner Kulturinitiativen, 8.1.2024
Nationalsozialismus und Holocaust stellen den größten Bruch in der Kulturgeschichte Deutschlands dar und mahnen uns, die Bedrohung des Antisemitismus ernst zu nehmen. Insbesondere angesichts des skrupellosen, terroristischen Angriffs der Hamas auf Israel und des darauf folgenden Krieges in Gaza gilt es auch im Kulturbereich, mit dezidierten Maßnahmen Verantwortung gegen Menschenhass zu übernehmen. So hat die Kultusministerkonferenz in der Folge der Terroranschläge erklärt, „die Bekämpfung des Antisemitismus, der Schutz jüdischen Lebens und die Gewährleistung eines Miteinanders in Vielfalt und Freiheit“ werde eine wichtige Rolle in der Arbeit deutscher Kultureinrichtungen einnehmen. Künstler*innen und Kulturinstitutionen arbeiten seit Jahren daran, Räume zur kritischen Meinungsbildung zu schaffen, um Diskriminierung und Menschenhass vorzubeugen. Diese Räume des Dialogs müssen – wie von der Kultusministerkonferenz oder auch dem Deutschen Kulturrat angemahnt – ausgebaut werden.
Vor diesem Hintergrund ist das Vorhaben der Senatsverwaltung für Kultur und Gesellschaftlichen Zusammenhalt des Landes Berlin, sich dezidiert der Bekämpfung von Antidiskriminierung und Antisemitismus zu widmen, ein wertvoller Schritt. Selbstkritische Auseinandersetzung und präventive Antidiskriminierungsmaßnahmen müssen zum Instrumentarium der Kunst- und Kulturszene gehören. Kultur muss jetzt demokratische Räume des freien Austausches schaffen, die es vermögen, das kollektive Erinnern an die besondere historische Verantwortung Deutschlands substantiell in der Bevölkerung zu verankern und identitätsstiftende Wirkung zu entfalten. Doch die neue Antidiskriminierungsklausel (ADK) droht, diese Aufgabe zu erschweren und damit kontraproduktiv zu wirken. Die Klausel legt nahe, ein persönliches Bekenntnis der Antragsteller*innen zur IHRA Arbeitsdefinition von Antisemitismus zur Grundlage jeglicher Kulturförderpolitik zu machen. Es ist zu befürchten, dass Antisemitismusbekämpfung damit auf eine einzige, nicht für diesen Zweck verfasste Definition enggeführt wird. Damit wird nicht nur die Komplexität des Antisemitismus unterschätzt, sondern zudem das Ziel
der Antidiskriminierung gefährdet.
Denn die IHRA-Definition ist als Erkenntnisinstrument insbesondere für israelbezogenen Antisemitismus gut geeignet, war aber nie für eine rechtsverbindliche Verwendung in der Behördenpraxis bestimmt. Einer der Mitverfasser, Kenneth Stern, hat darauf in den letzten Jahren wiederholt hingewiesen und die Gefahr betont, dass sie zur Einschränkung von verfassungsrechtlich geschützten Freiheiten instrumentalisiert
werden und die jüdische Selbstbestimmung gefährden könne.
Aus der Engführung auf die IHRA-Definition ergeben sich in der Praxis eine Reihe ungewollter Effekte: Gefährdung demokratischer Grundwerte wie Meinungs- und Kunstfreiheit (1.), Rechtsunsicherheit und unzulängliche Umsetzbarkeit (2.) und nicht zuletzt auch ein Bedeutungsverlust des Kreativstandorts Berlin (3.). Doch Demokratie, Meinungsfreiheit, Kunstfreiheit und der Kampf gegen Diskriminierung, Antisemitismus und Hass gegenüber Minderheiten gehören zusammen.
Den vollständigen Appell finden Sie hier.