Kodex Wissenschaftsfreiheit der Universität Hamburg, 2.2.2022
Der Wissenschaft ist durch die Verfassung ein Raum der Autonomie gewährleistet, in dem wissenschaftliche Praxis nach Maßgabe eigener Kriterien realisiert werden kann. Diese Freiheitsgewährleistung, die ihren Niederschlag in Art. 5 Abs. 3 GG gefunden hat, umschreibt damit zugleich normative Grenzen für Interventionen und Beeinträchtigungen jeglicher Art, die allerdings in der Praxis nicht immer respektiert werden. Vielmehr finden sich Wissenschaftler:innen – innerhalb und außerhalb ihrer Institutionen – mit Ansprüchen konfrontiert, die sie als wissenschaftsfremd wahrnehmen; sie sind dem Druck von Erwartungen ausgesetzt, die sie nicht akzeptieren können und wollen, und sie werden in gesellschaftliche Konflikte hineingezogen, die nach Maßgabe von Kriterien ausgetragen werden, die sie als wissenschaftlich unangemessen empfinden.
Diese Konfliktfelder sind nicht neu und auch nicht erstaunlich. Schließlich ist der Wissenschaft ihre Freiheit zur Hervorbringung neuen Wissens garantiert. Neues Wissen, hinreichend gesichert oder nicht, setzt nicht selten vorhandene Perspektiven, Einstellungen und Praktiken einer Zumutung aus und kann schon deshalb nicht auf jederzeitige und umfassende Akzeptanz zählen. Insofern sind entsprechende Konflikte weder ungewöhnlich noch bedrohlich, sondern gehören zu einer differenzierten und multiperspektivischen Gesellschaft, in der auch die Wissenschaft Rechtfertigungsforderungen ausgesetzt ist. Und nicht selten sieht sich Wissenschaft mit wissenschaftlicher Kritik konfrontiert, etwa bei Fragen der Risikoeinschätzung von neuen Technologien. In einer demokratischen Gesellschaft ist dies legitim. In diesem Sinne ist nicht jeder Konflikt auch schon eine Bedrohung von Wissenschaftsfreiheit, als die er gelegentlich inszeniert wird.
Ungeachtet dessen gibt es gute Gründe, sich einiger Grundlagen zu vergewissern, die für die freiheitliche Ausübung wissenschaftlicher Tätigkeiten von Bedeutung sind. Anlässe dafür gibt es genug. Als Stichworte mögen genügen: Störung missliebiger Vorlesungen oder Seminare, Verweigerung wissenschaftlicher Auseinandersetzung aufgrund von politischen oder religiösen Einstellungen, Ausübung politisch motivierten Drucks auf Wissenschaftler:innen, Delegitimierung wissenschaftlicher Themen oder Gegenstände, die fehlende Bereitschaft, sich mit Vorstellungen und Inhalten, die als unbequem oder bedrohlich empfunden werden, auseinanderzusetzen, aber auch strukturelle, manchmal subtile und informelle Einflussnahme. Solche Praktiken mögen aus wissenschaftsfremder Perspektive kurzfristige Erfolge versprechen; langfristig bedrohen sie aber die Hervorbringung neuen Wissens, das für moderne Gesellschaften unverzichtbar ist.
Der vorliegende Kodex soll mit seinen 11 Kernthesen und deren Erläuterungen die unverzichtbaren Grundlagen von Forschung und Lehre angesichts immer wieder aufkeimender Debatten im Umgang mit Wissenschaft und Wissenschaftsfreiheit verdeutlichen. Er soll den Rahmen der Ausübung der Freiheit verdeutlichen. Die Gewährleistung von Autonomie beinhaltet sowohl die Möglichkeit als auch die Verantwortung ihrer Gestaltung durch ein produktives Zusammenwirken aller Mitglieder der Universität, auch im Sinne des Leitbildes der Universität Hamburg.
Den vollständigen Kodex finden Sie hier.