Halbzeitbilanz des Koordinationskreises des Forum Menschenrechte der bundesdeutschen Menschenrechtspolitik, 8.12.2011
A. Die Menschenrechtspolitik der Bundesregierung ist weder einheitlich noch schlüssig
Zwar legte die Bundesregierung – wie vom Forum Menschenrechte gefordert – im Rahmen ihres Neunten Menschenrechtsberichts einen Nationalen Aktionsplan Menschenrechte 2010-2012 vor.[1] Eine kohärente Querschnittspolitik im Sinne der Menschenrechte, wie sie der Bericht für die Bundesregierung in Anspruch nimmt, setzt jedoch voraus, dass die menschenrechtlichen Folgen staatlichen Handelns systematisch überprüft werden und die Menschenrechte eine wichtige Richtschnur für politisches Handeln auch in vermeintlich sachfremden Politikbereichen wie Energie oder Umwelt einnehmen.
Eine solche kohärente Strategie lässt sich weder im oben genannten Bericht noch im konkreten politischen Handeln der Bundesregierung erkennen. Besonders offensichtlich wird dies im Beschluss der Bundesregierung, Saudi-Arabien 200 Leopard-2-Kampfpanzer zu liefern. Dieser Beschluss widerspricht nicht nur der im Koalitionsvertrag dokumentierten Absicht, den globalen Trend neuer Aufrüstungsspiralen umzukehren.[2] Er bestärkt auch die Zweifel daran, dass die von der Bundesregierung propagierte „Wertebindung“ und „Interessenleitung“ in der deutschen Außenpolitik sich ergänzen und nicht widersprechen. Es drängt sich – insbesondere angesichts der Rolle Saudi-Arabiens bei der Niederschlagung der Protestbewegung in Bahrain im Frühjahr 2011 – der Eindruck auf, dass die Wahrung von Menschenrechten in eine „Wertenische“ abgeschoben wird, und bei außenpolitischen Entscheidungen wie dieser letztlich keine Rolle spielt. Bisher nur unzureichend genutzt wurde außerdem die Chance der zweijährigen Mitgliedschaft Deutschlands im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen von 2011 bis 2013, um beispielsweise für ein menschenrechtsbasiertes Konzept ziviler Krisenprävention zu werben.
B. Die deutsche Menschenrechtspolitik ist durch immer neue Sicherheitsgesetze mit Frei- heitseinschränkungen belastet
Der 11. September 2001 bedeutet eine Zäsur und Hypothek für den weltweiten Menschenrechtsschutz. Das menschenrechtliche Fundament deutscher und internationaler Politik ist seit den verheerenden Anschlägen des Terrornetzwerkes al-Qaida am 11. September 2001 ins Wanken geraten. Für Deutschland gilt das insbesondere im Bereich der Rechtspolitik, bei der das Bundesverfassungsgericht seit 2001 dem Gesetzgeber immer wieder rechtsstaatliche Grenzen aufzeigen musste, so zum Beispiel mit der Entscheidung zur Rasterfahndung im Jahr 2006 und zur Vorratsdatenspeicherung von Telekommunikationsverbindungsdaten 2010.
Immer neue Sicherheitsgesetze mit Freiheitseinschränkungen, CIA-Geheimgefängnisse auch in europäischen Staaten, Auslieferungen von Terrorverdächtigen an Staaten, in denen Folter droht, sowie ei- ne zunehmende Verdachtskultur gegen Muslime bieten mehr als Anlass genug, den Nutzen wie auch den menschenrechtlichen Schaden der deutschen Anti-Terror-Gesetzgebung in der Folge des 11. September 2001 gründlich zu überprüfen und Gesetze gegebenenfalls unter Wahrung rechtsstaatlicher Grundsätze zu revidieren.4 Die ohne Zweifel bestehende Gefahr terroristischer Bedrohung darf nicht dazu führen, Grund- und Menschenrechte auszuhöhlen. Es gilt, die offene, auf Menschenrechte für alle basierte Gesellschaft im Innern zu verteidigen, um nach außen als glaubwürdiger Fürsprecher der universellen Menschenrechte aufzutreten.
C. Ein ernsthafter Dialog von Regierung und Parlament ist auch im Bereich der Menschenrechtspolitik ein unerlässlicher Bestandteil gelebter Demokratie
Für die Beteiligung der Zivilgesellschaft am Handeln der Regierung hat die Enquetekommission „Zukunft des bürgerschaftlichen Engagements“ des Deutschen Bundestages bereits in ihrem Bericht 2002 hohe Maßstäbe gesetzt. Die Bürgergesellschaft ist „Leitbild“ und „Bezugsrahmen politischer Gestaltung“. Sie bildet in der Bundesrepublik Deutschland „einen zentralen Eckpfeiler in einer Vision, in der die demokratischen und sozialen Strukturen durch die aktiv handelnden, an den gemeinschaftlichen Aufgaben teilnehmenden Bürgerinnen und Bürger mit Leben erfüllt, verändert und auf zukünftige gesellschaftliche Bedürfnisse zugeschnitten werden.“ 5 Auf Basis gesicherter Grundrechte und im Rahmen einer politisch verfassten Demokratie werden durch das Engagement in selbstorganisierten Vereinigungen und durch die Nutzung von Beteiligungsmöglichkeiten die Geschicke des Gemeinwesens wesentlich geprägt, so die Enquetekommission.
Dieses Leitbild aus dem Jahr 2002 scheint mehr und mehr aus dem Blick zu geraten. Viele Nicht-Regierungsorganisationen gewinnen den Eindruck, dass ihre Beteiligung an der Diskussion um Gesetzes- vorhaben oder auch die Umsetzung von Verpflichtungen aus UN-Konventionen nur mehr formal geschieht, ohne dass ihnen verändernder Einfluss eingeräumt würde. Als Beispiel sei hier genannt, dass die Eingaben zahlreicher Nicht-Regierungsorganisationen aus Anlass des Nationalen Aktionsplans zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention weitgehend keinerlei Beachtung fanden. Die Verantwortlichen sahen sich auch nicht veranlasst, jenen, die Stellungnahmen abgaben, eine Begründung für ihre Entscheidung zukommen zu lassen.
Die vollständige Studie finden Sie hier.
[1] Deutscher Bundestag: Unterrichtung durch die Bundesregierung. Neunter Bericht der Bundesregierung über ihre Menschenrechtspolitik in den auswärtigen Beziehungen und in anderen Politikbereichen. BT-Drucks. 17/2840, Berlin 2010.
[2] Wachstum. Bildung. Zusammenhalt. Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und FDP, 17. Legislaturperiode, Berlin 2009, S. 119; www.cdu.de/doc/pdfc/091026-koalitionsvertrag-cducsu-fdp.pdf (29.11.2011).