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»Die weltweite Welle von Bürgerprotesten setzt sich fort«

Transformationsindex der Bertelsmann Stiftung zur weltweiten Entwicklung der Protestbewegungen, 22.1.2014

Der BTI 2014 kann trotz der politischen Umbrüche im arabischen Raum keine positive Transformationsbilanz ziehen. Während die gesellschaftliche Polarisierung und der Einfluss religiöser Dogmen wachsen, sinkt die Fähigkeit zu effektivem Konfliktmanagement. Zudem bleiben Ungleichheit und Armut in mehr als der Hälfte aller Länder ausgeprägt. Gleichzeitig nimmt der Widerstand einer besser vernetzten und selbstbewussteren Zivilgesellschaft gegen Misswirtschaft, Willkür und Korruption zu. Die weltweite Welle von Demonstrationen und Revolten wird sich in den kommenden Jahren fortsetzen. Das erfordert einen konstruktiven Dialog mit Protestbewegungen, da die traditionellen demokratischen Entscheidungsmechanismen alleine nicht mehr ausreichen, um eine sinnvolle Verständigung über die Ziele von Transformation und deren konkrete strategische Ausgestaltung zu erlangen. 

1.    Der BTI 2014 kann trotz der politischen Umbrüche im arabischen Raum keine positive Transformationsbilanz ziehen.

Gerade die Veränderungen in der arabischen Welt illustrieren, warum bei aller politischen Bewegung die BTI-Werte stagnieren. Zunächst einmal halten sich oft schon innerhalb einer Region die Gewinner und Verlierer annähernd die Waage: auf ein Tunesien im Demokratisie- rungsprozess kommt ein Syrien im Bürgerkrieg; auf wirtschaftlich danieder liegende Länder wie Jemen oder Sudan kommen prosperierende Golfstaaten wie Katar oder Kuwait. Nicht selten gleichen sich im Status-Index (dem umfassenden – politischen wie wirtschaftlichen – Ent- wicklungsstand eines Landes) Fortschritte und Einbrüche bereits in der Bewertung eines einzelnen Landes aus. So fiel das Gesamtsaldo der Vereinigten Arabischen Emirate mit +0,23 angesichts einer ausgezeichneten Wirtschaftsentwicklung (+0,68 im Marktwirtschafts-Status) vergleichsweise gering aus, da deren Herrscher die bereits stark limitierten politischen und bürgerlichen Rechte noch weiter einschränkten (-0,22 im Demokratie-Status).

Schließlich aber, und dies ist ein durchaus typisches Bewertungsergebnis im Verlauf des „Arabischen Frühlings“, gingen Fortschritte in einem Untersuchungsbereich zu Lasten anderer Entwicklungsaspekte. In Ländern wie Ägypten, Libyen oder Tunesien wurden die politischen Be- teiligungsrechte sprunghaft erweitert, während gleichzeitig die Bürgerrechte und der Schutz vor Diskriminierung massiv eingeschränkt wurden. Gewinne im Bereich der Demokratisierung wiederum gingen in Umbruchsituationen nicht selten mit einem institutionellen Stabilitätsverlust und gesunkenen Werten für Staatlichkeit einher.

Gelten diese Nivellierungen schon innerhalb einer Region, so treffen sie erst recht im globalen Maßstab zu: Transformationsgewinnern wie Côte d’Ivoire (+1,22 im Status-Index), Bhutan (+1,12) oder Myanmar (+0,87) stehen Transformationsverlierer Mali (-2,00), Syrien (-1,72) oder Sri Lanka (-0,64) gegenüber, politische Rückschritte in einer Region (Ostmittel- und Südosteuropa, -0,14) werden durch leichte Demokratisierungsfortschritte in einer anderen (Asien und Ozeanien, +0,11) ausgeglichen.

In den letzten zwei Jahren stechen besonders zwei regionale Trends hervor: Zum einen verschlechterte sich die Transformationsbilanz von 12 der 17 ostmittel- und südosteuropäischen Länder, maßgeblich bedingt durch Rückschritte bei der Demokratiequalität, und hier vor allem beim Schutz der Bürgerrechte (-0,24), der Leistungsstärke der demokratischen Institutionen (- 0,30) und bei der Gewaltenteilung (-0,41). Zum anderen brachen zahlreiche arabische Länder - vor allem Ägypten, Iran, Jemen, Libyen, Sudan und Syrien - ökonomisch massiv ein, sowohl hinsichtlich der Währungs- und Preisstabilität (-0,92) wie auch bezüglich der volkswirtschaftlichen Leistungsstärke (-0,90) und der Sozialordnung (-0,42). Dies führte zu einem Minus von 0,40 Punkten im regionalen Durchschnitt der wirtschaftlichen Transformation und damit zu einer Abwertung der Region im Status-Index um 0,19 Punkte.

2.    Gesellschaftliche Polarisierung nimmt zu, der Einfluss religiöser Dogmen wächst.

Wesentlicher Faktor für den gesellschaftlichen Zusammenhalt ist das Ausmaß an zwischenmenschlichem Vertrauen und Solidarität und die Bereitschaft und Fähigkeit zur zivilgesellschaftlichen Selbstorganisation. In den arabischen Bürgerkriegsländern Bahrain, Jemen und Syrien verschlechterte sich der Wert ebenso deutlich wie in der stark polarisierten Türkei (je - 2 Punkte). Doch umgekehrt vergrößerte sich Vertrauen und zivilgesellschaftliche Organisationsfähigkeit in sieben Ländern des Nahen Ostens und Nordafrikas, nicht zuletzt in den Umbruchländern Libyen und Tunesien. Besonders deutlich aber fiel das regionale Plus erneut im asiatischen Raum aus (+0,24 im Vergleich zum BTI 2012). So stiegen die Vertrauenswerte und Kooperationsfähigkeiten in sechs asiatischen Ländern, von hohem Niveau aus wie in Taiwan, häufiger aber von niedrigem (China, Malaysia, Singapur) oder rudimentärem (Laos, Myanmar) Level. Während das Sozialkapital aber unter dem Strich im globalen Durchschnitt auf einem nahezu unveränderten und relativ niedrigen Durchschnittswert von 5,13 verbleibt (dem viertschlechtesten der 18 Demokratiewerte im BTI), stieg die Konfliktintensität als Resultat gesellschaftlicher Polarisierung in den letzten zwei Jahren deutlich (+0,23) an, insbesondere natürlich im Nahen Osten und Nordafrika (+1,15), aber auch in West- und Zentralafrika (+0,33) sowie in Ostmittel- und Südosteuropa (+0,30).

Dabei nimmt der Einfluss von religiösen Dogmen auf die Verfasstheit der politischen Systeme zu. Mit diesem Indikator problematisiert der BTI nicht die Beteiligung von Kirchen und religiösen Einrichtungen als Interessengruppen im politischen Entscheidungsprozess; jedoch werden individuelle Überzeugungen und Wahlmöglichkeiten eingeschränkt, wenn Rechtsordnung und politische Institutionen dem unmittelbaren Einfluss religiöser Dogmen ausgesetzt sind.

In absehbarer Weise hat in den letzten zwei Jahren der Einfluss des Islamismus in insgesamt acht arabischen Ländern noch einmal zugenommen, darunter vor allem in Ägypten und Libyen. Eine stärkere religiöse (christliche wie muslimische) Aufladung von Politik reicht aber in subsaharische Regionen, so auch in traditionell säkular verfasste westafrikanische Staaten wie Burkina Faso, Nigeria, Kamerun und natürlich Mali. Dies wird im längerfristigen Trend besser sichtbar, denn in den letzten acht Jahren hat der Einfluss religiöser Dogmen in 25 von 40 der bereits im BTI 2006 untersuchten afrikanischen Staaten zugenommen - in vier der sechs nordafrikanischen Staaten, in 10 der 16 Länder West- und Zentralafrikas und in 11 der 18 süd- und ostafrikanischen Staaten. Hier lassen sich deutliche regionale Schwerpunkte identifizieren, etwa der ostafrikanische Großraum mit Äthiopien, Eritrea, Kenia, Tansania und Uganda, wo zumeist christliche Kirchen einen stärkeren Einfluss auf die Politik gewinnen, der Staat aber noch weitgehend säkular verfasst ist, oder der muslimisch geprägte westafrikanische Gürtel von Senegal über Mali und Niger bis Nigeria, wo eine zunehmende Militanz islamistischer Gruppen zu verzeichnen ist und sich religiöse und säkulare Kräfte im mehr (Mali) oder weniger (Senegal) starken Konflikt über die generelle Ausrichtung von Rechtsordnung und Institutionen befinden. Außerhalb Afrikas hingegen ist ein deutlich (mehr als -1) gewachsener Einfluss religiöser Dogmen nur noch im Jemen zu verzeichnen.

3.    Die Fähigkeit zu effektivem Konfliktmanagement sinkt.

Die Fähigkeit zum Konfliktmanagement hat sich verschlechtert, und die Bemühungen von Regierungen, politische Konflikte zu deeskalieren, gehen seit dem BTI 2006 kontinuierlich zurück. Der Wert für Konfliktmanagement fiel von 5,92 Punkten (BTI 2006) über 5,46 (BTI 2008) auf aktuell 5,38 Punkte – das größte Minus aller 14 Indikatoren im Management-Index, die die Regierungsqualität bewerten. Kein Land erreicht hier den höchsten Wert von 10 Punkten, und auch nur drei Länder - Benin, Taiwan und Uruguay - erhalten 9 Punkte.

Konflikte eskalierten und Vermittlungsfähigkeiten von Regierungen verschlechterten sich in 51 Ländern seit dem BTI 2006. Besonders stark betroffen sind Nordafrika und der Nahe Osten – das Konfliktmanagement verschlechterte sich fast überall, in den zunehmend repressiv-diskriminierenden Golfstaaten (Bahrain -5, Saudi-Arabien -4, VAE -1), den nordafrikanischen Arabellionsstaaten (Ägypten -4, Libyen -3, Tunesien -2), den zwischen Reform und Blockadehaltung schwankenden Königshäusern in Jordanien und Marokko (je -2), dem keine Pluralität duldenden iranischen Gottesstaat (-3) und den in ihrer Staatlichkeit durch Kämpfe oder Polarisierung zerrütteten Libanon (-3), Sudan (-2) und Syrien (-5). Mit einem Rückgang des regionalen Durchschnittswerts um 2,24 Punkte schwindet die Fähigkeit zur Schlichtung und Konsensfindung rapide in einem Moment, in dem sie dringender denn je gebraucht wird. In deutlich abgeschwächter Weise gilt dies für das reformmüde und euroskeptische Ostmittel- und Südosteuropa, wo sich in 8 von 16 bereits im BTI 2006 untersuchten Ländern – angeführt von Slowenien und Ungarn – die Schlichtungsfähigkeit reduzierte. Und es trifft ebenfalls auf die Hälfte der west- und zentralafrikanischen Regierungen zu, deren Vermittlungsfähigkeit und Konsensstiftung – wie der tragische Fall Malis illustrierte – durch ethno-religiöse Konflikte und Verteilungskämpfe um Rohstoffe und Schmuggelrouten vor ganz besondere Herausforderungen gestellt werden.

Wenn aber der Einfluss religiöser Dogmen in den letzten Jahren angewachsen ist und eine mitunter destabilisierende Wirkung entfaltet, wenn rapider politischer Wandel die institutionelle Stabilität erschüttert und staatliche Schutzfunktionen verringert, wenn populistischer Protest gegen die etablierten Eliten gerade in demokratisch weit fortgeschrittenen Regionen Europas und Lateinamerikas gerichtet wird und nicht selten in einer Aushöhlung von Gewaltenteilung und Beteiligungsrechten mündet, und wenn schließlich Armut und Ungleichheit selbst in wirt- schaftlich prosperierenden Staaten kaum wirksam bekämpft werden und sich Exklusionsmuster strukturell verhärten – dann wäre es umso wichtiger, auf gutes Konfliktmanagement zurückgreifen zu können. Dieses entfaltet aber in nur 20 Staaten ohne größere Einschränkungen (8-10 Punkte) eine deeskalierende und vermittelnde Wirkung. Dringend notwendig wäre insbesondere ein neuer, konstruktiver Dialog mit Protestbewegungen.

4.    Armut und Ungleichheit bleiben in der Mehrheit aller 129 BTI-Länder ausgeprägt.

Die Betrachtungen zur Entwicklung von Armut und Ungleichheit im globalen Maßstab gehen weit auseinander. Einerseits gibt es beachtliche Fortschritte, besonders die vorzeitige Erreichung des ersten Millennium-Entwicklungsziels, der weltweiten Halbierung der extremen Ein- kommensarmut. Andererseits zeigt die Entwicklung des BTI-Indikators „Sozioökonomische Hindernisse“ einen Negativtrend auch in den Entwicklungs- und Schwellenländern jenseits von Afrika. Selbst in Ostasien und Lateinamerika, wo große Fortschritte in der Armutsbekämpfung gemacht wurden, hat sich der Saldo der nationalen sozioökonomischen Entwicklungsniveaus nicht verbessert, sondern sogar leicht verschlechtert.

Eine Erklärung für den Widerspruch liegt sicher in der Verengung des Blicks auf die drei großen Schwellenländer Brasilien, China und Indien. Die drastische Armutsreduktion in diesen bevölkerungsreichen Staaten erklärt den Löwenanteil der weltweiten Armutsreduktion. Allein in China sind laut Weltbank von 1990 bis 2008 mehr als 500 Millionen Menschen aus extremer Armut herausgehoben worden. Die beeindruckenden Verbesserungen in den BIC-Staaten stehen jedoch nicht repräsentativ für die Mehrzahl der Volkswirtschaften des Südens – jedenfalls nicht, wenn man aus der nationalstaatlichen Perspektive des BTI den sogar leicht rückläufigen Trend des sozioökonomischen Entwicklungsniveaus in 118 fortlaufend untersuchten Staaten zugrunde legt.

Eine andere Erklärung für die Inkompatibilität der ermutigenden Armutszahlen mit den enttäuschenden BTI-Ergebnissen zum sozioökonomischen Entwicklungsniveau liegt in der problematischen Verallgemeinerung der extremen Armutsquote. Schließlich sagt eine festgesetzte absolute Obergrenze für extreme Einkommensarmut bei 1,25 US-Dollar (2005, PPP) nur bedingt etwas über die Armuts- und Reichtumsverteilung oder die tatsächliche Lebenssituation benachteiligter Bevölkerungsschichten aus. Der BTI-Indikator „Sozioökonomische Hindernisse“ fragt daher nicht nur nach absoluten Armutsquoten, sondern ebenso nach der Verbreitung von Ungleichheit. Die negativen Trends der vorliegenden Untersuchung tragen also der zunehmenden Ungleichheit in den Entwicklungsländern in den letzten acht Jahren Rechnung. Der wirtschaftliche Aufstieg der Schwellenländer hat großen Teilen der Bevölkerung begrenzten sozialen Aufstieg ermöglicht, doch partizipieren die urbanen Mittel- und Oberschichten überproportional daran. Die regionalen Disparitäten zwischen Shanghai, South Mumbai und Campinas einerseits und Yunnan, Bihar und Maranhão andererseits haben sich eher vergrößert. So ist zu erklären, dass beispielsweise in Indien der Anteil extremer Armut zwischen 2005 und 2010 von 41,6 Prozent auf 32,7 Prozent zurückgegangen ist und ein weiterer Rückgang prognostiziert wird, während gleichzeitig die sozioökonomischen Hindernisse in dem durch ausgeprägte Ungleichheit und soziale Exklusion gekennzeichneten Land um einen Punkt schlechter bewertet werden.

5.    Gleichzeitig nimmt der Widerstand einer besser vernetzten und selbstbewussteren Zivilgesellschaft gegen Misswirtschaft, Willkür und Korruption zu.

Der BTI 2014 bestätigt einen problematischen Trend, der sich bereits vor zwei Jahren abzeichnete und sich inzwischen in zahlreichen Ländern noch verstärkt hat: Politische Beteiligungsmöglichkeiten und Bürgerrechte werden in vielen Demokratien in zunehmendem Maße einge- schränkt. Ungebremst setzte sich vor allem in den lateinamerikanischen und ostmittel- und südosteuropäischen Demokratien der Trend einer schlechteren Wahlqualität fort. In der Dominikanischen Republik, Ecuador und Panama wie auch in Albanien, Bulgarien und Rumänien gingen Einbußen in der Qualität der Wahlprozesse mit einer Erosion der Gewaltenteilung einher.

Im Durchschnitt aller demokratisch regierten Länder sank die Qualität der Wahlen kontinuierlich, von 8,51 im BTI 2006 auf aktuell 7,92. In diesem Zeitraum schränkten zahlreiche demokratisch gewählte Regierungen zudem die Organisations- und Versammlungsfreiheit deutlich ein, beschnitten die Meinungs- und Pressefreiheit und tasteten in stärkerer Weise die persönlichen Freiheitsrechte an.

Beispiel Meinungsfreiheit:

In etablierten Demokratien hingegen weist der Trend nach wie vor nach unten. Erneut gilt dies besonders deutlich für Ostmittel- und Südosteuropa, wo Medien nach wie vor unter steigendem Druck von Regierungen und Wirtschaftsinteressen stehen und der regionale Durchschnittswert für Meinungsfreiheit dramatisch von 9,27 (BTI 2006) über 7,82 (BTI 2012) auf nunmehr 7,59 fiel. Das Gesamtminus von 1,68 stellt den stärksten Einbruch dar, den der BTI im Bereich der politischen Transformation je für einen Indikatorwert im regionalen Durchschnitt verzeichnet hat.

In Bulgarien und Rumänien geht der Qualitätsjournalismus zugunsten von käuflicher Berichterstattung zurück, da die politischen Verbindungen und Ambitionen von Medienbesitzern ihre Journalisten zur Selbstzensur veranlassen, eine Entwicklung, die durch die Schrumpfung des Mediensektors in Folge der Wirtschaftskrise noch verstärkt wird. In Ungarn korrigierte die Regierungsmehrheit infolge massiver internationaler Proteste und der Beanstandung des Verfassungsgerichts zwar ihr umstrittenes Mediengesetz, doch die neu geschaffene und von Fidesz- Parteigängern beherrschte Medienaufsicht verfügt nach wie vor über weitreichende Interventions- und Sanktionsmöglichkeiten. In Mazedonien wurden drei oppositionelle Zeitungen wegen angeblicher Steuervergehen geschlossen und ein regierungskritischer Fernsehsender von einer Käufergruppe mit Regierungsbeziehungen aufgekauft. Die fortwährenden Versuche der Einflussnahme von staatlicher und wirtschaftlicher Seite, die insbesondere in südosteuropäischen Ländern auch in Einschüchterungsversuchen und körperlichen Übergriffen auf kritische Journalisten münden, veranschaulichen die herausragende Rolle der Medien in polarisierten und volatilen Kontexten, wo die Populismusanfälligkeit des politischen Diskurses durch oberflächliche oder tendenziöse Berichterstattung gefügiger oder korrumpierter Redakteure noch verstärkt wird.

Beispiel Gewaltenteilung:

Während die Gewaltenteilung in allen ostmittel- und südosteuropäischen Ländern außer Albanien im BTI 2008 noch als voll verwirklicht oder nur minimal eingeschränkt bewertet wurde (8 bis 10 Punkte), so lässt sich dies heute bereits von sechs von 18 Ländern (Albanien, Kosovo, Mazedonien, Montenegro, Rumänien und Ungarn) nicht mehr sagen. Eine solche autoritäre Regression wird durch populistische Kräfte befördert, die die Funktionstüchtigkeit und wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des bestehenden Systems mit den etablierten Eliten und den demokratischen Institutionen zunehmend aggressiv in Frage stellen. Sie verweisen auf das nach wie vor bestehende starke Wohlstandsgefälle zu Westeuropa und die bei der Konsolidierung der Haushalte entstandenen sozialen Härten. Eklatante Fälle von Amtsmissbrauch und Korruption beschleunigen den Vertrauensverlust in etablierte Parteien und in demokratische Institutionen. Im Zusammenspiel mit der schwachen gesellschaftlichen Verankerung bestehender Parteien erleichtert dies den raschen Aufstieg populistischer Bewegungen und Parteien.

Machtambitionen in Verbindung mit einer Missachtung demokratischer Prozesse durch populistische Regierungschefs höhlen die durch informelle Absprachen, Klientelpolitik und Korruption geschwächten rechtsstaatlichen Standards weiter aus und wirken zurück auf politische Beteiligungsrechte - in Ostmittel- und Südosteuropa wie in anderen Weltregionen. So mussten in 59 der 75 untersuchten Demokratien in den vergangenen acht Jahren zum Teil erhebliche Rückschritte bei demokratischen Standards wie faire Wahlen, Pressefreiheit, Rechtssicherheit oder der staatlichen Gewaltenteilung beobachtet werden. Dazu zählen in Europa etwa Albanien, Bulgarien, Rumänien oder Ungarn. Im oft auftretenden Fall einer Erosion von Gewaltenteilung durch eine starke Exekutive ist die Regierung weitaus eher in der Lage, die Unabhän- gigkeit von Wahlkommissionen zu beschneiden, die Regulierung und Durchführung von Wahlgängen in ihrem Sinne zu manipulieren, Organisations- und Versammlungsrechte einzuschränken oder Einfluss auf öffentliche und private Medien zu nehmen - das weltweite Sinken von Partizipationsmöglichkeiten belegt dies.

Silberstreif Zivilgesellschaft

Wenn die Zustimmung zu den etablierten demokratischen Institutionen und Prozessen vor dem Hintergrund von Machtkonzentration und ineffektiver Gewaltenteilung wie von Amtsmissbrauch und Korruption sinkt, so ist es immerhin ein hoffnungsvolles Zeichen, dass dies keine zivilgesellschaftliche Abkehr von politischer Beteiligung nach sich zieht, so verringert die Handlungsspielräume teilweise auch sein mögen. Im Gegenteil konstatiert der BTI 2014 eine Zunahme an Artikulationsfähigkeit bürgerschaftlicher Anliegen mittels Parteien und Interessen- gruppen. Daraus ist kein globaler Trend abzuleiten. Es geht letztlich um jeweils 23 Länder, in denen die Parteiensysteme ein wenig stabiler und sozial verwurzelter geworden sind und in denen die Interessengruppen unterschiedliche gesellschaftspolitische Anliegen transportieren und etwas kooperativer agieren. Trotzdem ist dies ein knappes Sechstel des BTI-Ländersamples, in dem die Vermittlung von der Straße in die Parlamente und Regierungen besser funktioniert. Insgesamt sind es 48 Länder, in denen Fortschritte bei der politischen und gesellschaft- lichen Integration festzustellen sind. Angesichts eklatanter Beschneidungen bürgerlicher und politischer Rechte "von oben" stellt die Fähigkeit der Zivilgesellschaft, mittels Parteien und Interessengruppen weiterhin ihre Anliegen hörbar zu machen, einen demokratischen Silberstreif dar.

Die Erschütterung traditioneller politischer Institutionen und ein neues Nachdenken über demokratische Prozesse geht damit einher. Wie kann überzeugend auf die „majoritären“ Tendenzen in der Politik reagiert werden, die ein „winner takes it all“ ohne Minderheitenschutz und Oppositionsrechte wie in Ungarn oder arabischen Ländern proklamieren? Was halten wir von Bürgerprotesten, die auf die Absetzung einer Regierung drängen, die zwar autoritäre Züge aufweist, aber durch demokratische Wahlen legitimiert ist? Sicher ist es ein positives Zeichen, wenn sich Widerstand „von unten“ gegen Misswirtschaft, Korruption und Willkür „von oben“ formiert, sei es in defekten Demokratien oder in zunehmend nervösen Autokratien. Schwierig aber wird es, wenn das Kind mit dem Bade ausgeschüttet wird, wenn Protest gegen korrupte, klientelistische und intransparente Verhältnisse mit einer Missachtung demokratischer Institutionen einhergeht.

Von daher brauchen wir einen neuen, einen besseren und konstruktiven Dialog mit Protestbewegungen. Wenn uns die turbulenten Ereignisse der letzten zwei Jahre eines gelehrt haben, dann, dass die traditionellen demokratischen Entscheidungsmechanismen alleine nicht mehr ausreichen, um eine sinnvolle Verständigung über die Ziele von Transformation und deren konkrete strategische Ausgestaltung zu erlangen.

Erneut legt der BTI nahe, nach Lateinamerika zu blicken, um Anregungen für eine effektive zivilgesellschaftliche Beteiligung an politischen Entscheidungsprozessen zu erhalten, die das Potential hat, auch Protest mit einzubinden. Wir verweisen hier nicht nur auf Uruguay, alleiniger Spitzenreiter in diesem Bereich, wo je nach Thema auch spezifische Foren, beispielsweise in den Bereichen Bildung und Sicherheit, geschaffen wurden, um möglichst alle relevanten zivilgesellschaftlichen Stimmen zu hören. Auch die Proteste in Brasilien und Chile trafen auf politische Entscheidungsträger, die sich entweder (im Falle der Regierung Rousseff) lernwillig zeigten, oder aber (im Falle der Regierung Piñera) abgewählt wurde. Gerade Chile zeigt uns, dass es eines neuen Gesellschaftsvertrags bedarf, in dem eine Wandlung vom Untertan zum Bürger vollzogen wird. Tatsächlich weist gerade Lateinamerika ein emanzipatorisches Moment auf, das viele Beobachter an die Studentenrevolten der späten 60er Jahre in Westeuropa und den USA erinnert. Insofern brauchen wir ein intensives Nachdenken über einen konstruktiven Dialog mit Protestbewegungen, damit Demokratie vertieft und nicht beschädigt wird. 

Die vollständige Studie finden Sie hier.