Studie im Auftrag der Hans Böckler Stiftung, 9.5.2022
Ein sofortiger und vollständiger Stopp russischer Erdgasimporte würde, in Kombination mit dem bereits beschlossenen Kohleembargo und dem anstehenden Ölembargo, wahrscheinlich zu einem Wirtschaftseinbruch führen, der vergleichbar mit dem BIP-Rückgang in der Finanzkrise 2009 oder der Corona-Krise 2020 ist. Im besten Fall könnte es „nur“ zu einer spürbaren Rezession in Deutschland kommen, aber im ungünstigsten Fall würde ein sofortiges Embargo eine Wirtschaftskrise verursachen, wie sie (West)Deutschland seit dem Zweiten Weltkrieg nicht erlebt hat. Darüber hinaus wären die sozialen Folgen mit hoher Wahrscheinlichkeit gravierender als in den vorherigen zwei Krisen. Dies hat zwei Gründe.
Zum Ersten wäre bei einem vollständigen Energieembargo mit einem Anstieg der Arbeitslosigkeit zu rechnen, der nicht einfach mit einer weiteren Ausweitung des Kurzarbeitergelds aufgefangen werden könnte. Große Teile der deutschen Industrie sind nach zwei Jahren Corona-Krise, globalen Lieferkettenproblemen und klimapolitischen Transformationsdruck geschwächt, so dass eine energiepolitische Schocktherapie dazu führen könnte, dass auch Unternehmen mit an sich tragfähigem Geschäftsmodell in die Insolvenz gehen oder ihre Produktion ins (nicht-europäische) Ausland verlegen würden. Allgemein haben Wirtschaftskrisen in der Vergangenheit immer wieder dauerhafte Schäden verursacht – dies ist der sogenannte Hysterese-Effekt von Rezessionen. Die schnelle Erholung der deutschen Wirtschaft nach der globalen Finanzkrise 2008/2009 ist also nicht die Regel und es spricht vieles dafür, dass eine energiebedingte Wirtschaftskrise weniger kurzlebig wäre als die Finanzkrise in Deutschland.
Zum Zweiten würde eine Wirtschaftskrise in den Jahren 2022 und 2023 vor dem Hintergrund hoher Inflationsraten stattfinden. Ein Gasembargo ist ein negativer Angebotsschock und könnte die derzeit hohen Preissteigerungsraten noch weiter in die Höhe treiben – zweistellige Inflationsraten wären sicherlich möglich. Doch Inflation trifft überwiegend die unteren und mittleren Einkommen, so dass soziale Spannungen verschärft werden. Darüber hinaus verengt ein sofortiges Gasembargo den bereits sehr engen Spielraum der Geldpolitik. Schließlich müsste auch die Fiskalpolitik vorsichtiger agieren als in der Corona-Krise, um die Inflation nicht weiter anzuheizen. Aus wirtschaftspolitischer Sicht sind negative Angebotsschocks immer eine komplexe Herausforderung, für die es keine wirklich befriedigende wirtschaftspolitische Lösung gibt. In diesem Sinne sind negative Angebotsschocks, die eine schwere Wirtschaftskrise verursachen, eine wirtschaftspolitische Katastrophe.
Die vollständige Studie finden Sie hier.