Studie der Körber-Stiftung, 27.4.2016
Die Beziehungen zwischen Russland und den meisten seiner europäischen Nachbarn stecken in einer tiefen Krise. Beim politischen Dialog zwischen der EU und Russland gibt es kaum Fortschritte. Die Wirtschaftssanktionen, die von beiden Seiten im Zuge des Konflikts um die Ukraine verhängt wurden, bestehen fort. Auf politischer Ebene herrscht ein tief greifender gegenseitiger Vertrauensverlust. Aber hegen inzwischen auch die Menschen in Russland und seinen europäischen Nachbarländern ein wachsendes Misstrauen gegeneinander?
Um eine Antwort darauf zu finden, hat die Körber-Stiftung zeitgleich eine repräsentative Umfrage in Russland und Deutschland zum Thema »Russland in Europa« durchführen lassen. Gefragt wurde u. a.: Gehört Russland alles in allem zu Europa? Von welchen historischen Ereignissen
des 20. Jahrhunderts werden die Beziehungen zwischen Russland und dem übrigen Europa heute am stärksten geprägt? Was ist der Hauptgrund für die Verschlechterung der Beziehungen zwischen Russland und der EU?
Die zentralen Ergebnisse:
In der Frage der Zugehörigkeit Russlands zu Europa sind die Bevölkerungen beider Länder tief gespalten. Jeweils die Hälfte der Deutschen und der Russen sehen Russland nicht mehr als Teil Europas. Besonders niedrig fällt in beiden Ländern die Zustimmung unter den 30- bis 44-Jährigen aus. Insgesamt ist vor allem in Russland die Zahl derjenigen, die eine Zugehörigkeit Russlands zu Europa ablehnen, seit 2008 stark gewachsen. Das zeigt ein Vergleich mit einer ähnlichen Umfrage des Instituts für Demoskopie Allensbach.Damals war nur ein gutes Drittel der Russen der Meinung, Russland gehöre nicht zu Europa.
Wenn es darum geht, mit welchem Land in Zukunft eine stärkere Zusammenarbeit gewünscht wird, nennen die Deutschen Russland an zweiter Stelle direkt nach Frankreich. In Russland belegt Deutschland sogar den ersten Platz, dicht gefolgt von China.
Die Mehrheit der Bevölkerung in Deutschland und Russland befürwortet eine Aufhebung der Sanktionen, die im Zuge des Ukraine-Konflikts von der EU und von Russland verhängt wurden. Mehr als die Hälfte der Deutschen hält aber dennoch die Politik der EU gegenüber Russland für angemessen. In Russland unterstützen über zwei Drittel der Befragten die Politik Russlands gegenüber der EU. In beiden Ländern wird die Auseinandersetzung um die Krim und die Ostukraine an erster Stelle genannt, wenn es um den Grund für die Verschlechterung der Beziehungen zwischen Russland und der EU geht.
Eine gemeinsame Wertebasis zwischen Russland und den übrigen Ländern Europas gibt es nur in Teilen. Mit Blick auf Streiks und Demonstrationen, Homosexualität oder die Rolle der Medien unterscheiden sich die Mehrheitsmeinungen in Russland und Deutschland erheblich.
Mit Blick auf die prägenden historischen Erfahrungen Russlands und Deutschlands zeichnet sich ein Paradigmenwechsel ab: Während für die meisten Russen das aktuelle Verhältnis zum übrigen Europa am stärksten vom Ende der Sowjetunion geprägt wird, stehen für die Deutschen die Wiedervereinigung und der Fall des Eisernen Vorhangs im Vordergrund. Der Zweite Weltkrieg folgt in beiden Ländern erst mit großem Abstand.
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