Memorandum-Bericht 2014 der Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik, mit Stellungnahmen u.a. zum geplanten Freihandelsabkommen TTIP, 28.4.2014
Freihandelsabkommen mit den USA soll Wachstum und Wettbewerb stärken
Ein wichtiger Baustein der auf Wettbewerb orientierten Wirtschaftspolitik ist das geplante Freihandelsabkommen mit den USA. Am 13. Februar 2013 kündigten EU-Kommissionspräsident Barroso, EU-Ratspräsident van Rompuy und US-Präsident Obama an, Verhandlungen über eine transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft aufzunehmen. Die Gespräche über eine Transatlantic Trade and Investment Partnership (TTIP) – was nichts anderes bedeutet als den Abschluss eines Freihandelsabkommens – begannen im Juli 2013 und sollen bereits Ende 2014 abgeschlossen werden. Mit dem Abschluss dieses Abkommens soll die Liberalisierung des Welthandels einen weiteren verhängnisvollen Schub bekommen. Die geplante Vereinbarung ist Ausdruck eines nach wie vor großen Vertrauens in die Lenkungskraft deregulierter Märkte, die zu einem effizienten Einsatz von Arbeit und Kapital führen soll.
Die Vorteile eines liberalisierten internationalen Handels wurden schon von den klassischen Ökonomen beschrieben: Er soll die Wohlfahrt der am Handel beteiligten Länder erhöhen. Der dahinter stehende Mechanismus ist einfach: Ungehinderter Handel führt demnach dazu, dass die Produkte in jenen Ländern hergestellt werden, die sie am kostengünstigsten produzieren können. Das können absolute (Adam Smith, 1776) oder auch komparative (David Ricardo, 1817) Kostenvorteile sein. Es käme zu Spezialisierungseffekten. Insgesamt würde sich somit der Wohlstand der spezialisierten und am Handel beteiligten Länder erhöhen. Diese Theorien hatten ihre Berechtigung unter frühkapitalistischen Bedingungen. Der heutige Welthandel ist jedoch geprägt durch den intraindustriellen Austausch, der von großen Konzernen organisiert wird. Statt zur Entwicklung komparativer Vorteile kommt es zur Konkurrenz von Unternehmen um Standortbedingungen, das bedeutet einen Wettlauf um niedrige Löhne, geringe Steuern, innovative Potenziale und eine leistungsfähige Infrastruktur.
Ursprünglich sollte unter der Ägide der Welthandelsorganisation (WTO) ein weltweiter Freihandel durchgesetzt werden. Dieser Prozess ist nach vielen Jahren und etlichen Verhandlungsrunden jedoch gescheitert. Seitdem werden immer mehr bilaterale Freihandelsabkommen geschlossen. Mit dem jetzt geplanten Abkommen zwischen der EU und den USA sollen die tarifären (Zölle) und nichttarifären Handelshindernisse (technische Normen und Standards, Importlizenzen, Verpackungs- und Kennzeichnungsvorschriften etc.) beseitigt werden. Zölle stellen schon heute keine große Hürde mehr dar. Die durchschnittlichen Zollsätze für industrielle Güter liegen bei 2,8 Prozent und sind für amerikanische und europäische Importe etwa gleich hoch. Viel entscheidender sind die nichttarifären Handelsbeschränkungen. Das zu erwartende Verfahren zur Überwindung dieser Handelshemmnisse zeigt ein internes Arbeitspapier der EU-Kommission am Beispiel der Regulierung im Automobilbereich. Hier ist eine weitgehende Angleichung bzw. Anerkennung von technischen Standards und Normen vorgesehen (EU-Commission, 2013). Unterschiedliche Regelungen z. B. hinsichtlich der Stoßstangenlänge oder der Farbe des Blinkers bzw. der CO2-Abgaswerte (die sich in den USA auf die Fläche des Autos beziehen, in Europa dagegen auf das Gewicht) führen bisher dazu, das einzelne Modelle nicht ohne bauliche Veränderungen auf beiden Märkten angeboten werden können (Wirtschaftskammer Österreich, 2013).
Eine gegenseitige Anerkennung der Normen bedeutet aber immer eine Absenkung der Standards nach unten, weil dann die niedrigeren Standards erlaubt sind. Im Ergebnis bedeutet dies niedrigere Standards bei Umwelt- und Verbraucherschutz, bei Arbeitnehmerrechten und bei staatlichen Regulierungen. Besonders pikant ist in diesem Fall, dass die USA von den acht Kernarbeitsnormen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) nur zwei unterzeichnet haben. Mit diesem Freihandelsabkommen drohen deshalb zentrale Rechte der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ausgehöhlt zu werden. Ob auf der anderen Seite die gestiegene Produktivität zu geringeren Herstellungskosten und zu niedrigeren Preisen und steigendem Absatz führen, ist offen. Im Ergebnis kann es auch nur zu höheren Profiten bei den exportorientierten Unternehmen kommen.
Ein zentrales Problem besteht zudem hinsichtlich des Verhandlungsprozesses. Unter den Verhandlungsbevollmächtigten ist völlige Geheimhaltung vereinbart. Die Texte sind nicht nur der Öffentlichkeit, sondern auch Parlamentarierinnen und Parlamentariern nicht bekannt. Ob und inwieweit die aufgeführten Probleme durch welche Regelungen gelöst werden sollen, kann daher nicht beurteilt werden. Der gesamte Prozess ist intransparent und widerspricht damit fundamentalen demokratischen Regelungen.
Ein weiteres Problem ist das Investitionsschutzabkommen, das im Rahmen des Freihandelsabkommens beschlossen werden soll. Solche Investitionsschutzregelungen sollten schon einmal international eingeführt werden, nämlich 1994 mit dem Multilateralen Abkommen über Investitionen (MAI). Dieses konnte durch massiven öffentlichen Widerstand 1998 verhindert werden. Jetzt kommen diese umfassenden Schutzregelungen für private internationale Investoren in den bilateralen Freihandelsabkommen zurück auf die politische Bühne. Bezeichnenderweise ist es immer die Kapitalseite, deren (Rendite-) Ansprüche geschützt werden sollen. Das Recht auf gute Arbeit zu einem angemessenen Lohn wird in keinem internationalen Abkommen geschützt. Investitionsschutzabkommen stammen eigentlich aus der Handelspraxis mit Ländern ohne funktionierendes Rechtssystem. Weil Investoren dann nicht vor regulären Gerichten rechtlich gegen Diskriminierungen vorgehen können, wurden in diesen Fällen spezielle Schiedsstellen geschaffen.
Bei funktionierenden Justizsystemen dagegen kommen solche Einrichtungen der Ausschaltung demokratischer Entscheidungsprozesse durch private Gerichte gleich. Als Konsequenz solcher Investitionsschutzabkommen ist es auch schon zu Klagen von Investoren gegenüber Staaten gekommen, wenn deren Renditeerwartungen und -ziele durch staatliche energie- und umweltpolitische Maßnahmen vereitelt wurden (z. B. „Energiewende“: Vattenfall gegen Bundesrepublik Deutschland). Die demokratische Rechtsstaatlichkeit und letztlich auch die Rechtssicherheit werden damit ausgehebelt. Die souveränen Rechte von Staaten werden missachtet.
Die von Befürworterinnen und Befürwortern des geplanten Freihandelsabkommens behaupteten makroökonomischen Wirkungen sind zudem höchst fraglich. Verschiedene Studien kommen zu unterschiedlichen Ergebnissen. Aber selbst die besonders optimistische Schätzung des ifo-Instituts geht für Deutschland von einer Steigerung der Erwerbstätigkeit um minimale 0,06 Prozent aus. Eine viel beachtete, von der EU-Kommission in Auftrag gegebene Studie des Center for Economic Policy Resarch (CEPR) erwartet in der EU und in den USA ein durch das Abkommen generiertes zusätzliches jährliches Wachstum von ebenfalls minimalen rund 0,04 Prozent. Das deckt sich mit der Einschätzung des IMK, dass nennenswerte kurzfristige gesamtwirtschaftliche Wachstumsimpulse durch das Abkommen nicht zu erwarten sind.
Wie viele marktradikale Politikansätze verspricht das Freihandelsabkommen insgesamt allenfalls vage Hoffnungen auf steigenden wirtschaftlichen Wohlstand. Dem stehen erhebliche Risiken und zu erwartende ökonomische Verlierer gegenüber. Verlierer drohen die Beschäftigten durch den Verlust von sozialen Rechten zu werden, Verbraucherinnen und Verbraucher durch den Wegfall von Schutzvorschriften, die Umwelt durch die Absenkung von Umweltstandards und der öffentliche Sektor durch neue Vergaberichtlinien, die keine sozialen Kriterien mehr zulassen. Die Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik lehnt das Freihandelsabkommen der EU mit den USA deshalb ab, da es grundsätzlich nicht um eine Verbesserung der Lebensbedingungen der Menschen, sondern vor allem um die Sicherung und Verbesserung privater Profite geht. An dieser Grundorientierung werden auch Veränderungen, die im Laufe der Verhandlungen möglicherweise noch vorgenommen werden, nichts ändern.
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