Rede von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier vor dem Europaparlament in Straßburg, 3.4.2017
Es ist mir eine Freude und Ehre, heute bei Ihnen zu sein – an diesem Ort der freien Rede und der offenen Debatte!
Aber meine Freude ist nicht ungetrübt. Es ist bitter, zum ersten Mal vor diesem Plenum zu sprechen, kurz nachdem ein Mitgliedsland seinen Austritt aus der Europäischen Union eingeleitet hat. Morgen werden Sie hier in diesem Parlament dazu Stellung nehmen. [...]
Europa war nie ein Spaziergang! Europa ist ein kompliziertes, ja, ein anstrengendes Projekt. Aber: Alle Mühe lohnt sich! Den Schlechtrednern dürfen und müssen wir entgegenhalten: Zusammenarbeit, wachsender Wohlstand und vor allem 70 Jahre Frieden – das ist das Versprechen Europas an seine Bürger. Aber nie in seiner Geschichte hat sich das Versprechen von selbst erfüllt. Es hat sich nur dann erfüllt, wenn nicht nationaler Kleingeist, sondern europäische Vernunft das Handeln der Akteure bestimmte. Das ist der Maßstab – und vor dem müssen wir, die wir heute Verantwortung tragen, bestehen!
Deshalb bin ich heute zu Ihnen gekommen. Ich möchte meine erste Rede, die ich als Bundespräsident außerhalb Deutschlands halte, nirgendwo anders halten als hier – in diesem Parlament. In Zeiten von wachsenden Fliehkräften und von lärmenden Untergangspropheten werde ich Partei ergreifen für Europa. Als Bürger bekenne ich, so wie viele Bürger in diesen Wochen neu bekennen: Ja, ich will Europa! Und als Bundespräsident kann ich sagen: Ja, die übergroße Mehrheit der Deutschen will Europa! Nicht den Rückweg in eine ungute Vergangenheit wollen wir, sondern den gemeinsamen Weg in eine bessere europäische Zukunft! [...]
Die Welt, in der wir leben, ist unsicherer und unübersichtlicher geworden. Vielen Menschen macht das Sorgen um die Zukunft; Angst, die Kontrolle zu verlieren. Sie werden empfänglich für die Lockrufe jener, die sagen: "Kommt zurück hinter die vertrauten Butzenscheiben der Nation! Grenzen zu, Schotten dicht – nur so gewinnen wir unsere Souveränität zurück!"
Aber es ist nicht nur naiv, es ist unverantwortlich, den Menschen vorzugaukeln, dass man Gefahren wie Terrorismus oder Klimawandel, die keine Grenzen kennen, mit Mauern und Schlagbäumen bannt. Es ist unverantwortlich, den Menschen vorzugaukeln, dass in einer Welt, die komplizierter wird, die Antworten einfacher werden. Es ist unverantwortlich zu sagen, in dieser Welt könne ein europäisches Land allein und ohne die EU seine Stimme hörbar machen oder seine wirtschaftlichen Interessen durchsetzen.
Im Gegenteil: Wenn wir Europa nicht zum vollwertigen Mitspieler auf der Weltbühne machen, dann werden wir alle einzeln zum Spielball anderer Mächte. Vermutlich hatte Michael Heseltine, ausgerechnet ein Brite, genau das vor Augen, als er kürzlich in einem Interview sagte, der Brexit sei "der größte britische Souveränitätsverlust", an den er sich erinnern könne. Und er könnte recht behalten.
"Take back control" – das ist ein starker Slogan, aber Nationalisten werden ihn nicht einlösen! Wenn überhaupt, können wir ihn gemeinsam wahr machen! [...]
Die vollständige Rede finden Sie hier.