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»Es geht in diesem Krieg nicht nur um die Ukraine, nicht nur um Europa, sondern um uns alle«

Rede von Bundesaußenministerin Annalena Baerbock vor den Vereinten Nationen, 1.3.2022

Vor ein paar Tagen kam in einer U-Bahn-Station in Kiew ein kleines Mädchen zur Welt. Ich habe gehört, es heißt Mia. Ihre Familie musste Schutz suchen – wie Millionen anderer Menschen überall in der Ukraine. Schutz vor Bomben und Raketen, vor Panzern und Granaten. Sie leben in Angst, sie leben in Schmerz. Sie sind gezwungen, sich von ihren Liebsten zu trennen. Weil Russland einen Angriffskrieg gegen die Ukraine begonnen hat.

Ich glaube, bei der heutigen Abstimmung geht es um Mia. Es geht um die Zukunft unserer Kinder. Es geht um eine Zukunft, die wir selbst bestimmen können. Ich stehe hier vor Ihnen als Außenministerin meines Landes, aber auch als Deutsche, die das unglaubliche Privileg hatte, in Europa in Frieden und Sicherheit aufzuwachsen. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, nach einem grausamen Krieg begonnen von Nazi‑Deutschland, wurden vor 76 Jahren die Vereinten Nationen gegründet, um Frieden und Sicherheit zu wahren. Sie wurden gegründet, so heißt es in der Charta, „um künftige Geschlechter vor der Geißel des Krieges zu bewahren.“ Damit ist meine Generation gemeint, aber auch die Generation Mias.

Russlands Krieg ist ein Angriffskrieg. Und seine Grundlage sind infame Lügen, die Außenminister Lawrow heute im UN-Menschenrechtsrat erneut wiederholt hat. Sie sagen, Sie handeln aus Selbstverteidigung. Aber die ganze Welt hat gesehen, wie Sie über Monate zur Vorbereitung dieses Angriffs Ihre Truppen zusammengezogen haben. Sie sagen, Russland handelt, um russischsprachige Menschen vor Aggression zu schützen. Aber heute sieht die ganze Welt, wie Sie die Häuser von russischsprachigen Ukrainerinnen und Ukrainern in Charkiw bombardieren. Sie sagen, Russland schickt Friedenstruppen. Aber Ihre Panzer bringen kein Wasser, Ihre Panzer bringen keine Babynahrung, Ihre Panzer bringen keinen Frieden. Ihre Panzer bringen Tod und Zerstörung. Und in Wahrheit missbrauchen Sie Ihre Macht als ständiges Mitglied des Sicherheitsrats. Herr Lawrow, Sie können sich selbst täuschen. Aber uns täuschen Sie nicht. Unsere Völker werden Sie nicht täuschen – und auch Ihr eigenes Volk werden Sie nicht täuschen.

Und deswegen bitte ich Sie alle eindringlich, vereint für den Frieden einzutreten und für die eingebrachte Resolution zu stimmen. Bischof Desmond Tutu sagte einst: „Wer sich in Situationen der Ungerechtigkeit neutral verhält, stellt sich auf die Seite des Unterdrückers.“ Heute müssen wir uns alle entscheiden. Zwischen Frieden und Aggression. Zwischen Gerechtigkeit und dem Willen des Stärksten. Zwischen Handeln und Wegsehen.

Wenn wir nach der Abstimmung nach Hause gehen, werden wir alle wieder mit unseren Kindern, unseren Partnerinnen, unseren Freunden, unseren Familien am Tisch sitzen. Und dann muss jeder einzelne von uns ihnen in die Augen sehen und ihnen sagen, wie wir uns entschieden haben.

Die vollständige Rede finden Sie hier.

 
 

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