Dokumente zum Zeitgeschehen

»Flüchtlinge: Mitmenschlichkeit und Solidarität sind nicht verhandelbar«

Überparteilicher Aufruf von Bundestagsabgeordneten für Rot-Rot-Grün, 1.4.2016

Menschenwürde und universelle Menschenrechte sind für uns nicht verhandelbar. Wir
verweigern uns allen populistischen Versuchen, Gruppen von Menschen in Deutschland oder
weltweit gegeneinander auszuspielen. Immer wieder werden der Umgang mit den in
Deutschland ankommenden Flüchtlingen sowie die Zerwürfnisse in der Europäischen Union
als grundlegend für die Wahlentscheidungen Vieler am 13. März in Sachsen-Anhalt, Baden-
Württemberg und Rheinland-Pfalz genannt. Aber ist dem wirklich so?

Wir alle müssen uns eingestehen, dass wir es zugelassen haben, dass die Diskussion in
Deutschland über die Aufnahme sowie die Integration von Geflüchteten auch zu einer
Sozialneiddebatte geworden ist. Überwiegend, auch zum Teil in unseren Parteien, wird die
Aufnahme und Integration von Flüchtlingen zugunsten sozialer Gerechtigkeit für deutsche
Staatsbürger*innen in Frage gestellt. Die Integration von Flüchtlingen steht aber gerade
nicht im Gegensatz zur sozialen Frage, die sich nicht erst seit gestern in diesem Land und in
Europa stellt. Die soziale Frage ist eine Frage der globalen Gerechtigkeit. Ein Solidarprojekt,
wie es SPD-Parteichef Sigmar Gabriel fordert, ist daher sicherlich überfällig. Jedoch wollen
wir kein Solidarprojekt, weil die AfD gewählt wurde, sondern weil alle hier lebenden
Menschen nicht erst mit der Wahl der AfD ein Recht auf soziale Gerechtigkeit und Teilhabe
haben. Ein solches Solidarprojekt kommt nicht von allein und muss mit einer klaren
gesellschaftspolitischen Haltung sowie Strategie gefüllt wird. Ein Solidarprojekt kostet Geld
und für uns stellt sich somit erneut die Frage nach einer solidarischen Umverteilung. Ein
Solidarprojekt umfasst eben auch die Frage von öffentlicher Daseinsvorsorge und
kommunaler Ausstattung im Interesse der Menschen. Nur wenn die notwendigen Mittel und
der politische Wille, d.h. die politischen Mehrheitsverhältnisse zur Verfügung stehen, ist ein
solches Projekt auch realistisch.

Wir wissen, dass die zurückliegenden Landtagswahlen trotz erhöhter Beteiligung kein
Rückenwind für links-grüne Koalitionen waren, im Gegenteil. Wir müssen zur Kenntnis
nehmen, dass das rot-rot-grüne Lager in den drei Ländern zusammen über 265.000
Parteistimmen verloren hat.
Klar ist, dass Rot-Rot-Grün auch eine Frage gesellschaftlicher
Wechselstimmung und nicht nur eine der Koalitionsaddition ist. Uns verbindet nach wie vor
Vieles. Die Verteilungsfrage ist dabei der Kern. Die Mehrheit in der Gesellschaft trägt die
Ideen und politischen Ansätze für soziale Gerechtigkeit, Umverteilung und Solidarität.
Gleichzeitig erkennen wir an, dass solidarische Antworten auf drängende soziale Fragen in
der Vergangenheit in der Politik nicht mehrheitsfähig durchsetzbar waren. Dennoch erscheint
es uns zu früh, von dieser über eine bloße Addition einer Idee hinausreichenden
strategischen und politischen Option jetzt abzurücken. Die Auseinandersetzungen in der
Flüchtlingsfrage haben gezeigt, dass es wichtig ist, Haltung zu bewahren. Mitmenschlichkeit
und Solidarität sind nicht verhandelbar.

Zu den Unterzeichnern gehören: Sönke Rix und Frank Schwabe (SPD), Stefan Liebich und Halina Wawzyniak (Linkspartei), Agnieszka Brugger und Sven-Christian Kindler (Grüne).

Den vollständigen Aufruf finden Sie hier.