Bericht von Amnesty International zur weltweiten Verbreitung von Folter, 13.5.2014
Elektroschocks. Schläge. Vergewaltigung. Erniedrigung. Scheinhinrichtungen. Verbrennungen. Schlafentzug. Wasserfolter. Viele Stunden in gekrümmten Positionen. Einsatz von Zangen, Drogen und Hunden.
Die Worte allein klingen bereits wie der Stoff, aus dem Alpträume gemacht sind. Doch für zahllose Männer, Frauen und Kinder in vielen Teilen der Welt gehören diese unvorstellbaren Schrecken zur täglichen Realität.
Folter ist abscheulich. Sie ist grausam und unmenschlich. Sie ist niemals gerechtfertigt. Sie ist falsch und kontraproduktiv. Und sie vergiftet das Rechtsstaatsprinzip, indem sie es durch Terror ersetzt. Niemand kann sich mehr in Sicherheit wiegen, wenn Regierungen dem Einsatz von Folter zustimmen.
Nach den Gräueltaten des Zweiten Weltkrieges haben Regierungen weltweit diese grundlegenden Wahrheiten anerkannt, als sie 1948 die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte verabschiedeten. Eine Erklärung, in der das Grundrecht auf ein Leben ohne Folter, ohne Grausamkeit, verankert ist – für jeden Menschen überall auf der Welt.
1966 wurde dieses Recht, das unserem menschlichen Miteinander zugrunde liegt, in einem rechtsverbindlichen internationalen Abkommen, dem Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte, durch ein ausdrückliches und umfassendes Verbot der Folter und anderer Formen der Misshandlung festgeschrieben.
Vor 30 Jahren, im Jahr 1984, wurde dieser Fortschritt durch die Antifolterkonvention der Vereinten Nationen weiter ausgebaut. Diese Konvention war bahnbrechend, denn sie bot konkrete Schritte, um das internationale Folterverbot durchzusetzen, indem sie rechtliche Regeln festlegte, die speziell dazu dienen, Folter zu verhindern, die TäterInnen zu bestrafen und Gerechtigkeit und Wiedergutmachung für die Opfer sicherzustellen.
Diese Maßnahmen sollen jedoch nicht nur Folter und andere Misshandlungen auf nationaler Ebene verhindern, sondern sie stellen auch sicher, dass niemand in andere Länder verschleppt werden darf, um dort gefoltert zu werden, und dass TäterInnen nicht anderswo einen sicheren Zufluchtsort finden.
Menschen, die andere gefoltert haben, werden heute über Landesgrenzen hinweg strafrechtlich verfolgt. Es gibt eine verlässliche internationale Rechtsgrundlage. 155 Länder sind Vertragsstaaten der UN-Konvention. Das ist tatsächlich ein bedeutender Fortschritt.
Dennoch kommen zahlreiche Regierungen ihrer Verantwortung nicht nach. Drei Jahrzehnte nach Verabschiedung der Konvention – und mehr als 65 Jahre nach Verabschiedung der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte – ist Folter nicht nur weiterhin existent, sie ist sogar auf dem Vormarsch. Das erschreckende Ausmaß, in dem Folter heute angewendet wird, zeigt die tiefe Kluft zwischen dem, was die Regierungen vor 30 Jahren verabredet haben, und dem, was sie heute tun.
In den vergangenen fünf Jahren hat Amnesty International über Fälle von Folter und anderen Formen der Misshandlung in 141 Ländern berichtet. In einigen Ländern wurde Folter routinemäßig und systematisch angewandt, in anderen wurden Einzel- und Ausnahmefälle dokumentiert – doch selbst ein einziger Fall von Folter und Misshandlung ist absolut inakzeptabel.
Folter ist ein beliebtes Mittel der Unterdrückung. Ihr Einsatz ist jedoch nicht auf autoritäre und diktatorische Regime beschränkt – wenngleich sie dort besonders weit verbreitet ist. Folter ist auch nicht nur der Geheimpolizei vorbehalten. Zwar nehmen viele Staaten das absolute Folterverbot ernst und haben bereits bedeutende Fortschritte im Kampf gegen Folter erzielt, dennoch sind auf allen Kontinenten Regierungen jeglicher politischer Couleur an diesem extremen Verfall der Menschlichkeit beteiligt. Sie wenden Folter an, um Informationen zu erpressen, um Geständnisse zu erzwingen, um abweichende Meinungen zum Verstummen zu bringen und als grausame Form der Bestrafung.
Eine neue weltweite Befragung im Auftrag von Amnesty International kommt zu dem besorgniserregenden Ergebnis, dass – 30 Jahre nach Verabschiedung der UN-Konvention – fast die Hälfte der Menschheit noch immer in Angst vor schrecklichen Misshandlungen lebt. Hier zeigt sich ein gewaltiges politisches Versagen – genährt von einer zerstörerischen Haltung, die schlicht leugnet, dass Folter existiert. Diejenigen, die Folter anordnen oder anwenden, müssen in der Regel keine Strafverfolgung fürchten. Folter bleibt in den meisten Fällen ungesühnt – es wird nicht ermittelt, und niemand wird vor Gericht gestellt. Viele der Regierungen, die sich der weltweiten Ächtung von Folter angeschlossen und diese entmenschlichende Praktik gesetzlich verboten haben, setzen Folter weiterhin ein oder erleichtern zumindest ihren Einsatz.
Anstatt durch eine Nulltoleranz-Politik gegenüber Folter das Rechtsstaatsprinzip zu achten, belügen Regierungen beharrlich ihr eigenes Volk und die ganze Welt. Anstatt sich um wirksame Maßnahmen zum Schutz ihrer Bevölkerung vor Folterern zu kümmern, schaffen sie Voraussetzungen dafür, dass Folter zunimmt. Dieses weit verbreitete und hinterhältige Vorgehen beweist, dass ein globales Folterverbot nicht ausreicht.
Unsere weltweite Befragung zeigt zudem, dass die überwältigende Mehrheit der Menschen eindeutige Vorschriften gegen Folter verlangt. Solche Vorschriften und andere Schutzmaßnahmen könnten Folter verhindern und schließlich ganz abschaffen. Die herrschende Doppelmoral hinsichtlich Folter muss entschieden bekämpft werden. Die Straflosigkeit muss beendet werden.
Seit mehr als 50 Jahren setzt sich Amnesty International dafür ein, eines der heimtückischsten Vergehen auszumerzen, das ein Mensch einem anderen antun kann. Vor 30 Jahren hat unsere Bewegung die Kampagne für ein absolutes Folterverbot angeführt, die zur Verabschiedung der UN-Antifolterkonvention geführt hat. Jetzt rufen wir eine weltweite Stop-Folter-Kampagne ins Leben, um die damaligen Versprechen in die Tat umzusetzen. Die jüngste Kampagne in unserem langjährigen Kampf hat zum Ziel, Folter endgültig zu beenden. Wir können das schaffen, wenn sich jeder einzelne – vom Menschen auf der Straße bis zum Staatsoberhaupt – zwischen den Folterer und sein Opfer stellt.
Amnesty International wird sich weltweit dafür einsetzen, Folter abzuschaffen. Wir werden Regierungen ansprechen, wir werden demonstrieren und die Brutalität dieser widerlichen Misshandlung aufdecken. Wir werden uns an die Seite derjenigen stellen, die sich mutig für den Schutz vor Folter einsetzen. Wir werden gemeinsam eingreifen, wann immer Menschen gefoltert werden. Wir werden Folterer zur Rechenschaft ziehen. Wir werden Folteropfer wissen lassen, dass sie nicht allein und vergessen sind.
Der Kampf gegen Folter ist Teil unserer Geschichte, er ist unser Auftrag, und er wird uns so lange begleiten, bis die letzte Folterkammer geschlossen ist.
Den vollständigen Bericht finden Sie hier.