MEMORANDUM 2013 der Arbeitsgruppe alternative Wirtschaftspolitik, 29.4.2013
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4. Alternative Wirtschaftspolitik
Das bisher forcierte Wachstumsmodell, das auf eine Umverteilung von unten nach oben und auf steigende Exportüberschüsse setzt, wird scheitern. Die sozialen und ökologischen Anforderungen an eine tragfähige Wirtschaftspolitik steigen. Die Forderungen der Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik orientieren sich seit Jahren an der Bekämpfung der anhaltenden Massenarbeitslosigkeit und Armut, der Bändigung der Finanzmärkte und einem ausreichend finanzierten öffentlichen Sektor, um so den sozial-ökologischen Umbau der Gesellschaft zu einem gesamtgesellschaftlichen Projekt werden zu lassen. Dies soll durch ein Steuerkonzept finanziert werden, das am Prinzip der Leistungsfähigkeit anknüpft und damit den Gerechtigkeitsgedanken betont.
Inzwischen sind Forderungen zur Bekämpfung der Krise hinzugekommen; auf keinen Fall darf das Modell Deutschland als Blaupause zur Durchsetzung von Umverteilungsprozessen in die einzelnen Mitgliedsländer der EU exportiert werden. Denn dies würde einen Unterbietungswettbewerb bei Löhnen und Sozialleistungen in Gang setzen, dessen Kosten letztlich allein die Beschäftigten tragen würden. Zudem werden wirksame Regulierungen zur Eindämmung der Finanz- und Eurokrise ebenso gefordert wie die Demokratisierung der Wirtschaft. Es geht darum, einen möglichen sozial-ökologischen Entwicklungspfad aufzuzeigen, der langfristig deutliche Vorteile gegenüber dem neoliberal organisierten, finanzmarktgetriebenen Bereicherungskapitalismus hat.
4.1 Europa stärken
Die vorherrschende europäische Politik ist im Resultat nichts anderes als Krisenpolitik. Deshalb ist eine tiefere, demokratisch legitimierte europäische Integration vor allem in den Staaten der Währungsunion nötig. Dazu müssen in Zukunft die Wirtschafts-, Fiskal-, Steuer-, Sozial- und Arbeitsmarktpolitiken der Euro-Mitgliedsländer enger abgestimmt werden, zudem muss der heute vorherrschende Wettbewerb beim Steuer-, Sozial- und Lohndumping unterbunden werden. Europa hat in einzigartiger Weise gezeigt, dass Frieden durch Kooperation gesichert werden kann. Dies darf jetzt nicht leichtfertig aus nationalstaatlichen Egoismen heraus aufs Spiel gesetzt werden. Dazu gehört ein entschlossenes Handeln.
Zunächst müssen kurzfristig stabilisierende Maßnahmen ergriffen werden, die die langfristige Entwicklungsperspektive einer sozial-ökologisch ausgerichteten Wirtschaftspolitik in Europa nicht konterkarieren. Der Europäischen Zentralbank (EZB) müssen Möglichkeiten einer pragmatischen Geldpolitik eingeräumt werden. Die Euro-Krise hat die Abhängigkeit der Staatsfinanzierung vom Wohlwollen der Kapitalmärkte schonungslos offengelegt. Diese Abhängigkeit, die den gesamten Währungsraum zum Auseinanderbrechen bringen kann, ist zu beenden. Die Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik schlägt die Gründung einer Europäischen Bank für öffentliche Anleihen vor, die zu ihrer Refinanzierung Zentralbankkredite aufnehmen kann. Dies soll durch die Vergemeinschaftung der Kreditaufnahme der Euro-Staaten an den Kapitalmärkten ergänzt werden (Euro-Anleihen) und wäre ein großer, konsequenter Integrationsschritt in der Europäischen Währungsunion. Damit würden die Erfordernisse der europäischen Politik höher bewertet als kurzfristige nationalstaatliche Interessen.
Die Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik fordert zudem ein sofortiges Ende der krisenverschärfenden Austeritätspolitik, die die Umverteilung von unten nach oben auch in Krisenzeiten verstärkt. Sie plädiert für die Abschaffung der Schuldenbremsen und für eine europäische Vermögensabgabe. Die den Krisenländern vorgeschriebenen umfangreichen Privatisierungen hält die Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik für einen massiven Fehler. In Griechenland muss derzeit fast das gesamte Staatsvermögen privatisiert werden. Dies engt nicht nur künftigen staatlichen Gestaltungsspielraum ein, sondern bringt gegenwärtig nur Erlöse weit unter dem ökonomischen Wert. Das ist eine Verschleuderung öffentlicher Güter. Privatisierungen sind grundsätzlich zu hinterfragen, da hier – wie etwa zuletzt bei der Trinkwasserversorgung diskutiert – ganze Bereiche der existenziellen Daseinsvorsorge unkontrollierten Marktprozessen ausgeliefert werden.
Bei allen Einzelmaßnahmen zur kurzfristigen Stabilisierung innerhalb der EU und der Eurozone darf nicht aus dem Auge verloren werden, dass die makroökonomischen Ursachen der Krise ebenso wie die grundlegenden institutionellen Defizite beseitigt werden müssen. Längst schon sind die Eurozone und die EU eine Transferunion. Das politische Bekenntnis dazu fehlt aber noch. In der Folge setzt die Politik eher auf Ad-hoc-Transfers als auf klare Regeln. Dies verursacht erhebliche Transaktionskosten, die teilweise auf chaotische Koordinationsprozesse zurückgehen.
Eine Kernursache für die Krise in der Eurozone sind die seit der Einführung des Euro stetig gewachsenen Leistungsbilanzungleichgewichte. Dies betrifft sowohl die Überschüsse Deutschlands als auch die Defizite der heutigen Krisenländer. Die Verwerfungen haben das Potenzial, die gesamte Eurozone zu sprengen. Auf der einen Seite stehen die Leistungsbilanzdefizite der Defizitländer. Sie sind das Ergebnis gesamtwirtschaftlicher Prozesse und können nicht einfach auf dem Verordnungsweg abgeschafft werden. Das Gleiche gilt auf der anderen Seite für den deutschen Leistungsbilanzüberschuss. Dennoch können die Staaten Einfluss auf den Außenhandel nehmen. Eine Ausgleichsunion sollte unter Androhung von Sanktionen die Staaten der Eurozone zu ausgeglichenen Leistungsbilanzen zwingen. Deutschland hätte hierzu seine Importe zu erhöhen, insbesondere durch eine gesteigerte Binnennachfrage infolge höherer Löhne. Für die krisengeschüttelten Länder mit Leistungsbilanzdefizit bedeutet dies, dass nicht nur die Exporte gesteigert, sondern auch die Importe verringert werden.
Hierbei darf nicht ausschließlich auf die marktwirtschaftlich orientierte Produktionswirtschaft gesetzt werden. Die Zukunft liegt gerade auch für die Krisenländer in einer sozial-ökologisch orientierten Entwicklung. Dies erfordert einen Ausbau des Dienstleistungssektors ebenso wie eine drastische Steigerung der Forschungs-und Entwicklungsausgaben auf staatlicher und regionaler Ebene, einen Ausbau der Hochschulen, eine radikale Verbesserung der Berufsausbildung usw. Die Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik fordert daher die Auflage eines großvolumigen Marshallplans für die Krisenländer. Damit können Investitionen in den ökologischen Umbau der Energiesysteme, in neue Industrien, Dienstleistungen und Verkehrsinfrastrukturen sowie in effizientere Verwaltungen finanziert werden.
4.2 Finanzmärkte wirksam regulieren
Die Eurozone wird ohne massive Regulierung der Finanzmärkte krisenanfällig bleiben. Längst reichen die einfache Erhöhung der Eigenkapitaldecke und die Nachbesserung der Regulierung nicht mehr aus, um hier die Wildwüchse der letzten Jahrzehnte zu beenden. Vielmehr fordert die Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik, dass der Finanzsektor auf seine Grundfunktionen zurückgeführt wird. Stützpfeiler einer neuen Finanzmarktarchitektur können nicht länger nationale Regulierungsinitiativen sein. Notwendig ist vielmehr eine Regelung im europäischen Kontext. So muss ein europäischer Finanz-TÜV geschaffen werden. Dazu gehört der Mut, schädliche spekulative Finanzprodukte gar nicht erst zuzulassen. Bei „Finanzinnovationen“ muss vor ihrer Einführung nachgewiesen werden, dass sie der Realwirtschaft nützen. Damit würde der Geschäftsbereich „Investmentbanking“ massiv beschnitten. Zwingend erforderlich ist eine Regulierung von Schattenbanken wie beispielsweise Hedge-Fonds. Finanz- und Bankgeschäfte aller Art gehören unter eine strenge Aufsicht. Hier darf auf keinen Fall auf eine Selbstkontrolle der Akteure vertraut werden. Inzwischen wurde diese Forderung im Kern auch von der Politik übernommen. Zudem ist die Macht der Ratingagenturen zu beseitigen. Zum einen sollte das weltweite Oligopol dieser in Interessenkonflikten zwischen Beratung und Bewertung agierenden Agenturen durch die Gründung einer unabhängigen öffentlich-rechtlichen Ratingagentur in Europa aufgebrochen werden. Zum anderen – und das ist noch wichtiger – sollte jeder Bezug zu den privat organisierten Ratings in Gesetzen, Verordnungen und Regelwerken (wie dies z. B. bei den Vorschriften für sichere Anlagen in der Versicherungsbranche der Fall ist) gestrichen oder in eine unverbindliche Empfehlung umgewandelt werden. Damit wären die Ratings tatsächlich nur noch Meinungsäußerungen, wie von dieser Branche behauptet. Zur Entmachtung der Ratingagenturen könnte auch eine Verschärfung des Haftungsrechts bei Fehldiagnosen dienen. Absurde Entwicklungen wie der Hochfrequenzhandel müssen eingeschränkt werden. Nicht zuletzt wird die Einführung der Finanztransaktionssteuer das Handelsvolumen auf den Finanzmärkten deutlich verringern.
4.3 Massenarbeitslosigkeit und Armut bekämpfen
Die Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik setzt sich seit langem für die Bekämpfung der anhaltenden Massenarbeitslosigkeit ein; diese ist längst nicht nur ein deutsches Phänomen. In Europa verfestigt sich das Problem der Unterbeschäftigung zusehends. Zur Bewältigung kann nicht mehr allein auf Einzelmaßnahmen wie etwa die Beschränkung der Einsatzdauer von Leiharbeitenden und die Gleichbehandlung und Gleichbezahlung der Leiharbeitskräfte im Betrieb gesetzt werden. Vielmehr ist eine gesamtgesellschaftliche Auseinandersetzung mit atypischen Beschäftigungsverhältnissen notwendig. Inzwischen stellen derartige Beschäftigungsverhältnisse bei Neuarbeitsverträgen schon eine gewisse Normalität dar.
Auch wenn die Beschäftigung in Deutschland in den letzten Jahren gestiegen ist, so ist die Armut nicht rückläufig. Dies ist ein Paradoxon, das die anhaltende Umverteilung von unten nach oben belegt. Die Neuordnung des Arbeitsmarktes muss in Zusammenhang mit veränderten Arbeitszeitregimes angelegt werden. Die Einführung eines allgemeinen gesetzlichen Mindestlohns von zunächst zehn Euro pro Stunde ist notwendig, um der zunehmenden Verarmung der arbeitenden Bevölkerung Einhalt zu gebieten. Die niedrigen Löhne und die prekäre Beschäftigung von heute legen die Basis für die Altersarmut von morgen. Auch für die materielle Absicherung von Arbeitslosigkeit müssen neue Regelungen gefunden werden. Dazu ist der Hartz-IV-Satz sofort auf zunächst 500 Euro zu erhöhen. Eine solche Summe ergibt sich für die Existenzsicherung unter Berücksichtigung der Armutsdefinition der EU. Eine Anhebung des Regelsatzes wird von der Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik seit langem gefordert und wurde bereits im MEMORANDUM 2005 ausführlich begründet.
In der neoliberalen Entwicklungslogik ist der Rückbau des demokratischen und sozialen Staates ein erstrebenswertes Ziel. Dazu gehört auch und vor allem ein Abbau der öffentlichen Beschäftigung. Dieser Trend muss gestoppt und umgekehrt werden. Der reguläre öffentliche Dienst hat sich wieder an der Sicherstellung einer guten öffentlichen Daseinsvorsorge statt an einem Kürzungsdiktat zu orientieren.
Außerdem kämpft Deutschland immer noch mit einer hohen Langzeiterwerbslosigkeit. Ende 2012 gab es über eine Million Menschen, die länger als ein Jahr arbeitslos waren. Ihre Zahl hat gegenüber dem Vorjahr um lediglich 12.000 oder ein Prozent abgenommen. Zehn Jahre nach der Ankündigung der Agenda 2010 muss festgestellt werden: Es ist kaum gelungen, Langzeiterwerbslose nachhaltig in den ersten Arbeitsmarkt zu integrieren. Die Politik der derzeitigen Regierung verschärft diese Entwicklung – zuletzt durch die Kürzungen in der Arbeitsmarkt- und Beschäftigungsförderung sowie durch die so genannte Reform der arbeitsmarktpolitischen Instrumente. Etliche Angebote für Eingliederungs- und Qualifizierungsmaßnahmen wurden gestrichen und sind gegenwärtig weder quantitativ noch qualitativ ausreichend. Die Chancen von Langzeiterwerbslosen, einen existenzsichernden Arbeitsplatz zu besetzen, werden immer geringer.
Um diese Entwicklung zu stoppen, ist wieder ein Paradigmenwechsel in der Arbeitsmarkt- und Beschäftigungspolitik nötig. Die Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik hat bereits im MEMORANDUM 1994 einen öffentlich geförderten Arbeitsmarkt gefordert und diese Forderung in den Folgejahren weiter konkretisiert. Noch im Jahr 2013 sollen durch öffentlich geförderte Beschäftigung zunächst wieder 300.000 zusätzliche Arbeitsplätze entstehen, die Langzeiterwerbslosen eine persönliche und berufliche Perspektive eröffnen. Gleichzeitig kann damit die Zivilgesellschaft gestärkt und gesellschaftlich sinnvolle Arbeit organisiert werden – z. B. bei Stadtteilzentren, Vereinen, Initiativen und Netzwerken sozialer, kultureller und partizipativer Projekte.
Ein solcher sozialer Arbeitsmarkt braucht erstens wieder eine dauerhafte bundesweite Finanzierung. Hierzu müssen Mittel, die bisher zur Finanzierung von Erwerbslosigkeit genutzt werden (Arbeitslosengeld II, die Kosten der Unterkunft sowie die entsprechenden Sozialversicherungsbeiträge), gebündelt und in Mittel für aktive Arbeitsmarktmaßnahmen umgewandelt werden können. Diese derzeit bundesweit durchschnittlich ca. 800 Euro pro Monat müssen mit weiteren Mitteln der Bundesagentur für Arbeit (BA) auf einen Zuschuss in Höhe von 1.200 Euro pro Monat und Beschäftigten aufgestockt werden. Damit ist wieder eine bundesweite Grundfinanzierung gegeben. Um existenzsichernde, sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze zu schaffen, sind weitere Mittel von Ländern und Kommunen notwendig, die von den neuen Arbeitsplätzen profitieren.
Zweitens muss die Wiederbelebung eines sozialen Arbeitsmarktes gut organisiert werden. Hierzu werden regionale Beiräte für öffentlich geförderte Beschäftigung gebildet, in denen auch die zuständigen Gewerkschaften, Erwerbsloseninitiativen sowie Verbände und Kammern der Unternehmen mitwirken. Die Beiräte legen die konkreten Einsatzfelder gemäß den regionalen Gegebenheiten fest. Eine Konkurrenz zur Privatwirtschaft und ein Abbau von regulären Arbeitsplätzen im öffentlichen Dienst sind auszuschließen.
Die Entlohnung in der öffentlich geförderten Beschäftigung muss drittens auf tariflicher Basis erfolgen und darf einen Stundenlohn von zehn Euro und ein Arbeitnehmer-Bruttogehalt von monatlich mindestens 1.522 Euro (entspricht einer 35-Stunden-Woche bei zehn Euro Stundenlohn) nicht unterschreiten. Die Bewilligung der Beschäftigungsverhältnisse erfolgt zeitlich begrenzt auf drei bis fünf Jahre und soll bei Personen ab dem 60. Lebensjahr den nahtlosen Übergang in die Rente sichern. Die Beschäftigung im sozialen Arbeitsmarkt beruht auf dem Prinzip der Freiwilligkeit.
4.4 In der Finanz- und Steuerpolitik umdenken
Die Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik fordert ein umfassendes öffentliches Investitions-, Beschäftigungs- und Umbauprogramm für die nächsten zehn Jahre. Schwerpunktinvestitionen sind: das Bildungssystem, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, eine Konsolidierung der Energiewende zur Stärkung alternativer Energiequellen, der Städtebau, das öffentliche Verkehrsnetz, die soziale Infrastruktur usw. Diese Ausgabenpolitik würde dafür sorgen, dass die Staatsausgaben stärker wachsen als die Gesamtwirtschaft. Infrastrukturinvestitionen zugunsten ökologisch besserer Lebens- und Produktionsverhältnisse für künftige Generationen zahlen sich aber bereits heute aus. Außerdem werden die wirtschaftliche Entwicklung und die Lebensqualität nachhaltig gesteigert.
Diese Investitionen sollen gesellschaftliche Bedarfe decken. In der aktuellen Situation erfüllen sie außerdem eine konjunkturpolitische Funktion. Die Binnennachfrage wird gestärkt und damit eine Abkehr von der starken Exportorientierung vorangetrieben. Das stabilisiert die wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland und in Europa. Gleichzeitig sind der Ausbau sinnvoller öffentlicher Dienstleistungen, aber auch öffentlicher Verkehrssysteme, regenerativer Energien und von Investitionen in die nachhaltigere Nutzung der Energie für einen sozial-ökologisch ausgerichteten Entwicklungspfad dringend notwendig. Im MEMORANDUM 2012 hat die Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik bereits ausgeführt, dass Deutschland bei sozialen Dienstleistungen im Vergleich nicht nur zu den skandinavischen Ländern, sondern auch zu den mitteleuropäischen und angelsächsischen Ländern im Rückstand ist.
Seit Jahren fordert die Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik eine Besteuerung großer Vermögen. Bereits im MEMORANDUM 2012 wurden die Grundsätze einer solchen Besteuerung dargestellt. Sie besteht aus drei wesentlichen Elementen:
- Einführung einer dauerhaften Vermögensteuer mit einem Steuersatz von einem Prozent. Selbst genutztes Wohneigentum wird nicht besteuert, der zusätzliche Freibetrag beträgt 300.000 Euro für Paare und 100.000 Euro je Kind. Die Vermögensteuer fließt den Bundesländern zu. Damit lassen sich zusätzliche Ausgaben, etwa für die Bildung, dauerhaft finanzieren.
- Hinzu kommen muss eine einmalige Vermögensabgabe. Sie trägt der Tatsache Rechnung, dass auch aufgrund der in den letzten zwanzig Jahren fehlenden Besteuerung großer Vermögen die Ungleichheit bei der Vermögensverteilung immer weiter zugenommen hat. Die Vermögensabgabe dient vor allem dem Abbau der Staatsverschuldung. Damit werden große Vermögen, die vorher zum Teil auf den internationalen Finanzmärkten angelegt wurden, wieder in den wirtschaftlichen Kreislauf zurückgeführt. Der Steuersatz beträgt auf zehn Jahre verteilt jeweils zwei Prozent der Bemessungsgrundlage. Die Abgabe ist von privaten Personen sowie von Betrieben auf der Basis des Betriebsvermögens zu erbringen. Vorgesehen sind ein persönlicher Freibetrag von einer Million Euro, ein Kinderfreibetrag über 250.000 Euro und ein Freibetrag auf das Betriebsvermögen von zwei Millionen Euro. Die hier vorgeschlagene Vermögensabgabe erbringt insgesamt ein Volumen von mindestens 300 Milliarden Euro. Die Erhebung der Vermögensabgabe erfolgt zum Stichtag 1.1.2011. Damit werden nachfolgende Ausweichreaktionen ausgeschlossen. Die Erhebungs- und Bürokratiekosten halten sich mit deutlich unter fünf Prozent des Aufkommens in Grenzen. Das Aufkommen soll in einen Fonds fließen, aus dem ein Teil der öffentlichen Schulden des Bundes, der Länder sowie der Kommunen nach einem Schlüssel – der etwa der Verteilung bei der Einkommensteuer (42,5/42,5/ 15 Prozent) entspricht – getilgt werden kann.
- Zur gerechten Besteuerung großer Vermögen ist eine Reform der Erbschafts- und Schenkungssteuer erforderlich. Die von der jetzigen Bundesregierung durchgesetzten Änderungen sind wieder rückgängig zu machen. Der Spitzensteuersatz soll erhöht werden; die Freibeträge sind zu kürzen.
- Darüber hinaus fordert die Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik für ein gerechtes und aufkommensstarkes Steuersystem folgende Maßnahmen (die im MEMORANDUM 2012 bereits genauer beschrieben wurden):
- Der Spitzensteuersatz bei der Einkommensteuer wird auf 53 Prozent erhöht, und die Spitzenbesteuerung beginnt ab einem zu versteuernden Einkommen von 67.000/134.000 Euro (alleinstehend/verheiratet).
- Der Eingangssteuersatz setzt mit 14 Prozent bei 8.500/17.000 Euro (alleinstehend/verheiratet) ein. Vom Eingangssteuersatz bis zum Spitzensteuersatz steigt die Steuerbelastung linear an. • Die derzeit geltende Abgeltungssteuer auf Kapitaleinkünfte mit 25 Prozent wird abgeschafft; Kapitaleinkünfte unterliegen der Besteuerung mit dem individuellen Einkommensteuersatz.
- Das immer noch geltende Ehegattensplitting, das Alleinverdienerinnen bzw. Alleinverdiener innerhalb der Familie im Bereich des Spitzensteuersatzes bevorteilt, ist nach einer Einrichtung von Übergangsregeln abzuschaffen.
- Der Körperschaftsteuersatz für die Kapitalgesellschaften wird von derzeit 15 auf 30 Prozent erhöht.
- Die derzeitige Gewerbesteuer sollte als wichtigste autonome Einnahmequelle der Kommunen in eine aufkommensstarke und stabile Gemeindewirtschaftsteuer umgebaut werden.
- Die Besteuerung aller Finanztransaktionen muss endlich realisiert werden. Der Entwurf der EU-Kommission sieht einen Steuersatz von nur 0,2 Prozent auf Anteile und Anleihen sowie von 0,02 Prozent auf Derivatkontrakte vor (wobei Verkäufer und Käufer jeweils die Hälfte der Steuersätze tragen).
- Steuerschlupflöcher und Steueroasen müssen geschlossen werden.
- Bei der Mehrwertsteuer sollen existenzwichtige Güter und Dienstleistungen (etwa Arztleistungen) nicht mehr oder lediglich mit sieben Prozent besteuert werden – statt mit dem Normalsteuersatz von 19 Prozent wie bisher.
Den vollständigen Bericht finden Sie hier.