Dokumente zum Zeitgeschehen

»Haben sich West und Ostdeutschland in punkto Gleichstellung einander angenähert?«

Studie des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts der Hans-Böckler-Stiftung, September 2020

Mit der deutschdeutschen Teilung nach Ende des Krieges, entwickelten sich in der DDR und der BRD zwei sehr unterschiedliche politische Systeme. Damit einher gingen auch divergierende kulturelle Wertevorstellungen, die sich insbesondere in der Rolle der Frau auf dem Arbeitsmarkt bemerkbar machten.

Die DDR hatte mit einer geringen Wirtschaftskraft und Produktivität zu kämpfen. Daher wurde mit gezielten Maßnahmen, wie z. B. der Kappung von sozialer Unterstützung, versucht (unverheiratete) Frauen in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Zeitgleich wurde das Bild der traditionellen Hausfrau gesellschaftlich entwertet, so, dass Familien, in denen nur der Mann arbeitete, mit ökonomischen und sozialen Konsequenzen zu leben hatten (Trappe u. a. 2015; Trappe 1996). Im Gegenzug wurden Leitbilder wie das der berufstätigen Mutter, die auf staatliche Kinderbetreuung zurückgreift, oder das einer eigenständigen Existenzsicherung durch Erwerbsarbeit (auch für Frauen) gesellschaftlich befördert (Klenner 2009).

Doch trotz der steigenden Erwartungen, am Erwerbsleben teilzunehmen, war auch in der DDR maßgeblich die Frau für Sorge und Hausarbeit zuständig. Da diese Doppelbelastung Frauen daran hinderte, sich stärker am Arbeitsmarkt zu beteiligen, begann der Staat ab Ende der 1960er Jahre die Frauenerwerbstätigkeit mit Maßnahmen zur besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf weiter zu fördern. Diese politischen Instrumente umfassten neben der (fast) kostenfreien institutionellen Kinderbetreuung auch bezahlten Mutterschaftsurlaub sowie die Garantie, danach zur alten Beschäftigung zurückzukehren. Zudem wurde Müttern mit kleinen Kindern die Möglichkeit geboten, in Teilzeit zu arbeiten. Darüber hinaus wurde die Arbeitszeit für Mütter, die im Schichtdienst arbeiteten und mindestens zwei Kinder hatten, von 43 auf 40 Stunden bei vollem Lohn zu reduzieren (Hašková/Klenner 2010; Trappe u. a. 2015; Trappe 1996). Somit dienten die Maßnahmen zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf in der DDR vor allem dem Ziel, das Erwerbspotential von Frauen so gut wie möglich auszuschöpfen.

Gegensätzlich dazu entwickelte sich die Rolle der Frau in der BRD: Zwar waren nach Ende des Zweiten Weltkriegs viele Frauen erwerbstätig, doch aufgrund der schlechten ökonomischen Lage sank Ende der 1940er Jahre die Nachfrage nach (weiblicher) Arbeit. Zudem förderten politische Maßnahmen wie Steuerfreibeträge und die Einführung des Kindergeldes ein traditionelles Familienbild, welches implizierte, dass sich Frauen weitestgehend auf die Haus- und Sorgearbeit konzentrieren sollten, während Männer in Vollzeit erwerbstätig waren. Dieses Ideal wurde durch ökonomische Vorteile wie dem Ehegattensplitting oder der Mitversicherung von Familienmitgliedern in der gesetzlichen Krankenversicherung politisch unterstützt (Trappe u. a. 2015).

Spätestens mit der Reformierung des Paragrafen 1356 des BGB im Jahr 1977, durch den es Frauen nun auch gesetzlich erlaubt war, ohne Zustimmung ihres Ehemanns zu arbeiten, stieg die Erwerbstätigkeit von Frauen in der BRD kontinuierlich an. Ende der 1970er Jahre waren Frauen dennoch größtenteils in Teilzeit beschäftigt, sodass sich am ökonomischen und sozialen innerpartnerschaftlichen Ungleichgewicht wenig änderte. Auch die Einführung des sogenannten Elternurlaubs diente dem Zweck, dem zunehmenden Wunsch von Frauen nach Erwerbstätigkeit bei gleichbleibend geringem Angebot an institutioneller Kinderbetreuung einzudämmen (Trappe u. a. 2015; Wippermann u. a. 2015). Somit wurde „unter der moralischen und funktionalen Prämisse ‚Die Mutter ist unersetzlich‘ [...] ein Frauenbild als normatives Leitbild entworfen, das Frauen (nicht Männern) hauptsächlich die natürliche Kompetenz für Versorgungs und Erziehungsaufgaben zuschrieb: Erst wenn darüber hinaus Raum blieb, hatten Frauen die moralische Legitimation auch für eigene Erwerbsarbeit“ (Wippermann u. a. 2015, S. 32).

Vor dem Hintergrund dieser divergierenden Ideale stellt sich die Frage, wie sich die Gleichstellung auf den Arbeitsmärkten und das Geschlechterverhältnis in West und Ostdeutschland bezüglich der Übernahme von Erwerbs- und Sorgearbeit in den letzten 30 Jahren verändert hat. Haben sich West und Ostdeutschland in punkto Gleichstellung einander angenähert – oder bestehen auch heute noch grundlegende Unterschiede? Zur Beantwortung dieser Frage identifiziert der vorliegende Report den Stand der Gleichstellung anhand von 27 Indikatoren in den sechs Bereichen Bildung, Erwerbsarbeit, Einkommen, Zeit, Kinderbetreuung und Partizipation.

Die Studie können Sie hier herunterladen.