Dokumente zum Zeitgeschehen

»Kriminalität kann nicht über die Herkunft erklärt werden«

Gutachten der Universität Münster zu Migration und Jugendkriminalität, Juli 2014

Migration und Jugenddelinquenz - Mythen und Zusammenhänge

In vielen klassischen und neueren Einwanderungsgesellschaften gelten Migranten und deren Nachkommen als besondere Problemgruppe, wenn es um Kriminalität geht. Dies zeigt sich auch in Umfrageergebnissen, wonach in der Bevölkerung die Vorstellung weit verbreitet ist, dass Menschen ausländischer Herkunft häufiger Straftaten begehen als Menschen ohne Migrationshintergrund. Die vermeintlich problematische „Ausländerkriminalität“ dient dementsprechend vielen Verfechtern einer restriktiven Zuwanderungspolitik als Hauptargument. Da sich mit Kriminalität besonders leicht Emotionen schüren lassen, ist das Thema europaweit bei rechtspopulistischen Parteien beliebt. Speziell in Wahlkampfzeiten wird es zuweilen aber auch von Angehörigen des politischen Mainstreams gezielt genutzt.

Die Berichterstattung in Massenmedien ist für die meisten Menschen die Hauptinformationsquelle zum Thema Kriminalität. Sie wird dominiert von spektakulären Straftaten, insbesondere von schweren Gewalttaten junger Männer, die statistisch jedoch nur einen sehr kleinen Teil der Gesamtkriminalität ausmachen. Untersuchungen zeigen, dass diese selektive Berichterstattung dazu beiträgt, dass die Häufigkeit und der Anteil schwerer Gewaltdelikte sowie die damit verbundenen Gefahren von der Bevölkerung massiv überschätzt werden. Auch die öffentliche Wahrnehmung der  Kriminalitätsentwicklung ist zum Teil durch extreme Fehleinschätzungen gekennzeichnet. Speziell im Hinblick auf die Kriminalitätsbeteiligung von Ausländern gehen viele Menschen von einem (deutlichen) Anstieg aus, der sich in den Kriminalstatistiken nicht wiederfindet.

Auch die kriminologische Forschung befasst sich seit Jahrzehnten mit möglichen Zusammenhängen zwischen Migration und Jugenddelinquenz. Dabei wurden einige Stereotype widerlegt oder jedenfalls relativiert. Zum Teil weisen die Forschungen aber auch auf spezifische, mit Migration verbundene Risiken hin, weshalb Jugendliche aus Migrantenfamilien zuweilen, in wohlfahrtsstaatlicher Diktion, als „unsere  größten Sorgenkinder“, manchmal ungleich martialischer gar als „soziale Zeitbomben“ bezeichnet wurden.

Im Gutachten zeigt sich insgesamt, dass die Kriminalitätsbeteiligung nicht primär herkunftsspezifisch erklärt werden kann. Gleichzeitig wird Handlungsbedarf deutlich: Nach den Forschungsbefunden ist die Förderung der Bildungsbeteiligung von Jugendlichen aus Migrantenfamilien ein wesentlicher Schlüssel zur Verringerung von Delinquenzrisiken. Je besser deren Einbindung in das Bildungssystem gelingt, desto mehr verliert gewaltsames Verhalten an Attraktivität. Neben dem Abbau von Erfahrungen struktureller Desintegration geht es jedoch auch in einem umfassenderen Sinne um die Verringerung von Spannungen der Identitätsentwicklung. Bedeutsam für die Herausbildung eines positiven Selbstbildes ist auch ein Gefühl des Dazugehörens, und dies nicht nur in Schule und Beruf, sondern in der Gesellschaft insgesamt. Dies setzt eine größere gesellschaftliche Anerkennung von Einwanderernachkommen mit ihren häufig „multiplen“ oder auch „hybriden“, also Mehrfach- Identitäten voraus, zum Beispiel als „muslimische Deutsche“ oder auch „Deutsche mit polnischen Wurzeln“. Ethnisierende öffentliche Diskurse, die soziale Probleme wie Kriminalität auf vermeintliche unabänderliche „kulturelle Andersartigkeiten“ zurückführen, helfen dagegen eher nicht weiter.

Das vollständige Gutachten finden Sie hier (pdf).