Rede von US-Präsident Barack Obama zu schärferen Waffengesetzen in den USA, 16.1.2013 (übersetzt und geringfügig gekürzt, Quelle: Amerika Dienst)
Vielen Dank Ihnen allen. Bitte nehmen Sie Platz. Guten Tag.
Zunächst möchte ich damit beginnen, dass ich Vizepräsident Joe Biden für sein Engagement und dafür danken, dass er so viele verschiedene Parteien an einem Tisch versammelt hat. Die Eindämmung der Waffengewalt ist zwar ein kompliziertes Thema, aber der Schutz unserer Kinder vor Leid sollte uns einen.
In dem Monat seit der Tragödie in Newtown haben wir die Stimmen von so vielen Menschen gehört. Am stärksten haben uns die Stimmen der Familien der unschuldigen Kinder, Lehrer und Aufsichtspersonen berührt, die getötet wurden. Aus diesem Grund sind wir Ihnen allen dankbar, dass Sie sich die Zeit genommen haben, hierher zu kommen und anzuerkennen, dass wir das Andenken der Menschen zum Teil dadurch in Ehren halten, dass wir alles in unserer Macht stehende tun, um zu verhindern, dass so etwas erneut geschieht.
Aber wir haben auch von unerwarteter Seite etwas gehört. Ich habe insbesondere viele Briefe von Kindern erhalten. Vier von ihnen sind heute anwesend – Grant Fritz, Julia Stokes, Hinna Zeejah und Teja Goode. Sie stehen stellvertretend für einige der Briefe, die ich erhalten habe. Diese Briefe sind ziemlich klug geschrieben und stammen von ziemlich klugen jungen Menschen.
Hinna, aus der dritten Klasse. [...] [...] Hinna schrieb: „Die Eltern, die ihre Kinder verloren haben, tun mir schrecklich leid… Ich liebe mein Land und [ich] möchte, dass jeder glücklich ist und in Sicherheit lebt.“
[...] Grant schrieb: „Ich denke, es sollte sich etwas ändern. Wir sollten aus dem, was an der Sandy Hook geschehen ist, etwas lernen… Ich bin wirklich traurig.“
Und Julia schrieb [...]: [...] „Ich mache mir keine Sorgen um meine Sicherheit, ich mache mir Sorgen um die Sicherheit anderer. Ich habe vier Brüder und Schwestern und ich kann den Gedanken nicht ertragen, einen von ihnen zu verlieren.“
Das sind unsere Kinder. Das sind die Dinge, die sie beschäftigen. Wir sollten also über unsere Fürsorgepflicht nachdenken und sie vor Schaden schützen. Wir sollten ihnen die Dinge an die Hand geben, die sie brauchen, um erwachsen zu werden, und alles in unserer Macht stehende tun, damit sie nicht nur ihre eigenen Träume verwirklichen, sondern auch zur Weiterentwicklung dieses Landes beitragen können. Dies ist unsere wichtigste Aufgabe als Gesellschaft – die Sicherheit unserer Kinder zu gewährleisten. Daran werden wir gemessen werden. Ihre Stimmen sollten uns zum Umdenken bewegen.
Aus diesem Grund habe ich vergangenen Monat Joe [Biden] gebeten, zusammen mit Mitgliedern meines Kabinetts die Bestrebungen anzuführen, um konkrete Schritte für die Sicherheit unserer Kinder in die Wege zu leiten, damit Amokläufe verhindert und die Epidemie der Waffengewalt in diesem Land eingedämmt werden.
Wir dürfen das nicht länger hinausschieben. Am vergangenen Donnerstag, als die Fernsehsender über die Treffen von Joe [Biden] zu diesem Thema berichteten, gab es Eilmeldungen über eine weitere Schießerei in einer Schule – diesmal in Kalifornien. In dem Monat, seit 20 geliebte Kinder und sechs mutige Erwachsene an der Sandy Hook Elementary gewaltsam aus dem Leben gerissen wurden, starben mehr als 900 amerikanische Landsleute durch eine Schusswaffe – 900 alleine in den vergangenen 30 Tagen. Jeder Tag, der verstreicht, wird diese Zahl noch erhöhen.
Daher lege ich eine Reihe konkreter Vorschläge vor, die auf der Arbeit von Joe [Bidens] Task Force beruhen. In den kommenden Tagen werde ich die Kraft des mir verliehenen Amtes nutzen, um sie Realität werden zu lassen. Auch wenn es kein Gesetz und keine Gesetzgebung gibt, die diese sinnlosen Gewaltakte oder jede einzelne Tragödie oder böswillige Tat vollständig verhindern kann, haben wir, wenn wir dadurch die Gewalt verringern oder auch nur ein Leben retten können, die Pflicht, es zu versuchen.
Ich werde meinen Teil dazu beitragen. Sobald ich heute mit meiner Rede fertig bin, werde ich mich an diesen Schreibtisch setzen und eine Weisung unterzeichnen, die Strafverfolgungsbehörden, Schulen, Experten auf dem Gebiet der psychischen Erkrankungen und dem Gesundheitssektor die Instrumente an die Hand gibt, die sie benötigen, um die Waffengewalt zu einzudämmen.
Wir werden dann leichter verhindern können, dass Waffen in die Hände von Kriminellen fallen, indem wir das System der Sicherheitsüberprüfungen verstärken. Wir werden Schulen bei Bedarf helfen, mehr Wachleute anzustellen, und Notfallpläne zu entwickeln. Wir werden sicherstellen, dass die Fachleute auf dem Gebiet der psychischen Erkrankungen ihre Optionen für die Meldung von Fällen von Gewaltandrohung kennen – auch wenn wir wissen, dass ein psychisch Erkrankter viel wahrscheinlicher Opfer dennTäter einer Gewalttat ist.
Während Jahr für Jahr die Gegner der auch nur leisesten Verschärfung der Waffengesetze damit gedroht haben, die wissenschaftliche oder medizinische Forschung über die Ursache von Waffengewalt nicht mehr zu finanzieren, werde ich die Zentren für Krankheitsüberwachung (Center for Disease Control – CDC) anweisen, ihre Arbeit fortzusetzen und nach den besten Wegen zu suchen, diese zu Gewalt verringern. Der Kongress sollte die Forschung über die Auswirkungen gewalttätiger Videospiele auf junge Menschen finanzieren. Unwissenheit nützt hier nichts. Es hilft nicht, wenn wir nichts über die wissenschaftlichen Fakten hinter dieser Gewaltepidemie zu wissen.
Dies sind nur einige der 23 Exekutivmaßnahmen, die ich heute ankündige. Aber so wichtig diese Schritte auch sind, sie können das Handeln der Kongressabgeordneten nicht ersetzen. Um wirklich und dauerhaft etwas zu verändern, muss der Kongress ebenfalls Maßnahmen ergreifen – und zwar so bald wie möglich. Ich fordere den Kongress daher dazu auf, umgehend einige konkrete Vorschläge zu verabschieden.
Erstens: Es ist an der Zeit, dass der Kongress allgemeine Sicherheitsüberprüfungen für jeden anordnet, der eine Waffe erwerben möchte. Das Gesetz fordert bereits von lizensierten Waffenverkäufern, Sicherheitsüberprüfungen vorzunehmen, und in den vergangenen 14 Jahren hat dies dazu geführt, dass 1,5 Millionen Menschen, die falschen Menschen, nicht in den Besitz einer Waffe gekommen sind. Aber es ist schwierig, dieses Gesetz durchzusetzen, wenn nicht weniger als 40 Prozent aller Waffenkäufe ohne Sicherheitsüberprüfung ablaufen. Das gibt keine Sicherheit. Das ist unklug. Das ist gegenüber verantwortungsbewussten Waffenkäufern und –verkäufern nicht fair.
Wenn man eine Waffe kaufen möchten – sei es von einem lizensierten Händler oder einer Privatperson – sollten man wenigstens nachweisen, dass man kein Straftäter ist oder jemand, dem der Erwerb einer Waffe rechtlich untersagt ist. Dies ist gesunder Menschenverstand. Die übergroße Mehrheit der US-Bürger stimmt mit uns darin überein, dass es allgemeine Sicherheitsüberprüfungen geben muss – dazu zählen laut einer Umfrage sogar mehr als 70 Prozent der Mitglieder der National Rifle Association. Es gibt also keinen Grund, warum wir das nicht tun sollten.
Zweitens: Der Kongress sollte das Verbot von Sturmgewehren in militärischem Stil wieder einführen und die Patronenanzahl pro Magazin auf 10 Schuss begrenzen. Die Art Sturmgewehr, die in Aurora verwandt wurde, dient, wenn sie mit Magazinen mit hoher Patronenkapazität kombiniert wird, nur einem einzigen Zweck: so viele Kugeln wie möglich in so kurzer Zeit wie möglich abzufeuern, um so viel Schaden wie möglich anzurichten, wobei häufig Kugeln eingesetzt werden, die so entwickelt wurden, dass sie einen möglichst großen Schaden anrichten.
Und so konnte der bewaffnete Schütze in Aurora auf 70 Menschen schießen – 70 Menschen – von denen zwölf innerhalb weniger Minuten getötet wurden. Waffen, die für den Kriegsschauplatz entwickelt wurden, haben keinen Platz in einem Kino. Die Mehrheit der Amerikaner stimmt mit uns darin überein.
Übrigens hat Ronald Reagan, einer der vehementesten Verteidiger des zweiten Verfassungszusatzes, 1994 den Kongress angeschrieben und ihn gedrängt – ich zitiere – „der amerikanischen Bevölkerung und den Strafverfolgungsbehörden zuzuhören und ein Verbot der weiteren Herstellung von Sturmgewehren [im militärischen Stil] zu unterstützen.“
Letztlich muss der Kongress die Strafverfolgungsbehörden bei der Ausführung ihrer Arbeit vielmehr unterstützen, anstatt sie zu behindern. Wir sollten diejenigen härter bestrafen, die Waffen mit dem erklärten Ziel erwerben, sie an Straftäter weiterzuverkaufen. Außerdem sollten wir jeden hart bestrafen, der sie darin unterstützt. Da der Kongress während der vergangenen sechs Jahre keinen Leiter des Büros für Alkohol, Tabak und Schusswaffen (Bureau of Alcohol, Tobacco and Firearms – ATF) ernannt hat, sollte er Todd Jones bestätigen, der dieses Amt bisher als Stellvertreter innegehabt hat und den ich für diese Position nominieren werde.
In Zeiten, in denen sich viele Gemeinden durch Haushaltskürzungen gezwungen sehen, ihre Polizeikräfte zu reduzieren, sollten wir wieder mehr Polizisten einstellen und auf die Straßen bringen.
Lassen Sie mich ganz deutlich werden: Ich glaube wie die meisten Amerikaner, dass der zweite Verfassungszusatz das individuelle Recht auf das Tragen von Waffen garantiert. Ich achte unsere alte Tradition des Waffenbesitzes und die Rechte von Jägern und Sportschützen. Es gibt Millionen verantwortungsbewusste, gesetzestreue Waffenbesitzer in den Vereinigten Staaten, die ihr Recht auf das Tragen einer Waffe für Jagd, Sport, zum Schutz und als Sammler ausüben.
Ich glaube außerdem, dass die meisten Waffenbesitzer mir zustimmen, dass wir den zweiten Verfassungszusatz achten können und gleichzeitig die wenigen verantwortungslosen Menschen, die sich nicht an die Gesetze halten, davon abhalten können, großes Unheil anzurichten. Ich glaube, die meisten von ihnen sind der Meinung, dass Amerika weniger Gräueltaten wie die von Newtown erleben würde, wenn wir mehr dafür tun würden, dass Waffen nicht in die Hände gefährlicher Menschen gelangen. Dafür sind diese Reformen da. Es sind vernünftige Maßnahmen. Sie werden von der Mehrheit der amerikanischen Bevölkerung unterstützt.
Aber das bedeutet nicht, dass sie einfach umzusetzen und zu realisieren sind. Wenn das so wäre, hätten wir bereits allgemeine Sicherheitsüberprüfungen. Das Verbot von Sturmgewehren und Magazinen mit hoher Patronenkapazität hätte nie auslaufen sollen. Viele Amerikaner könnten jetzt noch am Leben sein, ihren Geburtstag, Jubiläen oder Schulabschlüsse feiern.
Es wird schwierig werden. Experten, Politiker und Lobbyisten mit besonderen Interessen werden öffentlich vor einem tyrannischen, umfassenden Angriff auf die Freiheit warnen – nicht, weil es wahr wäre, sondern weil sie Angst schüren, bessere Umfragewerte und höhere Gewinne für sich erzielen wollen. Hinter den Kulissen werden sie alles in ihrer Macht Stehende tun, um alle vernünftigen Reformen zu blockieren und um sicherzustellen, dass sich nichts ändert.
Wir werden nur etwas ändern können, wenn ihre Zuhörer, ihre Wähler, ihre Mitglieder sagen, dass sich dieses Mal etwas ändern muss, dass es an der Zeit ist, etwas zu tun, um unsere Mitmenschen und unsere Kinder zu beschützen.
Ich werde alles dafür tun, und Joe [Biden] ebenfalls. Aber ich sage Ihnen: Wir können nur etwas ändern, wenn die Amerikaner es verlangen. Das bezieht sich übrigens nicht nur auf einzelne Regionen des Landes. Wir werden in den Gegenden und Kongressbezirken, in denen die Tradition des Waffenbesitzes verbreitet ist, Stimmen benötigen, die deutlich sagen, dass dies wichtig ist. Es können nicht nur die üblichen Verdächtigen sein. Wir müssen in uns gehen und uns selbst fragen, was wichtig ist.
Dies wird nur passieren, wenn die Amerikaner es verlangen. Wenn Eltern und Lehrer, Polizisten und Priester, Jäger und Sportschützen, wenn verantwortungsbewusste Waffenbesitzer, Amerikaner aus allen Schichten sagen: ‚Genug! Wir haben zu viel Leid erfahren und lieben unsere Kinder zu sehr, als dass wir dies noch weiter dulden können‘. Dann wird sich etwas ändern. Das wird erforderlich sein.
In dem Brief, den Julia mir geschrieben hat, sagt sie: „Ich weiß, dass Gesetze vom Kongress verabschiedet werden müssen, aber ich bitte Sie, alles zu versuchen.“ Julia, ich werde alles versuchen. Aber sie hat Recht. Die wichtigsten Veränderungen, die wir erreichen können, sind vom Handeln des Kongresses abhängig. Er muss diese Vorschläge zur Abstimmung bringen und die Amerikaner müssen sicherstellen, dass dies auch geschieht.
Bringen Sie die Abgeordneten dazu, sich offiziell zu äußern. Fragen Sie Ihre Kongressabgeordneten, ob sie allgemeine Sicherheitsüberprüfungen unterstützen, damit Waffen nicht in die falschen Hände gelangen. Fragen Sie sie, ob sie die Erneuerung des Verbots von Sturmgewehren in militärischem Stil und Magazinen mit hoher Patronenkapazität befürworten. Wenn sie verneinen, fragen Sie sie nach dem Grund. Fragen Sie, was wichtiger ist: zu tun, was nötig ist, um von der Waffenlobby belohnt zu werden, die ihren Wahlkampf finanziert, oder Eltern ein Gefühl der Sicherheit zu geben, wenn sie ihre Kinder in die Grundschule bringen?
Dies ist das land of the free – das Land der freien Menschen –, und das wird es immer bleiben. Als Amerikaner wurden wir von unserem Schöpfer mit bestimmten unveräußerlichen Rechten ausgestattet, die kein Mensch oder Staat verwehren kann. Aber wir haben auch vor langer Zeit bereits wie unsere Gründerväter erkannt, dass mit Rechten auch Pflichten einhergehen. Mit der Freiheit, unser Leben nach unseren Wünschen zu führen, kommt auch die Verpflichtung, dies auch anderen zu erlauben. Wir leben nicht isoliert voneinander. Wir leben in einer Gesellschaft, mit einer Regierung des Volkes, vom Volk und für das Volk. Wir sind für einander verantwortlich.
Das Recht, frei und in Sicherheit seinen Glauben zu praktizieren, wurde den Sikhs in Oak Creek (Wisconsin) verwehrt. Das Recht, sich friedlich zu versammeln, wurde den Menschen in Clackamas (Oregon) beim Einkaufen und den Kinobesuchern in Aurora (Colorado) verwehrt. Die grundlegendsten Rechte auf ein Leben und Freiheit und ein Streben nach Glück – Grundrechte, die Collegestudenten an der Virginia Tech, High-School-Schülern an der Columbine High, Grundschülern in Newtown und Kindern an Straßenecken in Chicago und allen Familien, die niemals damit gerechnet hatten, einmal einen geliebten Angehörigen durch eine Kugel zu verlieren, viel häufiger als wir es tolerieren können, verwehrt wurden – stehen auf dem Spiel. Wir sind verantwortlich.
Als ich vergangenen Monat nach Newtown gereist bin, habe ich Zeit mit vielen Familien verbracht, deren Kinder an diesem Tag getötet wurden. Eine der Familien war die von Grace McDonald. Graces Eltern sind hier. Grace war sieben Jahre alt als sie erschossen wurde – ein fröhliches, liebevolles, kleines Mädchen. Man hat mir erzählt, rosa war ihre Lieblingsfarbe. Sie war gerne am Strand. Sie wollte Malerin werden.
Kurz bevor ich ging, gab ihr Vater Chris mir eines ihrer Bilder. Ich habe das Bild in meinem Privatbüro neben dem Oval Office aufgehängt. Jedes Mal, wenn ich das Bild ansehe, denke ich an Grace. Ich denke an das Leben, das sie gelebt hat und das noch vor ihr lag. Vor allem aber denke ich daran, dass wir, wenn wir die Schwächsten unter uns beschützen wollen, jetzt handeln müssen – für Grace. Und für die anderen 25 unschuldigen Kinder und engagierten Lehrer, die noch so viel zu geben hatten. Für die Frauen und Männer in Großstädten und Dörfern, die jeden Tag sinnloser Gewalt zum Opfer fallen. Für alle Amerikaner, die darauf vertrauen, dass wir ihnen Sicherheit bieten. Lassen Sie uns das Richtige tun. Lassen Sie uns für sie das Richtige tun, und für dieses Land, das wir so sehr lieben.
Vielen Dank. Lassen Sie uns diese Erlasse unterzeichnen.