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»Mangel an Fachkräften ist eine reale Gefahr«

Abschlussbericht der "Hochrangigen Konsensgruppe Fachkräftebedarf und Zuwanderung", 30.11.2011

Unsere Wirtschaft und unsere Gesellschaft setzen auf Innovation, Technik, Qualität und hochwertige Produkte. Deshalb sind sie in besonderem Maße auf ausgebildete und hochqualifizierte Fachkräfte angewiesen, sei es im Handwerk, im Mittelstand oder in der Industrie. In Deutschland gibt es bereits jetzt in eini­gen Branchen und Regionen einen Mangel an Fachkräften, und dieser wird sich in absehbarer Zeit durch die demografische Entwicklung noch deutlich erhöhen. Für die deutsche Wirtschaft ergibt sich daraus eine reale Gefahr. Die Hochrangige Konsensgruppe Fachkräftebedarf und Zuwanderung hat daher einen Aktionsplan mit konkreten Handlungsempfehlungen ausgearbeitet, um dem Problem aktiv zu begegnen, die Situation am deutschen Arbeitsmarkt dauerhaft zu verbessern und die internationale Konkurrenzfähigkeit der deutschen Wirtschaft nachhaltig zu sichern. Die deutsche Gesellschaft altert; ohne eine umsichtig gesteuerte Zu­wanderung von Fachkräften aus dem Ausland wird sie nicht in der Lage sein, den Bedarf an erwerbsfähigen Menschen zu decken. Dies kann aber nur ein Baustein sein. Umso wichtiger ist es, Potenziale der Menschen, die bereits in Deutschland leben, durch Bildung und Ausbildung im größtmöglichen Umfang zu nutzen.

Der Aktionsplan der Konsensgruppe umfasst einander ergänzende Maßnahmen, um bisher benachteiligten Menschen in Deutschland bessere Chancen zur fach­lichen Qualifizierung zu geben und ihre Erwerbstätigkeit zu steigern (Teil I), die Zuwanderung von Fachkräften aus Ländern der Europäischen Union zu fördern (Teil II) und die Zuwanderung von Fachkräften aus Drittstaaten zu verbessern (Teil III). In erster Linie müssen die Bildungs-und Erwerbschancen für diejenigen verbessert werden, die in Deutschland leben. Ohne verstärkte Anstrengungen in diesem Bereich wird über Zuwanderung kein Konsens herzustellen sein. Zu tief sitzen die Befürchtungen, Zuwanderung könne die Einheimischen vom Arbeits­markt verdrängen und als Instrument für Lohndumping missbraucht werden.

I. Bessere Bildungs-und Erwerbschancen schaffen

1. Frühkindliche und schulische Bildung intensivieren

Qualitativ hochwertige Maßnahmen frühkindlicher Bildung haben einen deutlich positiven Effekt auf den weiteren Bildungs-und Lebensweg von Kindern. Kognitive Fähigkeiten und soziales Verhalten müssen so früh wie möglich gefördert werden. In Deutschland werden jedoch weniger Kinder durch frühkindliche Bildungsmaß­nahmen erreicht als in anderen europäischen Ländern; es gibt in diesem wichtigen Bereich also qualitatives und quantitatives Steigerungspotenzial. Zugang, Qualität und Finanzierung von frühkindlicher Bildung müssen verbessert werden, besonders für Kinder aus sozial benachteiligten Familien. In der frühkindlichen Bildung wird außerdem mehr und besser ausgebildetes Personal benötigt; zudem sollten verstärkt Männer für diesen Berufszweig gewonnen werden, da hier gegenwärtig überwie­gend Frauen beschäftigt sind. Auch im deutschen Schulsystem sind Änderungen erforderlich: Die Konsensgruppe empfiehlt den weiteren Ausbau der Ganztagsschule, in der Schüler differenziert und individuell gefördert werden, damit langfristig deut­lich weniger Schüler die Schule ohne Abschluss verlassen. Auch der nachträgliche Erwerb von Schulabschlüssen muss erleichtert werden, z. B. durch einen flächen­deckenden Ausbau der Koordinierungsstellen, die Jugendliche ohne Schulabschluss in Zusammenarbeit mit der Schule, Eltern und weiteren Partnern in das Schulsystem reintegrieren.

2. Übergang von der Schule in den Beruf erleichtern

Neben Verbesserungen des Bildungssystems erachtet die Konsensgruppe es als notwendig, die Berufsberatung im schulischen Bereich zu verbessern, mehr praxis­nahe Angebote zur Berufsorientierung bereitzustellen und (unter Einbeziehung der Tarifvertragsparteien) die Ausbildungsbedingungen besser auszugestalten, um die Zahl der Ausbildungsabbrüche zu senken. Angebot und Nachfrage bei Ausbildungs­plätzen muss mit Unterstützung von Wirtschaft und Politik besser zusammengeführt werden. Bei bestimmten Mangelberufen, beispielsweise in der Pflege, sollte die Attraktivität gezielt gesteigert werden, indem die Ausbildung reformiert wird und die Rahmenbedingungen für Umschulungen geändert werden. Zudem müssen Infor­mationsdefizite auf Arbeitgeber-und Arbeitnehmerseite sukzessive abgebaut wer­den, damit Berufe, in denen sich Fachkräftedefizite abzeichnen, für einen größeren Bewerberkreis attraktiver werden können. Auch im Bereich der Hochschulbildung sind Änderungen geboten, denn der Anteil der Studienabsolventen liegt in Deutsch­land unter dem EU-Durchschnitt und der Abstand zu anderen hochentwickelten Staaten vergrößert sich kontinuierlich. Beispielsweise könnte die Stipendienver­gabe für junge Menschen aus einkommensschwachen Familien reformiert und das Hochschulangebot durch Investitionen strategisch weiterentwickelt werden.

3. Weiterbildung für Berufstätige verstärken

Um zusätzliche Fachkräfte im Inland zu gewinnen, sind berufliche Weiterbildungs­angebote erforderlich, besonders für Bereiche, in denen bereits Fachkräfte fehlen oder sich ein Mangel abzeichnet. Auch der Übergang vom Beruf ins (berufsinte­grierte) Studium muss erleichtert werden, damit akademische Qualifikationen und die damit verbundenen Aufstiegschancen für mehr Menschen erreichbar werden. Eine abgeschlossene Berufsausbildung muss den Zugang zu Hochschulen ermög­lichen. Darüber hinaus muss die Bundesagentur für Arbeit ihr Weiterbildungs­angebot verbessern und stärker auf den gegebenen Fachkräftebedarf ausrichten.

4. Maßnahmen zur Qualifikation und Integration von Arbeitslosen ausbauen

In Deutschland haben wir heute rund 8,4 Millionen Menschen, deren Potenzial nicht voll genutzt wird (Erwerbslose, Unterbeschäftigte und Stille Reserve). Aus diesem Kreis können viele aktiviert werden, z. B. indem Arbeitslose durch gezielte Trainingsmaßnamen in den Arbeitsmarkt integriert werden oder Unterbeschäftigte die Möglichkeit erhalten, ihre Anstellungen in Vollzeitstellen umzuwandeln. Für Arbeitnehmer könnten Anreize in Form von ausgeweiteten und zielgenau abge­stimmten Eingliederungszuschüssen geschaffen werden; dieses Mittel hat sich nachweislich als effektiv erwiesen. Auch in Deutschland lebende Menschen mit Zuwanderungsgeschichte können noch effizienter erreicht und gefördert werden, etwa indem man ihnen passgenaue Weiterbildungsmaßnahmen zum Sprach­erwerb anbietet oder sie gezielt für Positionen im öffentlichen Dienst gewinnt.

5. Bessere Chancen für Frauen auf dem Arbeitsmarkt schaffen

Das größte und am schnellsten zu aktivierende inländische Fachkräftepotenzial liegt bei den Frauen. Die Hauptgründe für die geringere Erwerbsbeteiligung von Frauen sind Anreize, die das traditionelle Alleinverdienermodell fördern, Schwierigkeiten bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf und geschlechtsspezifische Lohnunter-schiede. Frauen können bessere Karrierechancen ermöglicht werden, wenn Familie oder auch Pflege und Beruf leichter vereinbar gemacht werden. Dies kann durch flexible und bedarfsgerechte Kinderbetreuungsangebote sowie die bereits erwähn­te Ganztagsschule ermöglicht werden, insbesondere aber auch durch flexible Rege­lungen und Arbeitszeitkonten. Flexibilität seitens der Unternehmen im Hinblick auf Arbeitszeiten ist für eine familienfreundlichere Arbeitswelt dringend erforderlich.

6. Längere Erwerbsbiografien ermöglichen

Auch Personen über 55 Jahre können erheblich zur Deckung des Fachkräftebedarfs beitragen. Dabei ist die Mitarbeit von Arbeitgebern und Gewerkschaften unerläss­lich. Altersgerechte Betriebsbedingungen, Arbeitsgestaltung, Arbeitsorganisation, Weiterbildung und betriebliche Gesundheitsförderung wären hier ebenso notwendig wie eine attraktivere Ausgestaltung der bereits bestehenden gesetzlichen Teilzeitrente.

7. Verbindliche Zusammenarbeit von Staat und Wirtschaft in regionalen Netzwerken ausbauen

Arbeitgeber und Gewerkschaften, die Bundesagentur für Arbeit, Industrie-und Han­delskammern sowie die Kommunen, Landkreise und staatlichen Schulämter sollten sich gemeinsam zu regionalen Netzwerken zusammenfinden, um nach dem guten Vorbild bereits bestehender regionaler Netzwerke in jeder Region durch gezielte Maßnahmen und flexible Instrumente Fachkräfte vor Ort zu sichern und bestehende Probleme zu lösen. Dies kann von der Bundesagentur für Arbeit zielgerichtet angestoßen und unterstützt werden.

II. Für Deutschland werben – Zuwanderung qualifi­zierter Arbeitskräfte aus EU-Staaten erleichtern

In Teil II des Berichts geht es darum, die Zuwanderungsbedingungen für qualifizierte Arbeitskräfte aus Staaten der Europäischen Union zu verbessern. Dafür wird empfohlen, das Dienstleistungsnetz des European Employment Service (EURES) weiter auszubauen, um Stellensuche und -besetzung transparenter zu gestalten. Für eine Zuwanderung von Fachkräften aus EU-Staaten sind die politischen Rahmen­bedingungen durch die europaweit geltende Freizügigkeit bereits gut ausgestaltet. Darum sollte man im europäischen Ausland Informations-und Werbekampagnen für Deutschland in intensivierter Form durchführen. Hier können vor allem Auslands­vertretungen, Auslandshandelskammern, der Deutsche Akademische Austausch Dienst (DAAD), Goethe-Institute und die politischen Stiftungen hilfreich sein. Außerdem sollten Ausbildungsplatzstipendien geschaffen werden, die es Jugend­lichen aus EU-Staaten ermöglichen, Ausbildungsplätze zu füllen, die in Deutschland nicht besetzt werden können.

III. Kluge Köpfe gewinnen – Fachkräfteengpässe durch gezielte Zuwanderung aus Drittstaaten abbauen

In Teil III des Berichts sind Handlungsempfehlungen formuliert, um die Bedingungen der Zuwanderung für qualifizierte Arbeitskräfte aus Nicht-EU-Staaten zu verbessern. Um zu vermeiden, dass inländische Arbeitsuchende und Zuwanderer in Konkurrenz miteinander treten, ist es wichtig, dass die Zuwanderungssteuerung sich an Engpässen auf dem Arbeitsmarkt orientiert und Zuwanderer mit solchen Qualifikationen gewinnt, die in Deutschland rar sind. Zudem muss besonders darauf geachtet werden, dass die Zuwanderung nicht die Stabilität des Lohnniveaus in Deutschland gefährdet.

Die bisherigen Grundlagen für die Fachkräftezuwanderung in Deutschland, §§ 16 bis 21 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) in Kombination mit der Beschäftigungs­verordnung (BeschV), werden nicht ausreichen, um zukünftig Anreize für eine aus­reichende Zuwanderung zu geben. Dennoch ist das Problem nachhaltig lösbar, wenn jetzt die notwendigen und die richtigen Schritte getan werden. Hierfür ist entscheidend, dass die Steuerung der Zuwanderung nach Deutschland transparenter wird und dass sie besser auf den herrschenden Fachkräftebedarf zugeschnitten wird. Deutschland muss für die besten Köpfe der Welt wieder attraktiver werden. Das bedeutet auch, dass ausländische Fachkräfte nicht nur als Arbeitskräfte, son­dern auch als Menschen willkommen geheißen werden, dass man also z. B. bereit ist, sie mit ihren Familien zu akzeptieren und ihre Integration zu unterstützen. Die Konsensgruppe empfiehlt daher folgende Schritte:

1. Ausländische Qualifikationen anerkennen und Potenziale nutzen

Menschen mit ausländischen Berufsqualifikationen müssen auf dem Niveau ihrer Qualifikation am Arbeitsmarkt vermittelt werden können. Daher muss das Gesetz zur Verbesserung der Feststellung und Anerkennung im Ausland erworbener Berufs­qualifikationen konsequent umgesetzt werden. Im Rahmen dieser Umsetzung sind weitere Möglichkeiten zur Nachqualifizierung von Zuwanderern zu schaffen, um deren Chancen am Arbeitsmarkt zu erhöhen. Diese Schritte müssen Betroffenen durch Informations-und Werbemaßnahmen kommuniziert werden.

2. Nach dem Studium bleiben – ausländischen Hochschulabsolventen den Einstieg ins Berufsleben erleichtern

Ausländische Hochschulabsolventen müssen stärker dazu motiviert werden, nach dem Studium dauerhaft in Deutschland zu bleiben; ihnen muss vermittelt werden, dass sie in Deutschland willkommen sind. Dafür sollten bessere Bleibeperspektiven geschaffen werden, z. B. indem es erleichtert wird, eine Niederlassungserlaubnis zu erlangen, nach Abschluss des Studiums eine Beschäftigung aufzunehmen oder während des Studiums hinzuzuverdienen. Zudem sollte die Begrenzung dafür, was Absolventen innerhalb der gesetzlich festgelegten Frist zur Arbeitsuche nach Studienabschluss hinzuverdienen dürfen, aufgehoben und die Frist zur Arbeitsuche nach Erlangen des Hochschulabschlusses von einem Jahr auf zwei Jahre erweitert werden.

3. Neue Perspektiven – abgewanderte und abwanderungswillige Fachkräfte für Deutschland begeistern

Viele gut qualifizierte deutsche Fachkräfte verlassen das Land und ebenso Fach­kräfte mit Zuwanderungsgeschichte. Diese Entwicklung wird durch die Rückwan­derung von Deutschen aus dem Ausland nicht kompensiert. Dieser Tendenz könnten z. B. verbesserte Beratungsangebote von Staat und Wirtschaft entgegen­wirken, die deutschen Studierenden im Ausland die Perspektiven für eine Karriere in ihrer Heimat aufzeigen. Auch gezielte Rückkehrprogramme, wie es sie bereits in der Wissenschaft gibt, sind erforderlich und sollten vor allem auf Mangelberufe ausgeweitet werden.

4. Bürokratische Hürden abbauen – Zuwanderung nach Deutschland attraktiver gestalten

Deutschland hat nicht das Image eines attraktiven Einwanderungslands. Hier ist die Politik in der Pflicht, klare Signale zu senden und Maßnahmen für eine ver­besserte Zuwanderungssteuerung zu ergreifen. Die bürokratischen Abläufe müssen vereinfacht werden – z. B. könnte die Vorrangprüfung durch eine Genehmigungs- oder Zustimmungsfiktion vereinfacht werden, nach der die Zustimmung automa­tisch erfolgt, wenn die Behörde nicht innerhalb einer bestimmten Frist (z. B. drei Wochen) zu einem anderen Ergebnis kommt. Außerdem müssen Nachzug und Integration von Familienangehörigen erleichtert werden; z. B. könnten Ehegat­ten von nach § 18 AufenthG eingereisten Fachkräften generell vom Nachweis von Deutschkenntnissen befreit werden, und dem Ehegatten könnte leichter ein Aufenthaltstitel erteilt werden, wenn die Ehe geschlossen wurde, nachdem der Zuwanderer seine Aufenthaltserlaubnis erhalten hatte. Zudem sollten die Zuwan­derungsregelungen ausländischen Fachkräften besser vermittelt werden. Auch die Möglichkeiten, Antragsverfahren online durchzuführen, müssen ausgebaut wer­den, zudem müssen mehr Beratungen in englischer Sprache angeboten werden.

5. Zuwanderung von Hochqualifizierten erleichtern

Gemäß den Ergebnissen des Koalitionsausschusses vom 6. November 2011 sollte das jährliche Mindesteinkommen für eine Niederlassungserlaubnis nach § 19 AufenthG von momentan 66.000 Euro auf 48.000 Euro gesenkt werden. Dies ist sinnvoll, da z. B. das Durchschnittseinkommen eines Hochschulabsolventen mit fünfjähriger Berufserfahrung in Deutschland derzeit bei 42.300 Euro liegt. Zudem soll die EU-Richtlinie für Hochqualifizierte (die sogenannte Blue-Card-Richtlinie) schnell umgesetzt werden. Die Konsensgruppe schlägt vor, zwei Jahre nach dem Inkrafttreten der neuen Regelungen, diese zu evaluieren, u. a. in Bezug darauf, wie viele Fachkräfte aus Drittstaaten nach den neuen Regelungen zuwandern. Nach der Evaluierung sollte geprüft werden, ob das Mindesteinkommen nach § 19 Abs. 2 Nr. 3 AufenthG weiter gesenkt werden oder ausländischen Fachkräften, die seit zwei Jahren eine Blue Card besitzen, eine Niederlassungserlaubnis erteilt werden soll. Außerdem muss das deutsche Zuwanderungsrecht, das gegenwärtig für einen Aufenthaltstitel ein konkretes Arbeitsplatzangebot voraussetzt, um die Möglichkeit ergänzt werden, eine Aufenthaltserlaubnis nach transparenten Kriterien zu erhalten, die unterschiedlich gewichtet und regelmäßig an den aktuellen Fachkräftebedarf angepasst werden. So wird die wichtige Rolle der Wirtschaft bei der Auswahl von ausländischen Fachkräften durch vom Staat festgelegte strategisch ausgerichtete Kriterien ergänzt.

6. Arbeiten und leben in Deutschland – problemlosere Aufenthaltserlaubnis für ausländische Fachkräfte

Nach § 18 AufenthG können qualifizierte Menschen nur unter den in der Beschäf­tigungsverordnung und weiteren Vorschriften geregelten Voraussetzungen zum Zweck der Arbeitsaufnahme nach Deutschland einreisen. Diese Regelungen müs­sen übersichtlicher gestaltet werden. So sollte es für eine Aufenthaltserlaubnis nach § 18 AufenthG zukünftig ausreichen, dass man ein konkretes Angebot für eine Beschäftigung hat, die einen Hochschulabschluss oder eine Berufsausbildung voraussetzt, für die Beschäftigung in Deutschland übliche Arbeitsbedingungen gelten und man die Vorrangprüfung bestanden hat. In der Beschäftigungsver­ordnung könnte weiterhin geregelt werden, in welchen Fällen eine Zustimmung oder Vorrangprüfung der Bundesagentur für Arbeit nicht erforderlich ist. Sinnvoll ist z. B., in Engpassberufen die Einzelfall-Vorrangprüfung auszusetzen, wie es das Bundeskabinett im Fachkräfte-Gesamtkonzept vom 22. Juni 2011 bereits beschlos­sen hat. Diese Regelung müsste ausgeweitet, systematisiert und regelmäßig an den aktuellen Fachkräftebedarf angepasst werden, zudem sollte sie analog zu einer Neufassung von § 18 AufenthG auch Berufe enthalten, die keinen Hoch­schulabschluss, sondern eine abgeschlossene Berufsausbildung voraussetzen.

7. Zum Mittelstand vermitteln – Fachkräfterekrutierung verbessern

Für mittelständische Unternehmen muss das Einstellungsverfahren für ausländische Fachkräfte vereinfacht und der damit verbundene Verwaltungsaufwand reduziert werden. In Zusammenarbeit von Staat, Gewerkschaften und Mittelstandsverbänden sollten Plattformen für die Vermittlung arbeitsuchender Zuwanderer geschaffen werden, die Informationen über formale behördliche Anforderungen und Möglich­keiten zum Austausch anbieten. Außerdem sollten – z. B. beim Arbeitgeberservice der Bundesagentur für Arbeit – Servicestellen eingerichtet werden, die mittelständi­sche Unternehmen bei administrativen Aspekten der Personalgewinnung unterstüt­zen. Zuwanderer, die gemäß einer kriterienorientierten Zuwanderungsmöglichkeit (vgl. dazu III.5.2.) eingereist sind, sollten im Rahmen der normalen Datenbank der Bundesagentur für Arbeit erfasst werden. Das würde mittelständischen Unternehmen erleichtern, ausländische Fachkräfte auszuwählen und zu gewinnen.

8. Nach der Ausbildung bleiben – Qualifikationen in Deutschland anwenden

Für ausländische Fachkräfte, die zur Ausbildung nach Deutschland eingereist sind, muss es einfacher als bisher möglich sein, nach erfolgreichem Abschluss der Aus­bildung dauerhaft in Deutschland zu bleiben. Ausbildungen könnten zudem mit zirkulären Migrationsprogrammen in bestimmten Partnerländern gekoppelt werden und so zusätzlich einen positiven entwicklungspolitischen Aspekt erhalten. Hierfür müssten die rechtlichen Rahmenbedingungen im Aufenthaltsgesetz justiert werden.

9. Mitarbeiteraustausch in internationalen Unternehmen erleichtern

Für Deutschlands internationale Wettbewerbsfähigkeit ist es notwendig, den unter nehmensinternen Austausch von Mitarbeitern zu flexibilisieren. Durch eine Vorab­genehmigung der Zentralen Auslands-und Fachvermittlung (ZAV) der Bundes­agentur für Arbeit, die nach bestimmten Kriterien erteilt wird, sollte Unternehmen generell ermöglicht werden, ausländische Mitarbeiter im Rahmen des internatio­nalen Mitarbeiteraustauschs zu beschäftigen. Dieses Verfahren würde die zeitauf­wendige Prüfung jedes einzelnen Falls durch die zuständigen Behörden ersetzen.

10. Neues Denken: Vom Anwerbestopp zur gezielten Gewinnung von Fachkräften

Gegenwärtig bilden die Regelungen, die Fachkräftezuwanderung ermöglichen, formal eine Reihe von Ausnahmen zum grundsätzlich geltenden Anwerbestopp. Diese Systematik sollte im Gesetz umgekehrt werden, um deutlich zu machen, dass Zuwanderung nach Deutschland explizit gewünscht und gefördert wird. Dazu ist eine Neufassung des Aufenthaltsgesetzes nötig, die die bisherigen Regelungen so zusammenfasst und modifiziert, dass sich bis auf notwendige Ausnahmen alle für Fachkräfte relevanten Regelungen in einem klar verständlichen Gesetzestext finden. Ein solcher Paradigmenwechsel ist unverzichtbar, um eine Einladungs-und Willkom­menskultur bei uns zu entwickeln – ohne sie wird es nicht gelingen, jene Zuwan­derer für unser Land zu interessieren, die wir uns erhoffen und die wir benötigen.

Die vollständige Studie finden Sie hier.