Ergebnisse einer Befragung des Forschungsprojekts KviAPol an der Ruhr-Universität Bochum, 11.11.2020
Rassismus in der Polizei: Einzelfälle oder strukturelles Problem? Diese Frage stellt sich nicht erst seit den Vorfällen um den sogenannten NSU 2.0 und der Aufdeckung von Chatgruppen, in denen rechtsextreme Inhalte ausgetauscht wurden. Für die vorliegende Expertise wurden eine quantitative Befragung von 3.373 Personen und 17 qualitative Interviews zum Thema (mutmaßlich)rechtswidriger Polizeigewalt ausgewertet und geprüft: Wie unterscheiden sich die Erfahrungen von People of Color (PoC)von denen weißer Personen? Wie unterscheiden sich die Erfahrungen von Menschen ohne Migrationshintergrund von den Erfahrungen von Menschen mit Migrationshintergrund?
Die ausgewerteten Daten stammen aus dem Forschungsprojekt KviA-Pol, das rechtswidrige polizeiliche Gewaltausübung untersucht. Der primäre Fokus des Projekts liegt damit zwar nicht auf dem Themenfeld Rassismus; es wurden jedoch Daten zu Diskriminierungserfahrungen im Kontext polizeilicher Gewaltanwendungen erhoben, die die Befragten als rechtswidrig bewertet haben. Die zentralen Ergebnisse der Betroffenenbefragung im Überblick:
- Fühlten sich die Befragten in den berichteten Gewaltsituationen diskriminiert? 62 Prozent der PoC bejahten dies; gleiches gaben 42 Prozent aller Personen mit Migrationshintergrund, aber nur 31 Prozent aller Personen ohne Migrationshintergrund an. Unter anderem die Häufigkeit von Diskriminierungserfahrungen führte bei den betroffenen PoC zu der Annahme, dass sie aufgrund äußerer Merkmale und damit aufgrund rassistischer Vorurteile anders behandelt werden als weiße Personen.
- Aus welchem Anlass kamen die Befragten mit der Polizei in Kontakt? Die Auswertung zeigt, dass die befragten PoC häufiger aufgrund von Personenkontrollen mit der Polizei in Kontakt kamen als weiße Personen (28 Prozent vs. 14 Prozent). Auch Personen mit Migrationshintergrund waren häufiger auf diese Weise betroffen (22 Prozent).
- Personen mit Migrationshintergrund und PoC berichteten im Durchschnitt von stärkeren psychischen Folgen der Gewaltsituation mit der Polizei als Personen ohne Migrationshintergrund.
- PoC, die sich gegen eine Anzeige entschieden, gaben dafür als Begründung häufiger als weiße Personen an, dass ihnen von einer Anzeige abgeraten (64 Prozent zu 54Prozent) und dass eine Anzeige bei der Polizei verweigert worden sei (21 Prozent zu 10 Prozent). •Die Befragten berichteten auch von explizit rassistischen Äußerungen von Polizeibeamt*innen. Anhand der vorliegenden Daten kann nicht abgeschätzt werden, wie groß dieses Problem in der deutschen Polizei insgesamt ist. Die qualitativen Interviews mit Polizeibeamt*innen zeigen in Einklang mit dem Forschungsstand, dass die Beamt*innen ihr Handeln häufig nicht als rassistisch verstehen
- Polizeibeamt*innen berufen sich in ihrem Arbeitsalltag auf Erfahrungswissen. Dieses speist sich neben eigenen Erfahrungen aus Berichten von Kolleg*innen und aus Erfahrungen Dritter sowie aus Einstellungen und gesellschaftlichen Diskursen.
- Polizeiliches Erfahrungswissen umfasst auch Zuschreibungen und Stereotype gegenüber bestimmten Personengruppen. Solche Stereotype können auch unbewusst wirken und auf diese Weise das dienstliche Handeln der Polizeibeamt*innen beeinflussen.
- Dies führt zu einer erheblichen Diskrepanz in der Wahrnehmung- und Bewertung von einschlägigen Kontakten oder Einsätzen durch PoC einerseits und Polizeibeamt*innen andererseits, was wiederum Anlass für weitergehende Konflikte sein kann.
Angesichts dieser Befunde und des ungenügenden Forschungsstands bedarf es dringend weitergehender Forschung zum Thema Rassismus und Diskriminierung in der polizeilichen Praxis.
Die Expertise können Sie hier herunterladen.