Studie des Verbands Deutscher Sinti und Roma, 25.2.2021
Vor zehn Jahren hatte bereits die RomnoKher-Studie 2011 mit 261 ausgewerteten Interviews die Bildungsbenachteiligung deutscher Sinti und Roma plausibel aufzeigen können. Sie führte u.a. zur Einrichtung eines bundesweiten Arbeitskreises zur gleichberechtigten Bildungsteilhabe von Roma und Sinti in Deutschland (2013-2015), der Gründung der Hildegard Lagrenne Stiftung für Bildung, Inklusion und Teilhabe von Sinti und Roma in Deutschland und der Einrichtung eines Förderprogramms der Stiftung EVZ zur Förderung von Bildungsprojekten von Roma- und Sinti-Selbstorganisationen.
Damals wie heute waren alle Interviewer Angehörige der Minderheit, und die Verantwortung für die Durchführung der Studie lag entsprechend einer Verabredung mit Bundesministerien, Ländern und Selbstorganisationen zu Standards bei der Datenerhebung zur Bildungssituation von Roma und Sinti in Deutschland (Bundesweiter Arbeitskreis 2015) bei einer Selbstorganisation der Sinti und Roma. Damit werden den wegen der Verwicklung von wissenschaftlicher Forschung in die Verfolgung und Ermordung von Roma und Sinti im Nationalsozialismus nach wie vor bestehenden Ängsten und Vorbehalten vieler Angehöriger und Vereine der Minderheit in Deutschland Rechnung getragen.
Als die EU-Kommission 2011 alle Mitgliedstaaten aufforderte, nationale Strategien zur Verbesserung der Lage der Sinti und Roma mit gezielten Förderprogrammen, deren Erfolge überprüfbar sind, einzurichten, lehnte die Bundesregierung eine Teilnahme u.a. mit der Begründung ab, dass keine Daten zur Lage der Sinti und Roma in Deutschland zur Verfügung stünden. Im Rahmen der EU-Ratspräsidentschaft hat Deutschland 2020 den neuen strategischen EU-Rahmen für Gleichstellung, Inklusion und Partizipation von Sinti und Roma für 2020-2030 verabschiedet und nach wie vor keine Daten zur Lage der Sinti und Roma in Deutschland erhoben. Die Ergebnisse der RomnoKher-Studie 2021 belegen die gestiegenen Erwartungen und Potentiale der Minderheit und auch die extreme Benachteiligung im Bildungsbereich, die durch die von der Bundesregierung bevorzugten unspezifischen (Mainstream-)Fördermaßnahmen bisher nicht ausgeglichen werden konnte. Nicht nur die Zahlen unterstreichen die Notwendigkeit gezielter Fördermaßnahmen. Auch 80% der Befragten selbst halten solche Maßnahmen im Bildungsbereich für notwendig.
Die Stärkung des Selbstbewusstseins in der Minderheit als Ergebnis der Empowerment-Strategie der Bürgerrechtsbewegung zeigt sich in den überwiegend positiven und sehr positiven Feedbacks von Interviewern und Befragten zur Befragung selbst. Ebenso wie 2011 ermittelt die Studie nach wie vor extrem hohe Angaben zur Diskriminierung: Etwa 40% der Befragten mit Kindern haben angegeben, dass ihre Kinder Diskriminierungserfahrungen gemacht haben (davon ca. 60% mit Gewalt, ca. 40% im Unterricht, ca. ein Drittel von Lehrkräften), und etwa zwei Drittel der Befragten fühlen sich im heutigen Leben wegen ihrer Zugehörigkeit diskriminiert, davon ca. 80% auch im Bildungssystem.
Deutlich sichtbare Veränderungen ergeben sich beim Vergleich der Altersgruppen: Haben noch über 50% der über 50-Jährigen und knapp ein Drittel der über 30-50-Jährigen die Schule ohne Abschluss verlassen, sind es bei den unter 30-Jährigen etwa 15% (Gesamtbevölkerung unter 5%). Das Abitur als Schulabschluss erreichen etwa 2% der über 50-Jährigen, bereits 10% der 30-50-Jährigen und knapp 15% der unter 30-Jährigen (Gesamtbevölkerung 40%). Stagniert hat hingegen die Anzahl der Personen ohne beruflichen Abschluss (knapp 80% der über 50-Jährigen und etwa 40% der 18-30- und 30-50-Jährigen). Zum kulturellen Selbstverständnis gehört bei 85% der Befragten, Romanes, die Sprache der Roma und Sinti, zu sprechen und zu pflegen. Knapp 90% haben Romanes zu Hause gelernt und mehr als 80% bringe ihren Kindern zu Hause Romanes bei. Knapp ein Viertel der Befragten spricht mindestens drei Sprachen.
Die vollständige Studie finden Sie hier.