Studie der Bertelsmann-Stiftung zu sozialer Gerechtigkeit innerhalb der EU, 15.9.2014
1. Negativtrend bei sozialer Gerechtigkeit – soziale Schieflage innerhalb der EU hat zugenommen
Der EU Social Justice Index umfasst sechs Dimensionen: Armutsvermeidung, Zugang zu Bildung, Zugang zum Arbeitsmarkt, soziale Kohäsion und Nicht-Diskriminierung, Gesundheit und Generationengerechtigkeit.
Unsere Analyse hat gezeigt: Soziale Gerechtigkeit hat über die letzten Jahre hinweg in der EU abgenommen. Zudem ist innerhalb der EU das Ausmaß der sozialen Gerechtigkeit in höchst unterschiedlichem Maße verwirklicht.
An der Spitze des Vergleichs stehen die nordeuropäischen Staaten Schweden, Finnland, Dänemark sowie die Niederlande. Gerade jedoch in den südeuropäischen Krisenstaaten Griechenland, Spanien und Italien sowie in Irland und Ungarn ist die soziale Ungerechtigkeit durch die Krise nochmals deutlich gestiegen. Die Ergebnisse des Ländervergleichs sowie die darin berücksichtigten Ländergutachten der jüngsten SGI-Erhebung legen die Schlussfolgerung nahe, dass die harte Sparpolitik im Zuge der Krise und die strukturellen Reformen zur wirtschafts- und haushaltspolitischen Stabilisierung negative Auswirkungen auf das jeweilige Maß sozialer Gerechtigkeit in den meisten Staaten hatten. Vor allem in den Krisenstaaten ist es nicht gelungen, die Einschnitte sozial gerecht zu verteilen. Insgesamt konnten sich über die Zeit betrachtet lediglich Luxemburg, Deutschland und Polen im Vergleich zum Social Justice Index aus dem Jahr 2008 verbessern.
Die Stärke der nordischen Staaten Schweden, Finnland und Dänemark sowie der Niederlande (Rang 1-4) ist hauptsächlich zurückzuführen auf eine gute Performance im Bereich Armutsvermeidung, Arbeitsmarktzugang sowie soziale Kohäsion und Nicht-Diskriminierung. Hier besteht die Herausforderung für die Zukunft darin, die immer noch mangelhaften Zugangschancen von Migrantinnen und Migranten am Arbeitsmarkt zu überwinden, genauso wie die Bekämpfung der seit Jahren relativ hohen Jugendarbeitslosigkeit in Schweden und Finnland.
Deutschland konnte sich insbesondere aufgrund der sehr robusten Entwicklung am Arbeitsmarkt im Gesamtvergleich verbessern. Der Aufwärtstrend darf jedoch nicht darüber hinweg täuschen, dass es auch hier und in ähnlichen kontinentaleuropäischen Wohlfahrtstaaten noch Reformbedarf gibt: Hierzu zählen ein dualer Arbeitsmarkt mit mangelhafter vertikaler Durchlässigkeit von „atypischen“ Beschäftigungsverhältnissen (ausgeweiteter Nied- riglohnsektor, Befristungen) in „Normalarbeitsverhältnisse“ oder auch der nach wie vor starke Einfluss des sozialen Hintergrundes auf den Lernerfolg von Schülern.
Von einer anderen Qualität sind jedoch die Probleme am unteren Ende des Rankings: Griechenland leidet derzeit unter einer Jugendarbeitslosigkeit von beinahe 60 Prozent, einem rasanten Anstieg des Armutsrisikos nicht zuletzt unter Kindern und Jugendlichen, einem durch die Sparmaßnahmen hart getroffenem Gesundheitssystem, Diskriminierungen von Minderheiten durch stärker werdende radikale politische Kräfte sowie einem enormen Schuldenberg als Hypothek für künftige Generationen. In anderen südeuropäischen Staaten bietet sich ein ähnliches Bild.
Das Gefälle zwischen den Teilhabechancen in den noch immer wohlhabenden Staaten Nordeuropas und den südlichen Krisenländern hat sich dadurch vergrößert. Dies birgt Zündstoff für den gesellschaftlichen Zusammenhalt innerhalb der EU. Sollte die soziale Spaltung lange andauern oder sich sogar noch weiter verschärfen, gefährdet dies die Zukunftsfähigkeit des europäischen Integrationsprojekts.
Beachtenswert ist in diesem Zusammenhang, dass sich die Krise insgesamt auch in unter- schiedlicher Art und Weise auf die Generationen ausgewirkt hat. Beim Vergleich von Kinderarmut und Altersarmut sind durch die negative Entwicklung der letzten Jahre Kinder und Jugendliche überproportional stärker betroffen und benachteiligt. Insgesamt hat das Armutsrisiko in der EU in den letzten Jahren zugenommen. EU-weit sind rund ein Viertel der Menschen von Armut oder sozialer Exklusion betroffen. Von den selbst gesteckten Zielen zur Vermeidung von Armut im Rahmen der EU 2020-Strategie ist die EU damit weit entfernt.
Die vollständige Studie finden Sie hier (PDF-Datei).