Rechtsgutachten von foodwatch, 22.6.2016
Die Freihandelsabkommen TTIP und CETA hebeln das europäische „Vorsorgeprinzip“ zum Schutz der Verbraucherinnen und Verbraucher aus – das belegt jetzt erstmals ein internationales Rechtsgutachten, das foodwatch heute vorgestellt hat. Die Folgen sind weitreichend: So könnten zum Beispiel in der EU nicht zugelassene Chemikalien auf den europäischen Markt kommen oder die Pestizidbelastung von Lebensmitteln steigen.
Das in den Verträgen der Europäischen Union festgeschriebene Vorsorgeprinzip bildet eine wesentliche Grundlage für die Gesundheits-, Umwelt- und Verbraucherpolitik in Europa – und unterscheidet sich fundamental von dem „nachsorgenden Ansatz“ in den USA und Kanada. Während in Nordamerika prinzipiell alle Substanzen zugelassen werden, bis deren Schädlichkeit nachgewiesen wird, gilt beim Vorsorgeprinzip die Umkehr der Beweislast. Demnach muss ein Unternehmen – beispielsweise bei der Zulassung von Chemikalien – die Unschädlichkeit wissenschaftlich nachweisen und alle eigenen Studien dazu offenlegen. Regierungen in Europa können bei potenziellen Risiken vorsorgend aktiv werden, wenn es begründete Bedenken gibt.
Anders als von Vertretern der Bundesregierung und der Europäischen Union immer wieder behauptet, ist das Vorsorgeprinzip in den Vertragstexten für TTIP und CETA „nicht hinreichend verankert“. Zu diesem Ergebnis kommen die Autoren der Studie Prof. Dr. Peter-Tobias Stoll, Direktor der Abteilung Internationales Wirtschaftsrecht und Umweltrecht an der Georg-August-Universität Göttingen, Dr. Wybe Th. Douma vom TMC Asser Instituut in Den Haag und Prof. Dr. Nicolas de Sadeleer von der Université Saint-Louis in Brüssel. Sowohl TTIP als auch CETA beziehen sich zudem explizit auf rechtliche Verpflichtungen der Welthandelsorganisation (WTO), in denen sich das Vorsorgeprinzip, wie in Europa praktiziert, nicht wiederfindet. Regulierungsvorhaben, die sich auf das Prinzip der Vorsorge berufen, könnten somit in Zukunft verzögert, verwässert oder verhindert werden.
Politiker in Brüssel und Berlin sowie Wirtschaftsvertreter behaupten hingegen, das Vorsorgeprinzip sei durch TTIP und CETA nicht in Gefahr. So erklärte Bundesjustizminister Heiko Maas gegenüber foodwatch, dass „das Vorsorgeprinzip bei den Verhandlungen nicht zur Disposition steht“. Bundeskanzlerin Angela Merkel versicherte, es werde „kein einziger Standard, der in der Europäischen Union oder in Deutschland gilt, abgesenkt“. Und Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel versprach: „Eine Absenkung der erreichten Standards wird es nicht geben.“
Doch die Behauptung, das Prinzip des vorsorgenden Verbraucherschutzes würde nicht angerührt und europäische Standards seien nicht in Gefahr, ist eine vorsätzliche Täuschung der Öffentlichkeit. Das Vorsorgeprinzip wird in den Handelsverträgen nicht an einer einzigen Stelle genannt. foodwatch kritisiert: TTIP und CETA sind ein versteckter Angriff auf das europäische Vorsorgeprinzip. Klammheimlich soll ein Verfassungsrecht ausgehebelt werden – mit fatalen Folgen für die Verbraucherinnen und Verbraucher.
Das vollständige Gutachten finden Sie hier.