Dokumente zum Zeitgeschehen

»Über 18 Millionen Tonnen Nahrungsmittel landen in Deutschland pro Jahr in der Tonne«

Studie des World Wide Fund for Nature zur Nahrungsmittelverschwendung, 18.6.2015

Zusammenfassung und Schlussfolgerungen des WWF Deutschland

Die Verringerung von Verlusten und Verschwendung an Nahrungsmitteln ist aus der Perspektive des WWF eine der drängenden Herausforderungen, denen wir uns gesamtgesellschaftlich stellen müssen. Die Verluste an lebensmitteltauglichen Produkten entlang der gesamten Wertschöpfungsketten, also vom Feld bis zum Teller, sind enorm – weltweit, aber auch in Deutschland.  

Über 18 Mio. t Nahrungsmittel landen in Deutschland pro Jahr in der Tonne, davon wären bereits heute 10 Mio. vermeidbar 

Insgesamt gehen in Deutschland, wenn die gesamte Wertschöpfungskette bis hin zum Endverbraucher betrachtet wird, über 18 Mio. t Nahrungsmittel verloren. Dies entspricht fast einem Drittel des aktuellen Nahrungsmittelverbrauchs Deutschlands (54,5 Mio. t). Davon wären über die Hälfte vermeidbar, fast 10 Mio. t. Mit anderen Worten: 10 Mio. t an genusstauglichen Nahrungsmitteln, die unter hohem Arbeits- und Ressourcenaufwand produziert worden sind, landen letztendlich irgendwo entlang der Wertschöpfungskette oder beim Endverbraucher im Müll. Besonders hoch sind dabei die Tonnagen an vermeidbaren Verlusten bei Getreideerzeugnissen mit knapp 2 Mio. t (vor allem Brot und Backwaren) sowie bei Obst und Gemüse mit jeweils ca. 1,5 Mio. t. Auch Kartoffelund Milcherzeugnisse gehen mit jeweils über 1 Mio. t noch in einem beachtlichen Ausmaß verloren. Gerade für Produkte wie Getreide, Kartoffeln und Milch ist dies bedenklich, da die Vermeidbarkeit von Verlusten hier als vergleichsweise hoch eingestuft wird. 

Mehr als 2,6 Mio. ha werden für die Tonne bewirtschaftet und fast 48 Mio. t Treibhausgase umsonst ausgestoßen 

Alle Lebensmittel, die wir in Deutschland nachfragen, werden angebaut und benötigen für ihre Erzeugung eine bestimmte Fläche an Ackerland bzw. Grünland. Rechnet man die fast 10 Mio. t an vermeidbaren Verlusten in den damit einhergehenden Flächenfußabdruck um, so wird eine Fläche von über 2,6 Mio. ha mit Agrarrohstoffen angebaut, nur um diese nach der Ernte irgendwo entlang der Wertschöpfungskette zu entsorgen. Dies entspricht fast 15 % der gesamten Fläche, die wir für die Erzeugung der Agrarrohstoffe für unsere Ernährung benötigen. Im Gegensatz zur Betrachtung der Tonnagen sind Fleisch- und Milcherzeugnisse sowie Getreide die dominierenden Faktoren beim Flächenfußabdruck. Zwar werden Fleisch- und Wurstwaren in nicht so erheblichem Maße weggeworfen wie z. B. Obst und Gemüse, durch den hohen Flächenverbrauch in der Erzeugung schlagen diese Produkte dennoch in erheblichem Ausmaße zu Buche. Von den 2,6 Mio. ha sind beachtliche 1,6 Mio. ha auf Fleisch- und Molkereiprodukte zurückzuführen und etwa 0,5 Mio. ha auf Getreideprodukte. Dabei handelt es sich – wie gesagt – um die vermeidbaren Verluste. 

Auch der Effekt auf das Klima ist erheblich. Denn die vermeidbaren nahezu 10 Mio. t an Lebensmitteln, die „umsonst“ produziert werden, sind allesamt mit einem spezifischen, je nach Produkt unterschiedlich hohen Klimafußabdruck verbunden – angefangen bei Treibhausgasemissionen, die bei der Düngung frei werden, über den Transport, die Lagerung, die Kühlung, die Weiterverarbeitung bis hin zur Entsorgung. Umgerechnet sind diese 10 Mio. t mit einem Ausstoß von Treibhausgasen von fast 22 Mio. t verbunden, was in etwa einem Drittel der landwirtschaftlichen Emissionen an Treibhausgasen unseres Landes entsprechen würde oder dem Doppelten des Klimagasausstoßes der deutschen Abfallwirtschaft. Der reduzierte Flächenfußabdruck von 2,6 Mio. ha würde zudem eine Verringerung ernährungsbedingter Landnutzungsänderungen im globalen Maßstab bewirken. Dies ist für den Klimaschutz von erheblicher Bedeutung, da der Umbruch natürlicher Habitate mit enormen Freisetzungen von Kohlendioxid verbunden ist. Umgerechnet könnten hierdurch Einsparungen von noch einmal über 26 Mio. t Kohlendioxid erreicht werden. 

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Lebensmittelverluste entlang der Wertschöpfungskette: 61 % vom Produzenten bis zum Großverbraucher; 39 % Endverbraucher 

Bei der Betrachtung der Wertschöpfungskette fällt auf: Je näher am Verbraucher, desto höher sind die Verluste auf der jeweiligen Ebene und umso höher ist das Vermeidungspotenzial. Dies bestätigt das Bild, dass für die wirtschaftlich stärker entwickelten Regionen Verteilungs- und Konsumverluste von besonderer Relevanz sind, wogegen in wirtschaftlich eher schwach entwickelten Gebieten die Ernte-, Nachernte- und Prozessverluste von größerer Bedeutung sind. 

Von den 18 Mio. t Lebensmittelabfall sind über 60 % auf die Wertschöpfungskette – vom Produzenten bis hin zum Großverbraucher (Gastronomie, Betriebsküchen) – zurückzuführen. Fast 40 % liegen beim Endverbraucher. Dabei ist nach heutigen Kenntnissen das Vermeidungspotenzial von den insgesamt etwa 10 Mio. t vermeidbaren Lebensmittelabfällen mit fast 5 Mio. t am höchsten beim Endverbraucher. Ebenfalls beachtlich ist mit über 5 Mio. t aber auch das Vermeidungspotenzial bei den Großverbrauchern sowie auf der Ebene des Einzel- und des Großhandels. 

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Vermeidung von Lebensmittelabfällen: signifikanter Beitrag zum Ressourcen- und Klimaschutz

Gelänge es uns in Deutschland, alle vermeidbaren Nahrungsmittelverluste entlang der Wertschöpfungskette tatsächlich zu vermeiden, dann wären wir in der Lage, unseren Flächenfußabdruck der Ernährung um rund 2,6 Mio. ha abzusenken. Ebenso beachtlich wäre der Beitrag zum Klimaschutz. 10 Mio. t Nahrungsmittel müssten gar nicht erst produziert werden und 2,6 Mio. ha würden nicht für die Produktion von Nahrungsmitteln von uns in Anspruch genommen werden. Dies würde insgesamt fast 46 Mio. t an Treibhausgasen einsparen.

Zeit zum Handeln

Sowohl die EU als auch die Bundesregierung haben sich das Ziel gesetzt, die Lebensmittelabfälle zu halbieren. International fordert die Open-Working Group für die Sustainable Development Goals (SDG) die Reduzierung der Nahrungsmittelverluste bis 2030 um 50 %. Bislang hat jedoch die Bundesregierung keine Strategie vorgelegt, die darlegt, wie die Reduzierung der Lebensmittelverschwendung um 50 % bis 2020 erreicht werden soll. Die Ergebnisse dieser Studie zeigen deutlich, dass die Datenlage noch unzureichend ist und „Schätzungen die Methode der Wahl“ sind. Ohne valide Datengrundlage können jedoch weder Ziele festgelegt noch überprüft werden. Dementsprechend gibt es derzeit weder konkrete Zielvorgaben für die einzelnen Bereiche der Wertschöpfungskette noch ein umfassendes Monitoringsystem, um erreichte Ziele bemessen zu können. Darüber hinaus fehlt es an Handbüchern bzw. eine „gute fachliche Praxis“ für die Unternehmen, wie am besten Lebensmittelabfälle vermieden werden könnten. In ihren Aktivitäten hat sich die Bundesregierung in den letzten Jahren vor allem auf die Endverbraucher fokussiert. Bei diesem gesamtgesellschaftlichen Thema müssen jedoch alle Akteure in die Pflicht genommen werden und an einem Strang ziehen. Immerhin gehen ca. 60 % der verschwendeten Lebensmittel nicht auf das Konto der Konsumenten in den Haushalten, sondern finden sich entlang der Wertschöpfungskette bis hin zu Großverbrauchern. 

Der 2012 verabschiedete fraktionsübergreifende Antrag des Bundestages zur Reduzierung von Lebensmittelabfällen sollte wieder aufgegriffen und die vorgeschlagenen Aktivitäten umgesetzt werden. Der WWF fordert von der Bundesregierung einen nationalen Aktionsplan zur Erstellung einer nationalen Strategie gegen Lebensmittelverschwendung unter Berücksichtigung der gesamten Wertschöpfungskette. Eine Strategie, die von verschiedenen Ressorts der Bundesregierung in ihren jeweiligen Fachbereichen vorangetrieben wird. Wegen der Komplexität der Gründe für die Lebensmittelverschwendung ist es wichtig, eine finanziell robust ausgestattete Koordinierungsstelle einzurichten, die für die Erstellung und Umsetzung des Aktionsplanes zuständig ist. Um eine solide Basis für die Erarbeitung einer nationalen Strategie zu schaffen, sollten Forschungsvorhaben ermöglicht werden, die eine valide Erfassung und Auswertung von Daten entlang der Wertschöpfungskette zur Aufgabe haben und auf deren Ergebnissen dann politische Handlungsempfehlungen und Maßnahmen abgeleitet werden können.

Die vollständige Studie finden Sie hier.